Besuch bei den Obdachlosen am Petersplatz

Nachbarn des Papstes

Rund um den Petersplatz sind sie ständig unter seinen Augen und Papst Franziskus verliert sie nicht aus dem Blick: Roms Obdachlose. Ein Gespräch über ein Leben auf der Straße und die Erinnerung an eine bessere Zeit.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Obdachloser Krysztof vor dem Petersdom / © Andrea Krogmann (KNA)
Obdachloser Krysztof vor dem Petersdom / © Andrea Krogmann ( KNA )

"Das Leben ist schön", sagt Krysztof. Ein Blick in sein freundliches Gesicht mit dem warmen Lächeln zeigt: Er meint, was er sagt. "Es sind die Menschen, die es ruinieren." Krysztof lächelt.

Täte er es nicht, die meisten würden es verstehen. Krysztof ist 51 Jahre alt. Geboren wurde er im Osten Polens, in einem kleinen Ort ein paar hundert Meter von der ukrainischen Grenze entfernt. Da, wo zu dieser Zeit Mütter und Großmütter den Männern noch in der Morgendämmerung das deftige Frühstück aufs Feld brachten. Das sind die schönen Erinnerungen, die Krysztof an seine Familie hat. Die anderen, die dunklen Geschichten sind es, die ihn dahin gebracht haben, wo er jetzt ist: In den Eingang eines der Häuser rund um den Petersplatz, wo er ein wenig Schutz vor der Witterung findet.

Einer der "Armen von Papst Franziskus"

Krysztof ist einer der "Armen von Papst Franziskus". Immer wieder schnupft Krysztof sich die Nase. Beim letzten großen Regen vor zwei Tagen hat er einen Teil seiner Kartonunterlage einem Kollegen abgetreten. Sie nennen sich Kollegen, manche sind Freunde.

Für einen von ihnen hat Krysztof sich erkältet. "Davon stirbt man nicht." Diesen Satz sagt er häufiger: Auf der Suche nach einer warmen Mahlzeit, einem trockenen Schlafplatz im nasskalten römischen Winter, einem Schattenplatz in der Sommerhitze, einem Gelegenheitsjob - "das bringt einen nicht um", sagt Krysztof und lächelt. Sein Kollege Marek wünscht ebenso freundlich konsequent allen Passanten einen guten Abend, in der Hoffnung auf ein paar Münzen für die Baskenmütze in dem geschützten Hauseingang.

Von hier, erzählt Krysztof, verfolgen sie mittwochs die Generalaudienzen des Papstes, sonntags die Messen. Was Franziskus für sie tue, sei "gerecht und dringend nötig, er hilft uns sehr!". Die Aufzählung der Verbesserungen, die mit Franziskus' Amtsantritt Einzug in das Leben der vielen Obdachlosen Roms erhalten haben, ist lang, die Achtung vor dem Papst aus Argentinien groß. Neue Duschen hat dessen Almosenmeister, Erzbischof Konrad Krajewski, an den Kolonnaden für die Straßenbewohner einrichten lassen. Dazu einen Friseursalon, in dem die Menschen ein Stück Würde zurückbekommen.

Doch das Leben bleibt elend. "Die meisten hier", sagt Krysztof, "werden dir das gleiche mit anderen Worten erzählen. Nur die Lebensgeschichten, die nach hier führten, unterscheiden sich." Die Polen und der Ukrainer, die sich hier, einen Steinwurf vom Petersplatz entfernt, den Schlafplatz teilen, stimmen nickend zu.

Eine Zigarette macht die Runde, die Asche wandert fein säuberlich in den Aschenbecher.

Nach Krankheit verliert er Arbeit und Familie

Krysztofs Geschichte ist typisch. In den 1980er Jahren kommt er zum Arbeiten nach Italien. Die Ehe scheitert. Die Unterhaltsforderungen für die Ex-Frau und den gemeinsamen Sohn wachsen ihm über den Kopf. Er wird krank, verliert die Arbeitsstelle, landet auf der Straße. Das ist schon Jahre her. Sein Sohn ist heute 24, lebt mit der Mutter in Polen. Manchmal, erzählt Krysztof, fragt er bei seinem Bruder nach, wie es ihnen geht. Mehr Kontakt will er nicht, das Thema Familie ist für ihn abgeschlossen. "Es ist traurig, aber wahr. So bin ich: Ich habe Angst vor einer neuen Beziehung." Krysztof hält inne.

"Vielleicht, wenn ich eine Frau finde, mit der es mir gut geht und ihr mit mir... Aber dann nur ohne Trauschein!"

Mehr als auf eine Partnerin hofft Krysztof auf Arbeit. "Ich kann nicht lange rumsitzen, ich muss etwas tun." Seine Papiere hat er auf Anraten von Ordensschwestern bei einer Caritasstelle außerhalb Roms sicher hinterlegt. In den kommenden Tagen will er sie abholen. Mit Papieren, hofft er, stellt ihn sein früherer Arbeitgeber wieder ein.

Krysztof willigt ein in das Foto, und zum ersten Mal an diesem Abend weicht für einen Moment das Lächeln aus seinem Gesicht. Am nächsten Tag hat er ein Vorstellungsgespräch bei den Mutter-Teresa-Schwestern für eines der 34-Betten in dem jüngsten vatikanischen Projekt: dem unlängst eröffneten Obdachlosenschlafsaal ein paar Seitenstraßen entfernt. Wenn es klappt, hat er für einen Monat ein Dach über dem Kopf. Und dann? Krysztof lächelt. "Die Winter in Rom sind kalt, aber auch daran stirbt man nicht."


Quelle:
KNA