Bruder Thomas erlebte Franziskus aus der Nähe

"Dieser Mensch lebt wirklich das, was er verkündet"

Bruder Thomas Freidel lebt im Franziskaner-Kloster in Assisi. Er hat Papst Franziskus bei der Messe am Freitag assisitiert. Im domradio.de-Interview spricht er über seine Begegnung mit dem Heiligen Vater.

 (DR)

domradio.de: Assisi im Ausnahmezustand. Ist das übertrieben?

Bruder Thomas: Kann man schon so sagen. Also, dass so viele Menschen hierher kommen, das ist natürlich nicht immer so. Natürlich wird Assisi von Millionen im Jahr besucht, aber heute sind es mindestens 50.000, die hier Platzkarten reserviert hatten, aber wahrscheinlich nochmal mehr als die doppelte Menge dazu. 

domradio.de: Wie nah sind Sie selbst dem Papst denn gekommen?

Bruder Thomas: Ich habe bei der Messe als Diakon assistiert, war also ständig an seiner Seite, habe das Evangelium vorgetragen und war also die ganze Messe direkt neben ihm mit noch anderen Diakonen zusammen. Ich habe also direkt den Altardienst an der Seite des Papstes gemacht.

domradio.de: Und der Papst hatte einen vollen Zeitplan bei seinem Besuch. Schon morgens ist er mit behinderten Jugendlichen zusammengetroffen. Was hat Sie da am meisten beeindruckt?

Bruder Thomas: Es ist so, Franziskus wollte alle wichtigen Stätten hier in Assisi besuchen und natürlich auch seinem ganz persönlichen Akzent entsprechend sich mit den Armen und Bedürftigen treffen. Und das erste war eben sofort nach seiner Landung heute Morgen, die Begegnung in diesem Instituto Serafico. Das ist eine Einrichtung für schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche, mit denen er dort am Anfang zusammengetroffen ist. Diese Begegnungen mit Armen und Bedürftigen ziehen sich ja noch durch den Tag weiter. Auch bei der Messe waren natürlich welche da. Anschließend folgte das Mittagessen im Caritas-Zentrum, wo der Papst allein hingefahren ist mit dem Bischof von Assisi und dort mit Bedürftigen gegessen hat. Das ist ihm ja ein ganz wichtiges Anliegen. Eine Kirche, die für die Armen da ist und die sich gerade denen zuwendet, die am Rande stehen. Wir selber sind mit diesem Behinderteninstitut hier eng verbunden. Die feiern auch oft ihre Gottesdienste mit uns zusammen. Unsere Novizen machen dort auch Sozialdienst. Uns hat es auch sehr gefreut, dass diese wichtige Einrichtung auch stärker in den Blick kommt. 

domradio.de: Immer wieder, so auch heute, hat Franziskus betont, dass die Kirche alles Weltliche hinter sich lassen soll. Hat er damit auch den Ton der Menschen in Assisi getroffen?

Bruder Thomas: Ja, ganz bestimmt in seiner Predigt. Er hat jetzt in der Predigt nicht, wie vielleicht manche vermutet haben, Neuigkeiten auch kirchenpolitischer Art verkündet, sondern hat sich ganz auf Christus und Franziskus konzentriert. Vom Anblick des San Damiano Kreuzes, des Kreuzes der franziskanischen Berufung, ausgehend hat Franziskus verstanden, wer Christus für ihn ist, und dass eben franziskanisches Leben nicht einfach so ein Wohlfühl-Zustand ist, nicht so eine oberflächliche Gefühlsduselei, sondern eben, dass da etwas Starkes dahinter steht. Keine, wie er es gesagt hat, pantheistische Harmonie mit den Energien des Kosmos, sondern eben ganz konkret dieses Joch auf sich zu nehmen, wovon im Tagesevangelium die Rede ist. Sich von Gott führen lassen und in der Gemeinschaft, in der Verbindung mit Gott diesen Weg zu gehen. Er hat ganz stark diesen Akzent betont, und diese Haltung führt natürlich dann vor allem in das Friedensstiften hinein. Das war der ganz wichtige Appell natürlich für den Frieden ausgehend vom Glaubenszeugnis des Franziskus.

domradio.de: Gestern gab es schon wieder eine ganz schreckliche Flüchtlingskatastrophe vor der Insel Lampedusa, die Papst Franziskus ja vor wenigen Monaten besucht hatte. War das heute auch ein Thema bei seinem Besuch in Assisi?

Bruder Thomas: Daran wurde natürlich auch erinnert. Schon in der Begrüßung hat das der Bischof von Assisi angesprochen, und der Papst selber hat auch noch einmal daran erinnert. Natürlich stand das heute auch im Mittelpunkt. Es war auf jeden Fall ein Thema, das alle heute beschäftigt hat hier.

domradio.de: Ich hab es eben schon gesagt, die Italiener nennen den Heiligen Franziskus auch den Poverello, den kleinen Armen. Der Papst sagt immer wieder, die Barmherzigkeit der Kirche und die Option für die Armen liegen ihm am Herzen. Nach dem, was Sie bisher von ihm mitbekommen haben, hat Franziskus sich den richtigen Namen gewählt?

Bruder Thomas: Ja ganz bestimmt. Man sieht das ganz klar. Natürlich wählt jeder Papst seinen Namen bewusst, begründet es. Aber bei ihm ist es nochmal ein ganz besonderer Akzent. Dahinter steckt eine besondere Absicht, die Gestalt des Franziskus vor Augen zu stellen für radikales Christsein, für den Einsatz für den Frieden, für den Einklang mit der Schöpfung. Das ist ja etwas, was viele Menschen auch berührt und anspricht. Der Papst selber lebt und stellt das ja auch dar. Ich hab es mir heute gedacht, eben die ganze Zeit, wo ich so neben ihm stand, ich war eigentlich nicht mehr aufgeregt, als sonst bei besonderen Anlässen. Es war sowohl bewegend, bei dem Papst zu sein, als auch wieder ganz normal, weil er selber auch in ganz einfacher Weise präsent ist, und das spüren die Menschen. Beim Auszug am Ende, da merkt man das wirklich, wie die Menschen sich ihm zuwenden und wie sie um seinen Segen bitten und sehen, dieser Mensch lebt wirklich das, was er da verkündet. Es sind ja auch gar keine großen und hochschwingenden Worte, die er macht, es sind ganz einfache Worte, aber sie sind echt und glaubwürdig. 

domradio.de: Schauen wir doch noch einmal auf den Ort. Assisi hat ja eine ganz besondere Bedeutung für Italien, aber auch für die katholische Kirche. Johannes XXIII. hat hier um ein gutes Konzil gebetet. Johannes Paul II. mit seinem großen Friedensgebet war auch in Assisi, und das hat Benedikt XVI. noch mal erneuert. Passt dieser Franziskus-Besuch heute in diese Reihe hinein?

Bruder Thomas: Er passt natürlich hinein. Jedes Mal hat wieder einen anderen Akzent. Dieses Mal, weil es eben Papst Franziskus ist. Er kam ja selber auch zum ersten Mal hierher, auch er als Privatperson sozusagen hat zum ersten Mal die Basilika San Francesco betreten. Also für ihn selber war das auch ein wichtiger Schritt, hierher zu gehen. Die Akzente sind jedes Mal anders, und doch passt es in eine Linie hinein. Das was hier Thema ist, das kommt immer irgendwo zum Vorschein, und das wird irgendwo bewusst. Assisi als Stadt des Friedens, des Dialogs. Auch heute waren zum Beispiel in der ersten Reihe Vertreter der muslimischen Gemeinden aus Italien gewesen. Also so ein kleines bisschen von diesen Akzenten spielt hier immer eine Rolle, und so schreibt jetzt dieser Tag heute die Geschichte weiter. Wir haben ja Papstbesuche hier seit dem Juni 1228, seit Papst Gregor IX. hier die Basilika erbauen ließ. Nach dem Tod des Franziskus durchgehend. Papst Johannes Paul II., der sechs Mal hier gewesen ist, Benedikt zwei Mal. Der Tag fügt sich ein in diese Linie der Geschichte, der Präsenz der Päpste hier.

domradio.de: Man kann sich gut denken, dass Papst Franziskus heute auch nicht das letzte Mal da war.

Bruder Thomas: Vorstellbar, ja. Wir werden es sehen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR