Jesuiten-Flüchtlingsdienst über die Papst-Rede vor EU-Parlament

"Gegen engherzige Maschendrahtzäune"

Bei seiner Rede vor dem Europäischen Parlament hat Papst Franziskus einmal mehr den Finger in die Wunde gelegt und die europäische Flüchtlingspolitik kritisiert. Pater Frido Pflüger vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst im domradio.de-Interview.

Franziskus vor dem EU-Parlament (dpa)
Franziskus vor dem EU-Parlament / ( dpa )

domradio.de: Wurden Ihre Hoffnungen denn erfüllt?

Pflüger: Ja, eigentlich schon, und zwar weil er unser Thema, also die Flüchtlingspolitik und die Flüchtlingsarbeit, in einen sehr großen Zusammenhang gestellt hat:  in den europäischen, geistig-kulturellen Zusammenhang. Wenn er die Würde des Menschen betont, wenn er von der Heiligkeit der menschlichen Person spricht und das ausfaltet in die verschiedenen Richtungen bis in die Arbeit hinein, in die Kultur, in die Erziehung - da merkt man natürlich auch, dass das ein Mensch ist, der auch die europäische Kultur kennt. Er drückt an vielen Stellen in seiner Rede aus, wie wichtig ein Europa ist, das die Menschenrechte fördert, um die Würde der Personen zu verteidigen. Denn das ist noch nicht so - und er spricht dann sogar von Wegwerfen von Menschen, wenn sie nicht mehr nützlich sind...

domradio.de: ....und er spricht auch konkret die Situation der Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer an.

Pflüger: Genau. Das ist im späteren Teil, wo er sagt, man kann es nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zum Friedhof wird. Dass Europa und die Europäische Union dort viel mehr machen muss. Er fordert es von den Parlamentariern ein. Er sagt, eure Aufgabe ist es, sich der Gebrechlichkeit der Menschen und der Völker anzunehmen. Er erwähnt es an einer anderen Stelle nochmal sehr deutlich, wo er über die religiösen Minderheiten redet, die barbarischer Gewalt ausgesetzt sind, vertrieben sind und ermordet werden. Da haben wir etwas zu tun. Er balanciert es dann zwar auch und sagt, es ist Aufgabe des Parlaments, Gesetze zu machen, die die Rechte der europäischen Bürger schützen, aber genauso eben ist es die Aufgabe, die Rechte der Migranten zu sichern.

domradio.de: Sie haben jetzt gerade gesagt, Sie sind eigentlich zufrieden. Das heißt, Sie sind nicht komplett zufrieden?

Pflüger: Als Jesuiten-Flüchtlingsdienst hätte ich mir natürlich noch ein bisschen deutlichere Worte gewünscht. Aber die bringt er ja an vielen anderen Stellen. Da spricht er sehr deutliche Worte. 

domradio.de: Papst Franziskus ist ja auch keiner, der große politische Reden hält, normalerweise. Trotzdem überrascht er dann immer wieder mit seiner persönlichen, herzlichen Art. Hat er dies in Ihren Augen auch jetzt vor dem Europäischen Parlament in Straßburg getan?

Pflüger: Sehr. Man hat das ja auch am Applaus gemerkt. Es waren so ganz wunderbaren Formulierungen, wenn er sagt, Europa soll seine gute Seele wiederentdecken, Europa, das auf den Menschen schaut und ihn verteidigt und schützt. Das ist die Aufgabe von Europa und da sind unsere Flüchtlingsthemen sehr gut aufgehoben. Denn wenn dieser Geist auch bei unseren Politikern wirkt, dann können wir nicht mehr so engherzige Maschendrahtzäune hochziehen.

domradio.de: Glauben Sie denn, dass die Rede des Papstes tatsächlich eine Wirkung auf die europäische Flüchtlingspolitik haben kann?

Pflüger: Ich hoffe es. Ich glaube es. Ich gebe den Glauben nicht auf, weil ich merke, dass auch immer mehr Menschen für diese Problematik sehr offen sind und sehr darauf zugehen, dass wir was tun müssen und manchmal die Politiker noch etwas hinterherhängen. Aber diese Rede war ja wirklich ein pädagogischer Akt. Franziskus hat die Politiker mit einer Moral ausgestattet, die es ihnen ermöglicht, anders zu denken und andere Gesetze zu machen.

domradio.de: Seien wir doch mal utopistisch und stellen uns vor, die europäischen Politiker würden jetzt ganz ideal auf diese Rede reagieren. Was müssten die am dringendsten tun?

Pflüger: Zunächst mal müssen sie mehr Ressourcen zur Verfügung stellen. Zum Beispiel das Triton-Schutzabkommen im Mittelmeer, das Mare Nostrum ablöst, ist natürlich kleinkariert. Absolut kleinkariert. Und es nimmt einfach den Tod vieler Menschen aus finanziellen Mitteln hin. Es müssen sichere und legalere Zugangswege nach Europa geschaffen werden. Zum Beispiel durch erweiterte Visa-Verfahren, durch Aufnahme von größeren Flüchtlingskontingenten. Die Möglichkeiten hätten wir ja. Und es muss vor allem natürlich in Gesamteuropa durchgesetzt werden und nicht nur in einzelnen Ländern. Die Verordnungen, die wir in Europa haben, sind natürlich so desparat oder werden zumindest so desparat umgesetzt, dass man von keinem einheitlichen Asylverfahren sprechen kann. Da wären ganz große Dinge noch zu tun.

Das Gespräch führte Hilde Regeniter. Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Weder domradio.de noch das Erzbistum Köln machen sich Äußerungen der Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen zu eigen.


Quelle:
DR