Der Leiter von Radio Vatikan im Kommentar-Gespräch

"In der Form völlig neu: atemberaubend und wunderbar"

Pater Bernd Hagenkord SJ ist als Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan einer der profundesten Kenner des Vatikans. Hier spricht er über die Erwartungen an den neuen Papst Franziskus und dessen erste Tage im Amt.

 (DR)

domradio.de: Pater Hagenkord, Sie haben in den letzten Tagen permanent kommentiert. Wenn Sie zurückblicken: Was ist Ihr Eindruck?

Pater Bernd Hagenkord: Im Augenblick ist das alles noch sehr verwirrend und sehr neu und sehr atemberaubend. Wir sehen einen Papst., der für Vatikanbeobachter auf völlig neue Art und Weise auf Leute zugeht, der eine ganz eigene Form von Protokoll hat, der sehr direkt ist, der sehr pastoral ist, der inhaltlich immer noch sehr stark an dem dran ist, was Benedikt XVI. uns acht Jahre lang gesagt hat, der aber in der Form völlig anders und neu auftritt. Das ist wunderbar, atemberaubend und spannend, aber auch ein bisschen beunruhigend, weil wir ja darüber berichten müssen.

domradio.de: Da knüpfe ich an: In der Berichterstattung ist es natürlich schwierig, wenn der Papst, wie man hört, alle vorbereiteten Reden beiseite legt und jenseits des Protokolls immer wieder eigene Worte findet, die dann ganz spontan übersetzt werden müssen.

Pater Hagenkord: Das ist im Prinzip ein technisches Problem, damit können wir umgehen, daran müssen wir uns gewöhnen, dass das ab jetzt so geht und nicht mehr anders. Was wir aber im Moment vor uns haben, ist: Wir müssen weg vom Boulevard, wir müssen weg von Themen wie „Papst bezahlt seine Rechnung selbst“ und „Papst geht zu Fuß“ und „Papst trägt keine roten Schuhe“. Wir müssen zurück zum Inhalt. Ich glaube, das wird der nächste Schritt sein, den wir vollziehen müssen. Er hat bisher schon ganz starke Aussagen getroffen, in den drei Ansprachen, die er bisher schon gehalten hat. Das müssen wir in den Fokus rücken und von diesen oberflächlichen Kleinigkeiten wegkommen – das will der Papst ja auch selbst.

domradio.de: Papst Franziskus hat es auch bei der Begegnung mit den Journalisten deutlich gemacht: Wichtig ist nicht der Papst, wichtig ist Jesus Christus, den müssen wir in den Mittelpunkt stellen. Denken Sie, dass ihm das gelingen wird?

Pater Hagenkord: Das ist Originalton Benedikt XVI., wenn ich das einmal so sagen darf. Ja, das wird ihm gelingen. Die Schwierigkeit liegt bei uns, was er heute beim Angelusgebet ja auch noch einmal gesagt hat: Gottes Liebe hört nie auf, aber die Menschen werden müde, danach zu fragen. Also, das Problem liegt bei uns, er wird sicherlich in seinem Pontifikat nicht müde werden, das zu betonen. 

domradio.de: Sie sind auch Jesuit wie Franziskus. Viele haben gedacht: Ein Jesuit auf dem Stuhl Petri, das geht überhaupt nicht. Was sagen denn die Jesuiten, wenn sie jetzt auf ihren Heiligen Vater schauen?

Pater Hagenkord: Das ist richtig. Wir waren alle erst einmal etwas geschockt. Das hat ja gar nicht mit der Person Jorge Bergoglio zu tun, sondern schlicht mit der Tatsache, dass wir Jesuiten uns eigentlich als Leute verstehen, die sich senden lassen, und nicht als solche, die die Sendung selbst vornehmen. Also nicht Leute, die sagen, wo es langgeht, sondern die gesagt bekommen, wo es langgeht. Also ist das eine Umstellung für uns, dass jetzt auf dem Stuhl Petri einer von uns sitzt. Natürlich sind wir froh, aber auf der anderen Seite ist es auch ein bisschen komisch. Das Gleiche wäre übrigens passiert, wenn vor acht Jahren Martini Papst geworden wäre, der Kardinal von Mailand, der damals hoch im Kurs stand. Auch er Jesuit, das gleiche Gefühl hätten wir da auch gehabt. Wir freuen uns. Aber irgendwie ist das auch ganz komisch.

domradio.de: Welche Bedeutung hat dieses Pontifikat für die Weltkirche? Sie sind ja jemand, der Lateinamerika kennt, Sie kennen auch bei Radio Vatikan das Zusammenspiel vieler Nationen – was kommt da jetzt auf uns zu?

Pater Hagenkord: Viel Herausforderndes – Europa hört auf, die erste Geige zu spielen. Das müssen wir einfach anerkennen, es kommen sehr viele Themen auf uns zu, die uns vielleicht nicht passen werden. Kapitalismuskritik zum Beispiel. Wir leben hier in Europa auf Kosten anderer Kontinente. Das werden wir immer und immer wieder zu hören bekommen. Das ist ja ein netter Papst zum Anfassen, aber es wird auch sehr anstrengend werden, was er uns vorhalten wird, was er uns für einen Spiegel vorhalten wird. Dann die Frage: Wir haben so unsere Kategorien, wir nennen einige Leute liberal, andere konservativ. Dieser Papst wird uns zeigen, dass diese Schubladen nicht mehr stimmen. Wir werden von diesem Papst sehr starke Aussagen im Bereich der Moraltheologie zu hören bekommen, wo alle schreien werden: Das ist furchtbar konservativ; und dann werden wir eben diese ganze Kapitalismuskritik zu hören bekommen, da werden alle schreien: Das ist ja linksliberal! Das passt alles nicht zusammen. Falsch! Wir müssen unser Schubladendenken aufgeben, um verstehen zu können, was dieser Papst von uns will. Das ist auch eine Herausforderung für uns.

domradio.de: Er hat bei dem Treffen mit den Journalisten deutlich gemacht, warum er den Namen Franziskus – Francesco – gewählt hat. Er hat das erneut beim Angelus betont. Franziskus ist nicht irgendeiner, sondern das ist eigentlich der Heilige par excellence. Denken Sie, das war eine gute Wahl ?

Pater Hagenkord: Das ist der Erzheilige der katholischen Kirche! Ich habe erst einmal geschluckt, denn der Druck, den er sich damit auferlegt, ist enorm. Er hat den Namen nicht gewählt, er hat ihn sich auferlegt! Die damit verbundene Erwartungshaltung ist enorm. Dieser Heilige ist ein wahnsinnig anstrengender Heiliger gewesen, damals schon, und wenn man ihn ernstnimmt, auch heute noch. Ich glaube, das hat er ganz bewusst gemacht, der Jesuitenorden hat sozusagen in den Genen festgeschrieben eine tiefe Verehrung für den Heiligen Franziskus, das gehört sich auch für einen Jesuiten so . Deshalb hat mich das wenig erstaunt, doch dann nachdenkend wurde mir klar: Das wird anstrengend, und ich glaube, er hat sich damit auch selbst einen Motor gegeben, nicht hinter diesen Anspruch zurückzufallen.

domradio.de: Viele sagen: 76 Jahre, das ist eigentlich schon ganz schön alt – Sie kennen den Papst eher aus der Nähe beobachtet, können seinen Gesundheitszustand besser einschätzen, sprechen mit Leuten ‑ müssen wir uns Sorgen um den Heiligen Vater machen?

Pater Hagenkord: Nein, wenn man die Bilder sieht, wenn man hört, wie er spricht, wie er auch mit den Augen Kontakt sucht, auch über diese große Distanz hinweg, vom Fenster aus über den Petersplatz hinaus, wie er agiert, wie er geht, wie er selbst Entscheidungen trifft, was er macht, was er nicht macht – das ist alles ganz bewusst. Er ist 76, er ist kein junger Mann mehr, aber meiner Meinung nach werden wir in näherer Zukunft ein stabiles Pontifikat haben.

domradio.de: Abschließende Frage: Sie sind Chef der deutschsprachigen Sektion von Radio Vatikan. Wie haben denn die Kollegen in den letzten Tagen diese ganze Menge Arbeit bewältigt, und wie geht es jetzt weiter?

Pater Hagenkord: Ich habe erst einmal jedem von uns einen Tag Pause verordnet. Das ist halt sehr, sehr viel gewesen. Aber das ist unser Brot und Butter, dafür sind wir da, in solchen Augenblicken mit Erklärungen, mit Hintergrundinformationen, mit Interviews zur Verfügung zu stehe, das klarzustellen, was im Vatikan vielleicht ein bisschen unverständlich ist ‑ das ist ja alles nicht so ganz einfach zu verstehen. Wir haben das seit dem 11. Februar gut hinbekommen, seit der Rücktrittsankündigung von Benedikt XVI. Wir freuen uns jetzt auf den neuen Papst und für uns beginnt die Arbeit jetzt, denn wir müssen jetzt den neuen Papst erklären.