Ein Kommentar zum ersten Sonntag mit Papst Franziskus

Marini ohne Gardini

Es weht ein ziemlich frischer Wind durch die ewige Stadt. domradio.de-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen zeigt sich in seinem Kommentar beeindruckt von diesem Papst Franziskus, der schon in seinen ersten Tagen so vieles anders gemacht hat.

Ingo Brüggenjürgen im Vatikan (DR)
Ingo Brüggenjürgen im Vatikan / ( DR )

Am Sonntag hat "der Neue" erstmals das berühmte Fenster seines zukünftigen Arbeitszimmers im Apostolischen Palast in der dritten Etage – unmittelbar vor dem Petersdom – geöffnet. Aggiornamento, Öffnung zur Welt, dieses Programm hatte vor 50 Jahren schon sein Vorgänger im Amt Petri, der beliebte Johannes XXIII. der katholischen Kirche verordnet. Und auch beim ersten Angelusgebet sorgte Papst Franziskus für frischen Wind.

Das begann schon erneut bei seiner unkonventionellen Begrüßung der "Brüder und Schwester" mit einem herzlichen "Bon giorno". Wie am Mittwoch bei seinem ersten Auftritt, wo er die wartende Menge mit einem "Bona sera - Guten Abend" begrüßte. Bevor er mit gut 150.000 Menschen den Angelus betete, hatte der neue Papst auch in  der Kirche St. Anna alles neu und anders gemacht. Wie ein Gemeindepfarrer predigte er und verabschiedete sich am Ende vor der Kirchentür mit Handschlag oder Umarmung. Es wurde gelacht und gescherzt. Nur die Sicherheitsleute hatten ein ziemlich ungutes Gefühl, als der Chef des Vatikans dann noch mal eben die Richtung wechselte und einfach so aus dem Vatikan marschierte, um auch dort die Gläubigen herzlich zu begrüßen. Für viele Vatikanbediensteten ist in diesen Tagen vieles neu, wie man trotz der meterdicken und hohen Mauern hört. Alle vorbereiteten Reden und Predigten verschwinden ganz schnell wieder in den Schubladen, dieser Papst lässt sich nichts vorschreiben. Ob es wirklich stimmt, was mehrere Quellen berichten, dass Franziskus schon bei der ersten Kleideranprobe seinem Zeremonienmeister Marini entgegnete, die Mozetta könne er sich, wenn sie denn so wichtig sei, ja selber umhängen? Egal, im Vatikan gibt "der Neue" jetzt auf jeden Fall auch den neuen Kleiderton an. Ein Jesuit im Vatikan bemerkte heute spitz beim Anblick des Zeremonienmeisters in St. Anna: "Da schau her -  unser lieber Marini, heute erstmalig auch ohne Gardini …" Denn dieser trug in der Tat heute nur ein einfaches schlichtes weißes Chorhemd. Der neue Chef wirkt offenbar und erzielt ganz offenbar auch Wirkung!

Alle Amtsträger im Vatikan sind erst einmal im Amt bestätigt worden – vorläufig. Am Samstag trifft sich Franziskus dann mit seinem direkten Vorgänger im Amt, Benedikt XVI. Vielleicht gibt dieser dem "Papst vom anderen Ende der Welt" auch noch einige Worte in Sachen Vertrauen und Personal mit auf den Weg? Verwunderlich wäre das nicht. Inhaltlich  liegen die beiden in vielen Dingen sowieso ganz auf einer Linie – auch wenn die äußeren, abweichenden und ganz neuen Zeichen derzeit die Diskussionen bestimmen. Franziskus hat, ebenso wie Benedikt es unermüdlich in seiner Amtszeit betont hat, bereits deutlich gemacht: Es geht nicht um den Papst, sondern um Jesus Christus und die richtige Gottesnachfolge. Beim ersten Angelus hat der neue Pontifex Maximus Gottes Barmherzigkeit in den Mittelpunkt gestellt – Gott würde alles vergeben. Dabei hat er ganz geschickt und humorvoll auch noch den deutschen Kardinal Walter Kasper und sein Buch zur Barmherzigkeit erwähnt. Auch wenn er keine PR machen wollte, das Buch wird bald nachgedruckt werden müssen, nach dieser ersten quasi außerordentlichen päpstlichen Imprimatur.

Man bekommt Angst um ihn

Wenn man die vielen Dinge, die man vom neuen Heiligen Vater in den letzten Tagen gehört hat, in seinem Herzen bewegt, bekommt man fast ein wenig Angst um ihn. In Deutschland ist nach einer jüngsten Umfrage eine große Mehrheit vom Papst begeistert, hier in Rom fliegen ihm die Herzen der Italiener ebenso nur so zu. Man freut sich sogar, dass kein Italiener auf dem Stuhl Petri sitzt! Kann Franziskus diese immer noch ansteigenden Erwartungen erfüllen? Man wird sehen, aber alles deutet darauf hin, dass auch er nicht hinter seinen eigenen Ansprüchen zurückbleiben will.

Beim Angelus hat er von den meisten Beobachtern völlig unbemerkt erneut ein deutliches Zeichen gesetzt: Nein, nein, all die äußerlichen Dinge vergessen wir jetzt mal, denn diesem Diener der Diener geht es um wahre, echte Glaubensinhalte. Gestern hat er gesagt, er hätte den italienischen Nationalheiligen Franz von Assisi zwar auch als Namenspatron ausgewählt, um an seine familiären Wurzeln in Italien zu erinnern. Seine neue Familie sei jetzt aber die Familie der Kirche! Klingelt es da? Auch Franziskus hatte seiner Familie damals radikal entsagt und seinem Vater gesagt, er sei jetzt nicht mehr sein Vater – er hätte nur noch seinen Vater im Himmel. Bloß dass der damalige Franziskus dabei dem Vater seine Kleidung vor die Füße warf und dann völlig nackt vor ihm stand …

Wenn der neue Franziskus weiter so selbstbewusst, uneitel, zielstrebig, einfach und klar das Wort Gottes verkündet, wie er es gestern wieder getan hat, dann wird er viele Menschen mitnehmen auf diesem 2000 Jahre alten Weg der Christusnachfolge. Wenn der 76-jährige Papst das Tempo der letzten Tage beibehält, dann braucht man kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass einigen älteren und jüngeren Herren im Vatikan noch so manches Mal die Luft weg bleiben wird. Und auch außerhalb des Vatikans wird dem Einen oder Anderen vermutlich bisweilen der Atem stocken. Aber keine Sorge, Franziskus hat das Fenster zur Welt heute geöffnet – und der Heilige Geist sorgt für frischen Wind und weht bekanntlich nicht nur an Pfingsten, wo er will.


Begeisterung für Franziskus nach dem ersten Angelus (KNA)
Begeisterung für Franziskus nach dem ersten Angelus / ( KNA )