Papst vor US-Kongress mit Lob für die Mittelschicht

Nicht nur Gut und Böse

Scharfe Kritik für den Waffenhandel und die Todesstrafe - und Lob für die arbeitsamen Bemühungen der Mittelschicht. Franziskus hielt am Donnerstag als erster Papst vor dem US-Kongress eine Rede und war dabei auf Ausgeglichenheit bedacht.

Franziskus auf dem Balkon des Kapitols / © Doug Mills (dpa)
Franziskus auf dem Balkon des Kapitols / © Doug Mills ( dpa )

Auf dem Rückflug von seiner Südamerika-Reise im Juli wurde Papst Franziskus von einem Journalisten gefragt, warum er immer nur von den Ärmsten und Reichsten rede, aber sich kaum an die Mittelschicht wende. Darüber müsse er nachdenken, antwortete Franziskus damals sichtlich getroffen. Seine Rede als erster Papst vor dem Kongress in Washington zeigte, dass er sich die Frage zu Herzen genommen hat. Im Land seiner schärfsten Kritiker baute Franziskus nicht zuletzt all jenen eine Brücke, die seine Kapitalismuskritik für überzogen und ungerecht halten.

Am Donnerstag warb er vor den Parlamentariern im Kapitol um die Mittelschicht, den Durchschnittsamerikaner. Er wolle mit den Männern und Frauen ins Gespräch zu kommen, "die täglich darum bemüht sind, eine ehrenwerte Arbeit zu verrichten, das tägliche Brot nach Hause zu bringen, etwas Geld zu sparen und Schritt für Schritt ein besseres Leben für ihre Familien aufzubauen", erklärte Franziskus.

Kapitalismuskritik findet sich in der rund 50-minütigen Rede denn auch nur in einer Light-Version. Statt der üblichen Geißelung eines menschenverachtenden Weltwirtschaftssystems würdigt der Papst im Kapitol das Unternehmertum als "edle Berufung". Wenn es darauf ausgerichtet sei, Wohlstand zu erzeugen und die Welt für alle zu verbessern, könne es "eine sehr fruchtbringende Art und Weise sein, die Region zu fördern". Dieser Satz findet sich bereits in seiner Enzyklika "Laudato si". Dort war er jedoch von der schneidenden Kapitalismuskritik vollkommen überdeckt.

Lob für Armutsbekämpfung

Franziskus sagt zwar auch vor dem Kongress, die Politik dürfe "nicht Sklave von Wirtschaft und Finanzwesen sein". Er fügt jedoch hinzu: "Ich unterschätze nicht die Schwierigkeit, die das mit sich bringt, doch ich ermutige Sie in diesem Bemühen". Auch für den Kampf gegen die Armut findet er ungewohnte Worte. Statt Kritik an mangelndem Einsatz gibt es diesmal päpstliches Lob: "Wie viel Fortschritt ist auf diesem Gebiet in so vielen Teilen der Welt gemacht worden", so Franziskus. Er wisse, dass viele Amerikaner heute wie in der Vergangenheit daran arbeiteten, "mit diesem Problem fertig zu werden".

Dennoch enthält die Ansprache auch unbequeme Passagen. Zu den stärksten zählt Franziskus' freundlich verpackte, aber nicht zu überhörende Kritik an einem überhöhten religiösen Sendungsbewusstsein und Selbstgerechtigkeit der USA. In dem Land, das schon einmal den Kampf gegen den internationalen Terrorismus als "Kreuzzug gegen das Böse" deklarierte, warnt er vor einem "grob vereinfachenden Reduktionismus". Man dürfe die Wirklichkeit nicht einfach in Gute und Böse einteilen. "Den Hass von Tyrannen und Mördern nachzuahmen ist der beste Weg, um ihren Platz einzunehmen".

Papst: Waffenhandel sei "Geld, das von Blut trieft"

Das in den USA heikle Thema Umweltschutz spricht Franziskus in seiner Rede hingegen nur in einer für Republikaner erträglichen Dosierung an. Er ruft zu verstärkten Anstrengungen zum Erhalt der natürlichen Ressourcen auf, vermeidet aber den Begriff "Klimawandel", der für viele konservative Republikaner im Publikum und im ganzen Land ein Reizwort ist. In seiner Begrüßungsrede im Garten des Weißen Hauses hatte er das Wort am Mittwoch im Beisein von Präsident Obama noch verwendet.

Weiter ruft der Papst vor dem Kongress zum humanen Umgang mit Flüchtlingen auf, wobei er besonders die Situation an der Grenze zu Mexiko im Auge gehabt haben dürfte. Scharf kritisierte Franziskus in seiner auf Englisch gehaltenen Ansprache auch den Waffenhandel. Dessen einziger Zweck sei das Streben nach Geld. "Geld, das von Blut - oft unschuldigem Blut - trieft", so der Papst. In deutlichen Worten wandte er sich auch gegen die Todesstrafe und unterstützte nachdrücklich einen Aufruf der US-Bischöfe zu deren Abschaffung. Jeder Mensch sei mit einer unveräußerlichen Würde ausgestattet und das Leben unantastbar.

Franziskus würdigt Martin Luther King

Interessant ist, welche Themen Franziskus nicht oder nur am Rande anspricht. Auffallend ist zunächst, dass die internationale Politik keine zentrale Rolle spielt. Das dürfte am Freitag in den Ansprache vor den Vereinten Nationen anders sein. Bemerkenswert ist auch, dass der Papst über Familie, Ehe und Lebensschutz nur sehr allgemein und kurz redet, obwohl auf diesem Feld mit der landesweiten Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe einiges Konfliktpotenzial liegt. Das dürfte konservativen Katholiken nicht gefallen. Auch auf den Rassismus in den USA geht der Papst nicht ein. Der Urbevölkerung widmet er hingegen eine eigene Passage. "Tragischerweise" seien die Rechte derer, die seit jeher hier waren, nicht immer respektiert worden.

Amerika sei für viele immer noch ein Land der Träume. "Träume, die das tiefste und wahrste im Leben eines Volkes hervorbringen." Als einen wichtigen Vertreter eines solchen Traums würdigte der Papst den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King. Außerdem nannte er Präsident Abraham Lincoln, der nach dem Bürgerkrieg (1861-1865) die Sklaverei abgeschafft hatte, als ein amerikanisches Vorbild.

Nach Kongress-Rede Besuch bei Obdachlosen

Franziskus hat nach seiner Rede vor dem US-Kongress die Not von Obdachlosen angeprangert. "Wir können keine gesellschaftliche oder moralische Rechtfertigung, überhaupt keine Rechtfertigung finden, um das Fehlen von Unterkünften hinzunehmen", sagte er am Donnerstag bei einem Treffen mit Obdachlosen in einem Caritas-Zentrum in der US-Hauptstadt Washington. "Es wird uns gut tun, wenn wir alle uns diese Frage stellen: Warum sind diese unsere Brüder und Schwestern obdachlos? Warum haben diese unsere Brüder und Schwestern kein Zuhause?", fragte Franziskus. Das Schicksal der Menschen ohne Dach über dem Kopf müsse an Jesus erinnern, der in einem Stall geboren worden sei. "Der Sohn Gottes kam als Obdachloser in diese Welt", sagte der Papst. "Er lässt uns nicht allein." Jesus identifiziere sich mit jedem Opfer von Ungerechtigkeit und fordere zu Mitleid und zum Dienst füreinander auf. "Jesus klopft immer wieder an unsere Tür in den Gesichtern unserer Brüder und Schwestern", so Franziskus.

Zum Abschluss betete der Papst mit den Anwesenden ein Vaterunser. Vor der Verabschiedung mischte er sich für eine Viertelstunde unter die gut 200 Besucher der Armenmensa. Viele nutzten die Gelegenheit für ein Erinnerungsfoto mit dem Smartphone. Franziskus nahm sein Mittagessen nicht in der Caritas-Einrichtung, sondern in seinem Quartier in der Vatikanbotschaft ein.

Franziskus prangert Missbrauch an

Am Donnerstag Abend predigte Franziskus in der New Yorker Kathedrale St. Patrick. Dort bezeichnete er sexuellen Missbrauch durch Geistliche als Schande für die Kirche. Viele Mitbrüder hätten sich dessen schuldig gemacht und damit die Kirche "in ihren wehrlosesten Gliedern verletzt und empört", sagte er vor Geistlichen und Ordensleuten. Den Begriff "Missbrauch" benutzte er dabei nicht direkt. Bereits am Vortag hatte er in einer Ansprache an die katholischen US-Bischöfe in Washington sexuelle Übergriffe von Priestern und Ordensleuten angeprangert. Solche Verbrechen dürften sich nie wiederholen, so Franziskus. Er lobte jedoch auch die Bemühungen der US-Kirche, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen, und begrüßte großzügige Entschädigungsleistungen an die Opfer.

Die Enthüllung von zahlreichen Missbrauchsfällen seit den 1940er Jahren bis in die Gegenwart hatte die US-Kirche seit etwa 2000 tief erschüttert. In der Folge zahlten Bistümer nach zahlreichen Gerichtsverfahren insgesamt rund eine Milliarde US-Dollar an Verfahrenskosten und Entschädigungszahlungen. Mehrere Diözesen gerieten an die Grenze des finanziellen Zusammenbruchs.

Gedenken an Pilgeropfer von Mekka

Bei dem Gottesdienst gedachte Franziskus auch den mehr als 700 Todesopfern Pilgertragödie in Mekka. Er versicherte den Familien, er werde für die Opfer beten. Bei den Anwesenden in der New Yorker Hauptkirche entschuldigte er sich für seine traurige Stimmung.

Bei einer Massenpanik nahe Mekka waren am Donnerstag mindestens 717 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 800 verletzt worden. Die Panik ereignete sich im östlich von Mekka gelegenen Ort Mina. Dort findet am dritten Tag der großen Wallfahrt die rituelle "Steinigung des Teufels" statt.


Quelle:
KNA