Merkel-Biograf erwartet Gespräch über Europa zwischen Kanzlerin und Papst Franziskus

Mehr als ein Pflichtbesuch

Die Bundeskanzlerin wird am Samstag vom Papst erstmals zu einer Privataudienz empfangen. Publizist Volker Resing im domradio.de-Interview über Angela Merkels Religiosität und mögliche Berührungspunkte zu Franziskus.

Merkel bei Franziskus' Amtseinführung / © Bundesregierung/Bergmann
Merkel bei Franziskus' Amtseinführung / © Bundesregierung/Bergmann

domradio.de: Angela Merkel trifft Papst Franziskus - nur für das Foto für den Wahlkampf? Oder aus spirituellen Gründen?

Resing: Dass in einem Wahljahr alles, was die Bundeskanzlerin macht, unter dem Verdacht des Wahlkampfs steht, ist klar. Aber das ist sicherlich nicht alles. Eine spirituelle Verbindung ist vielleicht zu hochgegriffen. Sie hat ein ehrliches Interesse an Franziskus. Sie hat seine auf Deutsch erschienen Bücher gelesen - und daraus bereits zitiert. Beispielsweise überraschend bei der CDU-Präsidiumssitzung, wo sie über Franziskus' Europa-Analyse gesagt hat, die könne sie nur teilen.

domradio.de: Wie würden Sie Merkel' Beziehung zum neuen Papst beschreiben?

Resing: Ich glaube, sie ist sehr neugierig. Sie ist interessiert an Franziskus' globaler Perspektive auf Europa. Und sein Auftreten ist ihr vielleicht ein bisschen näher als das seines Vorgängers Benedikt. Sie hat grundsätzlich ein Interesse an religiösen Fragen, deshalb handelt es sich auch nicht um einen Pflichtbesuch.

domradio.de: Religiöses Interesse: ja. Aber nicht begeistert, oder?

Resing: Religiöse Begeisterung ist sicherlich nicht ihr Ding. Sie ist eine preußische Protestantin, und ihr ist auch das Nüchterne in der Religion wichtig. Ihre Bekenntnisse zu Religion stehen auch deshalb immer im Verdacht, taktisch zu sein. Genau zu ergründen ist das sicherlich nicht. Aber wenn sie sagt, dass Religion ihr täglicher Begleiter ist, drückt das schon aus, dass sie interessiert ist.

domradio.de: Wo können die Berührungspunkte zu Franziskus liegen?

Resing: Franziskus hat geschrieben, dass Europa immer weniger Kinder hat und sich immer weniger Menschen zum Christentum bekennen, dass Wirtschafts- und Innovationskraft abnehmen. Er beschreibt die Krise Europas und fragt: Warum kämpfen die Menschen nicht gegen diese Entwicklungen an? Wir wollen in der globalisierten Welt unsere Werte verteidigen. Genau hier sind, glaube ich, die Berührungspunkte. Auch Merkel treibt dieses Thema um, noch diese Woche hat auch sie gefragt: Warum macht sie eine Lethargie in Europa breit? Das sagt sie auch immer wieder gerne Kirchenvertretern: Verzagt nicht wegen der Säkularisierung, sondern organisiert einen Aufbruch, das kann die Politik nicht leisten.

domradio.de: Ihre Beziehung zu Franziskus' Vorgänger war ja eine andere...

Resing: Wenn man von Beziehung sprechen will, kann man sagen, dass die zu Franziskus noch am Anfang steht. Und aller Anfang wohnt ja bekanntlich ein Zauber inne. Und der ist von Neugierde und Gesprächsbereitschaft geprägt. Die Beziehung zu Benedikt XVI. ist älter. Sie haben sie bereits kennen gelernt, nachdem Angela Merkel bei Johannes Paul II. war. Danach war die Beziehung von Missverständnissen und einem Nichtfinden einer gemeinsamen Sprache geprägt. Das hatte aber vielleicht auch etwas mit der ungewöhnlichen Situation zu tun, dass ein Deutscher auf dem Petrusstuhl sitzt und eine deutsche Regierungschefin als die mächtigste politische Figur in Europa wahrgenommen wird.

Das Gespräch führte Christian Schlegel.