Franziskus trifft Missbrauchsopfer und Häftlinge

"Gott weint"

Am letzten Tag seiner USA-Reise ist Papst Franziskus mit Opfern sexuellen Missbrauchs zusammengetroffen. Zudem besuchte er ein Gefängnis und kritisierte den Strafvollzug. Den Abschluss der Reise bildet ein großer Familien-Gottesdienst.

Franziskus mit Häftlingen (dpa)
Franziskus mit Häftlingen / ( dpa )

Nach der Begegnung mit drei Männern und zwei Frauen, die als Minderjährige von katholischen Geistlichen missbraucht worden waren, zeigte sich das Kirchenoberhaupt betroffen. "Gott weint", sagte Franziskus am Sonntag. Als Papst trage er Sorge, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und junge Menschen künftig geschützt werden.

Berichte über Missbrauch dürften nicht vertuscht worden, unterstrich Franziskus im Priesterseminar Wynnewood bei Philadelphia, wo das Treffen stattfand. Die Aufdeckung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche der USA begann vor 30 Jahren und stürzte die Kirche in eine tiefe Vertrauenskrise. Mehr als 17.000 Menschen haben inzwischen ausgesagt, sie seien als Kinder von Priestern sexuell missbraucht worden. Laut einer Studie aus dem Jahr 2004 gibt es Vorwürfe gegen mehr als 5.000 US-amerikanische Geistliche.

Kritik am Strafvollzug in den USA

Nach dem Treffen mit Missbrauchsopfern besuchte das Kirchenoberhaupt eine Haftanstalt in Philadelphia.  Dort kritisierte er den Strafvollzug in den USA und rief zum Einsatz der Gesellschaft für eine bessere Resozialisierung von Häftlingen auf. "Es tut weh, Strafsysteme zu sehen, die nicht versuchen, Verletzungen zu behandeln, Wunden zu heilen und neue Chancen zu schaffen", sagte er am Sonntag vor Häftlingen im größten Gefängnis von Philadelphia mit rund 8.000 Insassen, darunter auch Frauen.

Staat und Gesellschaft hätten die Pflicht, ihnen bei der Wiedereingliederung ins Leben zu helfen, so Franziskus. Sie hätten nicht das Recht, sich an die herrschenden Zustände zu gewöhnen. Anderenfalls würde die Gesellschaft selbst "eine Gefangene all dessen, was sie leiden lässt". Gelingende Resozialisierung hebe stattdessen die Moral der gesamten Gemeinschaft.

Mit rund 2,3 Millionen Strafgefangenen haben die USA die höchste Inhaftierungsrate der Welt. Viele Gefängnisse sind völlig überfüllt. Ein Grund ist das rigide Justizsystem in den Vereinigten Staaten. Viele Häftlinge bleiben nur deshalb hinter Gittern, weil sie die Kaution für eine Freilassung nicht bezahlen können. Ein Großteil der Insassen sind Afroamerikaner, Hispanoamerikaner und Migranten.

Die Fußwaschung Jesu an seinen Jüngern stehe sinnbildlich dafür, dass jeder Mensch vor Gott immer wieder gereinigt werde und niemals seine Würde verlieren könne, so Franziskus. Leben bedeute, sich die Füße schmutzig zu machen. Doch Jesus komme den Menschen entgegen, um sie wieder mit der Würde der Kinder Gottes zu bekleiden.

Nach seiner Ansprache vor den rund 100 Männern und Frauen begrüßte Franziskus jeden einzelnen Häftling persönlich; er wechselte einige Worte mit ihnen und umarmte einige. Als Geschenk hatten die Gefängnisinsassen für den Papst einen hölzernen Stuhl angefertigt. Besuche in Haftanstalten zählen zum festen Bestandteil der Reisen von Papst Franziskus.

Bindungsängste durch Konsumkultur

Zuvor hatte Franziskus bei einem Treffen mit Bischöfen und Seminaristen gewarnt, die Konsumkultur und Bindungsängste bedrohten heute das Glück vieler junger Menschen. Anstatt zu heiraten und eine Familie zu gründen, lebten sie in "radikaler Einsamkeit", beklagte er. Statt Vertrauen und Verbindlichkeit zu suchen, jagten Jugendliche "Likes" und "Followers" in sozialen Netzwerken hinterher. "Was wichtig ist, bestimmt heute der Konsum. Beziehungen konsumieren, Freundschaften konsumieren, Religionen konsumieren, konsumieren, konsumieren...", so Franziskus im Priesterseminar des US-Erzbistums Philadelphia.

Die Welt ähnele heute einem Shopping-Center mit riesiger Auswahl und vielen Möglichkeiten. Dies habe jedoch dazu geführt, dass sich junge Menschen an nichts und niemanden mehr binden wollten. Vielmehr dominiere eine Kultur, in der alles weggeworfen werde, "was den Neigungen des Konsumenten 'nicht mehr dient' oder sie nicht 'befriedigt'", kritisierte Franziskus. Auch Christen seien nicht immun gegenüber den Veränderungen ihrer Zeit.

Er warnte die Geistlichen jedoch vor Kulturpessimismus und vorschnellen Urteilen über Jugendliche. Viele junge Menschen seien keine Egoisten, sondern Opfer eines Wohlstandsideals, für das sie ihre Ehe immer weiter aufschöben. Dagegen sind Priester und Bischöfe nach den Worten des Papstes gefordert, als Seelsorger die Wunden der Einsamkeit zu heilen und für die Schönheit des Familienlebens zu werben. "Wir müssen unsere Energien weniger darauf konzentrieren, immer wieder neu die Mängel der gegenwärtigen Epoche und die Vorzüge des Christentums zu erklären, sondern vielmehr die jungen Menschen offen und direkt dazu auffordern, in der Entscheidung für Ehe und Familie wagemutig zu sein."

Ein Christentum, das in der Realität wenig praktiziere "und in der Ausbildung unendlich viel erklärt wird", befinde sich in einem gefährlichen Missverhältnis. "Ich würde sagen, in einem echten Teufelskreis."

Familiengottesdienst als Höhepunkt und Abschluss der Reise

Zum Abschluss seiner neuntägigen Reise nach Kuba und in die USA feiert Papst Franziskus am Sonntag eine große Messe in Philadelphia (22 Uhr deutscher Zeit). Mit dem Gottesdienst endet zugleich das katholische Welttreffen der Familien. Die Veranstalter rechnen mit einer Million Teilnehmer.

Der Gottesdienst findet auf dem Benjamin Franklin Parkway statt, einer rund 1,5 Kilometer langen Verkehrsachse im Museumsviertel Philadelphias. Die von Grünanlagen gesäumte Parademeile war unter anderem Veranstaltungsort des Live-8-Konzerts 2005 für Schuldenerlass und Armutsbekämpfung. Am Abend fliegt Franziskus zurück nach Rom.


Quelle:
KNA , epd