Das Oberhaupt der Franziskaner über den Orden und seine Zukunft

"Wir sind keine Radikalen"

Der US-Amerikaner Michael Perry ist seit Mai 2013 Generalminister der Franziskaner-Observanten. Im Interview spricht Bruder Michael an seinem Sitz in Rom über die Zukunft von Orden und über einen Jesuitenpapst, der sich Franziskus nennt.

 (DR)

KNA: Herr Generalminister, was ging Ihnen durch den Kopf, als ein Papst erstmals den Namen Franziskus wählte?

Perry: Ein Gefühl der Angst (lacht). Ich dachte sofort daran, dass damit die Verantwortung unseres Ordens für die Armen, für die Schöpfung noch größer wird. Danach setzte aber schnell die Freude über diese Namenswahl ein, und ein starkes Gefühl der Hoffnung auf die Zukunft der Kirche.

KNA: Seitdem erhalten Aussagen und Gesten dieses Papstes schnell das Etikett «typisch franziskanisch». Eine seiner ersten Reisen unternahm er unter riesigem Medieninteresse nach Assisi. Die Ordensfamilie steht im Rampenlicht.

Perry: Die neue Aufmerksamkeit für die Ideen des heiligen Franz freut uns. Doch Papst Franziskus geht es sicher nicht darum, den Orden populär zu machen, sondern das christliche Ideal der Solidarität mit Schwachen und Notleidenden in der ganzen Kirche neu zu beleben - vom Bischof bis zum einfachen Gläubigen. Er will zeigen, dass jeder Christ zum Jünger Jesu berufen ist und welche Werte dafür im Alltag, im Verhalten zwischen den Menschen wichtig sind.

KNA: Rechnen Sie trotzdem mit einem «Franziskus-Effekt», einer Eintrittswelle in den Orden?

Perry: Einen gewissen Impuls in diese Richtung halte ich angesichts der weltweiten Papst-Begeisterung für denkbar. Bei Menschen, die sich ohnehin zu einem spirituellen Leben berufen fühlen. Aber es ist noch zu früh, darüber zu spekulieren.

KNA: Ihre Gemeinschaft könnte diesen Impuls brauchen. Wie in allen religiösen Orden sind die Mitgliederzahlen in den vergangenen Jahrzehnten stark geschrumpft. Was sind die Gründe?

Perry: In den alten christlichen Kernländern, wo der Orden jahrhundertelang seine Basis hatte, bröckelt diese Basis. 1968 hatten wir noch 26.400 Brüder, die meisten in Europa und Nordamerika; heute sind es nur noch etwa halb so viele. Die gesellschaftlichen Umbrüche im Westen seit Ende der 60er Jahre haben zu einem Misstrauen gegenüber organisierten Strukturen geführt, seien sie staatlich oder kirchlich. Außerdem ist die religiöse Sozialisation in diesen Ländern durch die fortschreitende Säkularisierung nicht mehr so breit verankert.

Und drittens haben auch christlich verwurzelte Familien im Westen heute nicht mehr so viele Kinder. Das heißt, die Anzahl der Menschen, die sich für ein religiöses Leben entscheiden könnten, ist einfach kleiner geworden. Deshalb liegt der Altersdurchschnitt der Brüder in Ländern wie Deutschland oder Italien heute bei über 70 Jahren. Aber das ist nur die eine Seite...

KNA: Das heißt?

Perry: In Afrika und Asien wächst der Orden. Auf den Philippinen haben wir gerade eine neue Kustodie gegründet. In Vietnam steigt die Zahl der Brüder sogar kräftig, auch in Indien. Dort ist das durchschnittliche Alter 38 Jahre.

KNA: Das klingt, als würden Orden bald ein Phänomen der religiösen, tendenziell armen Gesellschaften des Südens. Können Sie sich eine Wiederauferstehung der Orden im säkularisierten Westen überhaupt vorstellen?

Perry: Ich glaube an Wunder - und die Auferstehung ist schließlich ein Kernmotiv unseres Glaubens. Gott hat seine eigenen Pläne für diese Welt. Auch in den säkularisierten Gesellschaften haben die Menschen niemals aufgehört, nach der Bedeutung des Lebens zu fragen, und sich auf die Suche gemacht. Die Festigkeit der Überzeugung von Menschen, die im Orden leben wollen, ist aber wichtiger als ihre Anzahl.

KNA: Was sind das für Menschen, die sich heute einem religiösen Orden anschließen?

Perry: Ich würde grob von vier Gruppen sprechen: Die einen suchen eine spirituelle Richtung, wollen die materielle Welt hinter sich lassen und geben sich nicht mehr mit «Facebook-Antworten» auf die Frage nach dem Sinn ihrer Existenz zufrieden. Die zweite fühlt sich von der geistlichen Gemeinschaft angezogen, vom Gedanken an ein Leben mit Menschen «auf der gleichen Wellenlänge». Dann gibt es diejenigen, die vor allem den Armen und Schwachen dienen und so diese Welt verändern wollen. Und schließlich kommen natürlich auch einige, die einfach noch nicht wissen, was sie eigentlich in ihrem Leben genau suchen.

KNA: Orden waren immer auch Versorgungsinstitutionen. Spielt das gerade in den armen Ländern auch eine Rolle?

Perry: Wer nur Bed and Breakfast sucht, ist schnell wieder weg, bevor er überhaupt mit dem Noviziat beginnt. Dafür reicht die endgültige Entscheidung für die Ordensgelübde Armut, Gehorsam, Ehelosigkeit zu weit. Übrigens entscheidet sich die Mehrheit der Postulanten, die um die Aufnahme zum Noviziat ersuchen, letztlich doch dagegen. Und das ist auch nicht schlecht so.

KNA: Kann man diejenigen, die bleiben, als Radikale bezeichnen?

Perry: Der Name hat heute einen negativen Klang und trifft es deshalb nicht. Radikal erscheint eher, wer Macht und Geld zum Mittelpunkt seines Lebens erklärt. Im Mittelpunkt steht für uns die praktische Arbeit für eine bessere Welt im Namen Jesu. Die Option für die Armen ist Teil der DNA unseres Ordens. Zwei Drittel der Brüder widmen ihre Arbeit den Schwachen, Armen, Ausgegrenzten, Obdachlosen. Außerdem engagiert sich der Orden traditionell für den interreligiösen Dialog. Das ist alles andere als radikal.

KNA: Für 2015 hat Papst Franziskus ein Ordensjahr ausgerufen. Was versprechen sie sich davon?

Perry: Dass die Kirche es schafft, den Dialog zwischen den Orden und den Menschen außerhalb zu fördern. Es geht ja nicht darum, möglichst viele junge Menschen in die Orden zu holen, sondern ihre Probleme zu verstehen - besser zu verstehen, wie wir als Orden darauf antworten können.