Papst nach Kritik an seiner Armenier-Äußerung

"Wir dürfen nicht verschweigen"

Nach dem Protest der Türkei hat Papst Franziskus aufgerufen, "die Dinge in Freiheit beim Namen zu nennen". Er hatte die Armenier-Verfolgung während des Ersten Weltkriegs als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" bezeichnet.

Papst Franziskus (dpa)
Papst Franziskus / ( dpa )

Die Botschaft der Kirche sei auch heute eine "Botschaft für den Weg der Aufrichtigkeit, den Weg des christlichen Muts", sagte er am Montag während seiner Morgenmesse im Vatikan. "Wir dürfen nicht verschweigen, was wir gesehen und gehört haben", so Franziskus.

Der Papst legte in seiner Predigt in der Kapelle des Gästehauses Santa Marta eine Bibelstelle über das Verhalten der Jünger nach Jesu Auferstehung aus. Die Apostel seien zunächst verängstigt gewesen, hätten dann aber durch die Kraft des Heiligen Geistes den Mut gefunden, die Botschaft Jesu zu verkünden, erklärte Franziskus.

Türkischer Außenminister: Papst schürt Hass

Am Sonntag hatte der Papst die Verfolgung der Armenier während des Ersten Weltkriegs in einem Gottesdienst mit mehreren Tausend Armeniern als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" bezeichnet. Die Türkei protestierte offiziell und bestellte noch am Sonntag den vatikanischen Botschafter in Ankara, Erzbischof Antonio Lucibello, ein und zog ihren eigenen Vertreter beim Heiligen Stuhl ab. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu warf dem Papst vor, mit seiner Äußerung "Feindschaft und Hass zu schüren".

Cavusoglu erklärte via Twitter, der Papst schüre "Hass". Die Erklärung des Papstes sei "weit von Geschichte und Recht entfernt" und nicht hinnehmbar. "Religiöse Ämter sind nicht der Ort, mit haltlosen Vorwürfen Feindschaft und Hass zu schüren." Die Türkei erkennt das Vorgehen gegen die Armenier bis heute nicht als Völkermord an und wehrt sich gegen die Verwendung des Begriffs. In einer offiziellen Protestnote heißt es, Franziskus widerspreche den "Friedensbotschaften" seines Türkei-Besuches vom November. Staatssekretär Levent Murat Burhan sagte Nuntius Lucibello laut Medienberichten, die Äußerung des Papstes habe die Türkei tief enttäuscht; sie sei fern der historischen Tatsachen und einseitig. So habe der Papst nur vom Leid der Armenier gesprochen, nicht aber vom Schicksal der Muslime oder der Angehörigen anderer Religionen. Die jüngsten Ereignisse hätten zu einem Vertrauensverlust in den Beziehungen geführt und zeitigten "sicherlich" noch Folgen.

"Der erste Genozid des 20. Jahrhunderts"

Bei einem Gottesdienst mit Katholiken des armenischen Ritus am Sonntag im Petersdom hatte Papst Franziskus die Massaker und Todesmärsche im Osmanischen Reich, durch die nach Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Armenier ums Leben kamen, in eine Reihe mit der NS-Judenvernichtung und mit der durch den sowjetischen Diktator Josef Stalin herbeigeführten Hungersnot in der Ukraine gestellt. Die Menschheit habe im 20. Jahrhundert "drei große, unerhörte Tragödien erlebt", sagte der Papst in seinem Grußwort. Die erste, die das armenische Volk getroffen habe, werde "allgemein als 'der erste Genozid des 20. Jahrhunderts' angesehen". Zu den armenischen Gästen des Gottesdienstes gehörten auch Staatspräsident Sersch Sargsjan sowie die Oberhäupter der armenisch-apostolischen und der armenisch-katholischen Kirche, die Patriarchen Karekin II. und Nerses Bedros XIX.

Franziskus zitierte seinen Vorgänger Johannes Paul II. (1978-2005), der 2001 in einer gemeinsamen Erklärung mit Karekin II. bekundete: "Die Ermordung von eineinhalb Millionen Christen ist das, was generell als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird." Weiter sagte Franziskus, die beiden anderen seien im Namen des Nationalsozialismus und des Stalinismus verübt worden. Er erinnerte auch an "Massenvernichtungen" in Kambodscha, Ruanda, Burundi und Bosnien. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt, im Juni 2013, hatte Franziskus die Vertreibung der Armenier in einem privaten Gespräch, das später publik wurde, als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" bezeichnet.

Bereits damals protestierte die Türkei

Auch damals legte die Türkei offiziell Protest ein; die Äußerung sei "absolut inakzeptabel". Schon als Erzbischof von Buenos Aires hatte der heutige Papst keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Vertreibung als Völkermord betrachtet. Vor kurzem hatte sich die türkische Regierung noch zuversichtlich gezeigt, einen Eklat mit dem Vatikan in der Frage vermeiden zu können. So meldete die Presse, die türkische Botschaft beim Heiligen Stuhl habe einen Gottesdienst des Papstes in Armenien zum 100.Jahrestag der Massaker verhindert. Am 24. April jährt sich der Beginn der Armenier-Massaker im damaligen Osmanischen Reich 1915. Die Türkei wirft Armenien vor, den Jahrestag für eine Kampagne zur internationalen Anerkennung des Genozids nutzen zu wollen.


Quelle:
KNA