Pater Bernd Hagenkord zur Karlspreis-Rede des Papstes

Mehr als nur Kritik und Lob

"Was ist mit dir los, Europa?" - Papst Franziskus hat anlässlich der Verleihung des Karlspreises im Vatikan Klartext gesprochen. Für Pater Bernd Hagenkord von Radio Vatikan eine tiefgehende, sehr fundamentale Rede. Seine Einschätzung auf domradio.de.

Papst Franziskus während der Verleihung des Karlspreises / © Pool New/Reuters (dpa)
Papst Franziskus während der Verleihung des Karlspreises / © Pool New/Reuters ( dpa )

domradio.de: Wie haben Sie die Atmosphäre im Raum selbst erlebt, während Franziskus gesprochen hat?

Pater Bernd Hagenkord (Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan): Die Veranstaltung fing ja eher wie ein politisches Event an: Man steht auf und hält seine Reden. Die waren vielleicht ein bißchen freier und emotionaler. In der Gegenwart des Papstes und auch in diesen Räumlichkeiten ist das meistens so. Man traut sich vielleicht ein bißchen mehr zu sagen. Aber es fing ein bißchen an wie ein politsches Event und ist dann umgekippt. Als der Papst sprach, wurde sehr schnell klar: Hier haben wir mehr vor uns als eine politische Rede. Das war eine ganz, ganz tiefgehende Rede, eine sehr fundamentale Rede und eben eine Papstrede - mit Formulierungen, die sicherlich gesessen haben. Es war muxmäuschenstill, man hat sich noch nicht mal erlaubt, Zwischenapplaus zu geben. Es gab bei den Vorrednern einige Male Zwischenapplaus, beim Papst nicht. Es war alles ganz ruhig und sehr konzentriert.

domradio.de: Man hat darauf gewartet: Jetzt kommt die Schelte für Europa. Die hat es ja auch gegeben, aber es gab auch Hoffnung. Wie wurde das wahrgenommen?

Hagenkord: Ich glaube, man muss den Papst ein bißchen in Schutz nehmen. Man darf ihn jetzt nicht abklopfen auf: Was ist Kritik und was ist Lob an irgendwelchen aktuellen Maßnahmen? Das Ganze ging sehr, sehr viel tiefer. Die Frage: Wer ist eigentlich Europa? Was sind die Werte? Was ist dieser europäische Humanismus, der über das Christentum weit hinaus geht? Darum geht es ihm. Das will er erreichen und dazu ruft er auf. Und dazu braucht es eben auch Selbstreflexion. Auch die Vorredner haben genau das ja ein bißchen herausgearbeitet. Also darum ging es ihm. Es ging weniger darum, genau zu gucken: Was finde ich gut, was finde ich nicht gut - sondern eben die grundsätzliche Frage: Was ist das eigentlich, Europa? Wo wollen wir hin, wenn wir Europa sagen?

domradio.de: Franziskus hat ja auch ein Plädoyer für soziale Marktwirtschaft gehalten, für weniger Arbeitslosigkeit - vor allem Jugendarbeitslosigkeit. An welche Adresse war das gerichtet?

Hagenkord: Erstens ist das ein für ihn sehr, sehr wichtiges Thema - dass die Gerechtigkeitsfrage nicht außen vor gelassen wird. Zweitens: Wir haben zwar im Augenblick die große Flüchtlingskrise, aber das ist ja nicht die einzige. Es gibt Länder, die haben irrsinnige Arbeitslosenquoten von jungen Menschen. Und das ist natürlich eine fürchterliche Hypothek für die Zukunft, für ganz Europa. Da verlieren Menschen nicht nur ihre Fähigkeit, sich selbst zu ernähren, sondern auch jegliche Zuversicht in den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft. Also das ist auch etwas, was auf jeden Fall angegangen werden muss. Ich finde es großartig, dass der Papst das auch über diese Feierlichkeit der Stimmung nicht vergisst. 

domradio.de: Europa muss überlegen: "Wer bin ich eigentlich?" Ist das das Signal, was Franziskus aussendet?

Hagenkord: Ich glaube ja! Wenn es um gesellschaftlichen Dinge geht, die über die katholische Kirche hinausgehen - an der die Kirche sich beteiligen will aber eben als eine der Gruppen, die mitmachen - dann müssen wir uns genau überlegen: Für was wollen wir eigentlich stehen? Wollen wir für die mulitkulturelle Identität Europas stehen, die wir ja sind? Oder wollen wir lieber Zäune bauen - sogar zwischen europäischen Ländern? Wollen wir trennen oder wollen wir gemeinsam weitergehen?

Europa war immer stark, wenn es zusammengestanden hat und hat unglaubliche Dinge geschaffen. Nach dem Krieg ist ja die europäische Idee geboren worden und man hat etwas überwunden, was unglaublich destruktiv war, weil man zusammengearbeitet hat. Wichtig ist, diese Erinnerung nochmal wach werden zu lassen: Wenn man zusammen was macht, können ganz großartige Dinge entstehen. Man muss es aber wollen. 

domradio.de: Während seiner langen Rede hat Papst Franziskus ja auch sehr bildlich gesprochen: Erst Europa als die Großmutter bezeichnet und hinterher von einer Mutter der Zukunft gesprochen. Was meint er mit diesem Bild?

Hagenkord: Er spricht ja gerne bildsprachlich und er wird ja sofort verstanden von den Menschen. Die Großmutter - die alte Jungfer sozusagen - das ist ein Zitat von ihm selber. Das hatte er in Straßburg genutzt bei seiner Rede vor dem Europäischen Parlament und ist dafür stark kritisiert worden, vor allem in Deutschand; Europa sei nicht so krank und nicht so alt und nicht so fruchtlos. Auf der anderen Seite sind wir bestimmt müde und das hat er ausformuliert: Europa, was ist mit Dir los? Der Papst sagt uns: "Wir hätten das Potential aber wir nutzen es nicht. Wir sind müde und resiginiert."

Das Interview führte Silvia Ochlast. 


Pater Bernd Hagenkord (rv)
Pater Bernd Hagenkord / ( rv )
Quelle:
DR