"Papabili" der Weltkirche im Kurzporträt

Einer wird gewinnen

Schon wenige Stunden nach dem überraschenden Amtsverzicht Benedikts XVI. zum 28. Februar wurde in den Medien das traditionelle "Papst-Roulette" eröffnet: Wer wird der Nachfolger?

Die Papstwahl (Grafik aus dem neuen Baedeker-Reiseführer Rom) (Baedeker)
Die Papstwahl (Grafik aus dem neuen Baedeker-Reiseführer Rom) / ( Baedeker )

Nachdem sich der erste Rauch gelegt hat, stellen wir einige der Kandidaten in alphabetischer Reihenfolge vor.

Angelo Bagnasco (Genua/Italien, 70)

Als Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz gehört Bagnasco zu den einflussreichsten Kirchenführern des Landes. Seit März 2007 leitet der promovierte Philosoph die zweitgrößte Bischofskonferenz der Weltkirche nach der Brasiliens. Im Jahr zuvor hatte er als Nachfolger des zum Kardinalstaatssekretär berufenen Tarcisio Bertone (78) die Leitung der Erzdiözese Genua übernommen; davor war er italienischer Militärbischof. Der feingliedrig wirkende Kirchenmann gilt als weniger "mächtig" als sein Vorgänger Kardinal Camillo Ruini (82), da viele Kontakte mit der italienischen Politik zuletzt direkt über das vatikanische Staatssekretariat liefen. In Brescia als Sohn eines Bäckers geboren, wuchs Bagnasco in Genua auf und war zunächst Pfarrseelsorger. Nach 1980 lehrte er Theologie in Genua. 1998 Bischof und zwei Jahre später Erzbischof im adriatischen Pesaro. 2003 übernahm er das Amt des italienischen Militärbischofs. Vom langjährigen italienischen Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat er sich seit einigen Jahren deutlich distanziert.

Jorge Mario Bergoglio (Buenos Aires/Argentinien, 76)

Trotz seines Alters wird der Erzbischof von Buenos Aires von einigen erneut als einer der Favoriten gehandelt. Beim Konklave 2005 soll Bergoglio 40 Stimmen erhalten haben; sein Rückzug habe dann die Wahl Joseph Ratzingers mit großer Mehrheit ermöglicht. Die vor einigen Jahren in argentinischen Medien veröffentlichten Zeugenaussagen, Bergoglio habe während der Militärdiktatur (1976-1983) als Jesuiten-Provinzial Ordensleute nicht genug vor Übergriffen der Machthaber geschützt, könnten seine Chancen schmälern, ebenso wie seine 2010 zwischenzeitlich angeschlagene Gesundheit. Der persönliche Lebenswandel Bergoglios gilt als prophetisch: bescheiden, volksnah, ökologisch. Als "Kardinal der Armen" nutzt er meist öffentliche Verkehrsmittel und verzichtet auf bischöflichen Prunk.

Joao Braz de Aviz (Kurienkardinal/Brasilien, 65)

Der frühere Erzbischof von Brasilia ist als Leiter der Ordenskongregation der höchstrangige Brasilianer im Vatikan. Ihm wird - wie dem deutschen Kurienpräfekten Erzbischof Gerhard Ludwig Müller - eine Nähe zur Befreiungstheologie nachgesagt, was ihm in Lateinamerika viele Sympathien einträgt. Braz de Aviz tritt zurückhaltend auf und ist international relativ unbekannt. 2012 nahm ihn Benedikt XVI. ins Kardinalskollegium auf.

Timothy Dolan (New York/USA, 63)

Der katholische Erzbischof von New York und Vorsitzende der US-Bischofskonferenz ist das mediale "Gesicht der US-Kirche". Der wuchtige, volksnahe und dynamische Bischof irischer Abstammung schien dem Vatikan 2009 der richtige Mann, neuen Schwung ins kirchliche Leben des "Big Apple" mit seinen mehr als 2,5 Millionen Katholiken zu bringen. Wegen der besonderen Stellung New Yorks als Trendsetter und Medien- und Wirtschaftsmetropole nannte Johannes Paul II. den New Yorker Erzbischof einmal den "Bischof der Hauptstadt der Welt". Dolan zählt unter den US-Bischöfen zu den gemäßigten Konservativen.

Als Erzbischof von Milwaukee (seit 2002) beendete er allzu liberale Experimente aus der Ära seines Vorgängers. 1950 in St. Louis geboren, studierte Dolan unter anderem in Rom und arbeitete ab 1987 nach Stationen als Seelsorger und Hochschullehrer in der Vatikanbotschaft in Washington. In der US-Innenpolitik legte er sich wiederholt mit Präsident Barack Obama an, dem er eine schleichende Einschränkung der Religionsfreiheit vorwirft.

Peter Erdö (Budapest/Ungarn, 60)

Der Primas von Ungarn verkörpert Seriosität. Der umsichtig argumentierende Kirchenrechtler studierte in kommunistischer Zeit Budapest und Rom. Nach Jahren als Dekan und Rektor an der katholischen Universität Budapest wurde Erdö 2003 Erzbischof von Esztergom-Budapest, Kardinal und Primas - als Nachfolger des der Kollaboration verdächtigen Franziskaners Laszlo Paskai (85). Seit 2006 leitet der Vorsitzende der nationalen Bischofskonferenz auch den Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE). 2011 erhielt Erdö den Auftrag des Papstes, zwischen dem Kardinal von Lima, Cipriani Thorne, und dem Rektorat der Päpstlichen Katholischen Universität von Peru zu vermitteln; er blieb aber erfolglos. In seiner Heimat spricht Erdö schnörkellos: Der Kommunismus habe den "bürgerlichen Anstand ausgelöscht"; die freiwillige Befolgung von Rechtsnormen sei sehr niedrig.

Laurent Monsengwo Pasinya (Kinshasa/Kongo, 73)

Der Erzbischof der kongolesischen Hauptstadtdiözese Kinshasa ist einer der Top-Kandidaten des Schwarzen Kontinents. Als erster Afrikaner erwarb der Alttestamentler 1970 ein Doktorat am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom; danach war er als Professor in seiner Heimat tätig. Bereits mit 40 Jahren wurde Monsengwo 1980 Bischof. Lange war er Vorsitzender der nationalen Bischofskonferenz sowie des gesamtafrikanischen Bischofsrates SECAM. Am Ende der Mobutu-Diktatur moderierte er souverän die nationale Konferenz für einen Übergang zur Demokratie. 1992 lehnte er den ihm angetragenen Parlamentsvorsitz unter Verweis auf sein geistliches Amt ab. 2008 war er Sondersekretär der Weltbischofssynode, 2012 vatikanischer Exerzitienmeister - im Vatikan eine besondere Auszeichnung. Im Herbst gehörte er zu den Präsidenten der Weltbischofssynode zum Thema Neuevangelisierung.

John Olorunfemi Onaiyekan (Abuja/Nigeria, 69)

Seit den Anschlägen des 11. September 2001 erinnert der Erzbischof von Abuja immer wieder an die Notwendigkeit des Dialogs zwischen Muslimen und Christen in seinem Heimatland Nigeria. Auch die Ökumene ist ihm ein wichtiges Anliegen. Onaiyekan, 1944 im nigerianischen Kabba geboren, ist seit 1969 Priester und seit 1983 Bischof. 1992 wurde er zum Bischof und zwei Jahre später zum ersten Erzbischof von Abuja ernannt. Bei der ersten Afrika-Bischofssynode in Rom 1994 war er einer der meistbeachteten Redner. Seit 1999 ist Onaiyekan Vorsitzender der Nigerianischen Bischofskonferenz. Erst im November zum Kardinal erhoben, wurde er von Hunderten Landsleuten im Petersdom gefeiert; beim Empfang in der "Sala Ducale" steckte er die Heiligen Hallen des Vatikans mit seinem Lachen an.

Marc Ouellet (Kurienkardinal/Kanada, 68)

Als Präfekt der Bischofskongregation ist der polyglotte Kanadier Ouellet gleichsam "Personalchef" der Kirche. Seine Behörde ist für die Vorbereitung von Bischofsernennungen weltweit zuständig, soweit sie nicht in die Kompetenz der Missions- oder Ostkirchenkongregation fallen. Zwischen 2002 und 2010 sammelte Ouellet als Erzbischof in seiner Heimat Quebec pastorale Erfahrung in der Leitung einer großen Ortskirche. Davor war das Mitglied der Priesterkongregation der Sulpizianer schon einmal an der römischen Kurie tätig: als Sekretär und damit als "zweiter Mann" im für Ökumene-Fragen zuständigen Einheitsrat. Nach seinem Studium in Montreal und Rom war Ouellet zunächst als Rektor von Priesterseminaren in Kolumbien und in Kanada tätig. Von 1996 bis zu seiner Bischofsweihe 2001 war er Dozent am Institut für die Studien zu Ehe und Familie in Rom. In Deutschland trat er zuletzt bei der Trierer Heilig-Rock-Wallfahrt als Papstdelegat auf.

Gianfranco Ravasi (Kurienkardinal/Italien, 70)

Der Italiener hat eine Blitzkarriere im Vatikan vollzogen. Seit 2007 leitet der international bekannte Bibelwissenschaftler den Päpstlichen Kulturrat. In diesem Amt und auch mit seiner Initiative "Vorhof der Völker" versucht er, das Gespräch zwischen Kirche und zeitgenössischer Kunst und Kultur zu forcieren. Vor seiner Berufung an den Vatikan war Ravasi Präfekt der traditionsreichen Mailänder Bibliothek Ambrosiana. Neben seiner eigentlichen Disziplin, dem Alten Testament, ist er auch ein profunder Archäologe. Durch zahlreiche Buchveröffentlichungen, TV-Sendungen und Zeitungskommentare gehört der gesprächige Vielschreiber zu den bekanntesten Kirchenvertretern Italiens.

Oscar Andres Rodriguez Maradiaga (Tegucigalpa/Honduras, 70)

Der charismatische Erzbischof von Tegucigalpa galt bei der Papstwahl 2005 als einer der Favoriten. Seitdem haben sich seine Aussichten womöglich verschlechtert. Seine Haltung während des Staatsstreichs 2009 in Honduras hat ihm in linksgerichteten Kreisen Lateinamerikas den Spitznamen "Putsch-Kardinal" eingebracht. Der hoch gebildete, feinsinnige und sozial engagierte Salesianerpater ist ein Mann klarer Ansagen, unter anderem als Wortführer der Millenniums-Entschuldungskampagne zum Jahr 2000. Immer wieder kritisiert der Präsident von Caritas Internationalis Ungerechtigkeit und Drogenkriminalität in Lateinamerika. Dem 2009 gestürzten Staatspräsidenten Manuel Zelaya warf er ebenso Korruption vor wie dessen Nachfolgern im Amt. Seit 2001 ist der Doktor der Theologie und diplomierte Psychologe und Psychotherapeut Mitglied des Kardinalskollegiums.

Leonardo Sandri (Kurienkardinal/Argentinien, 69)

Der Sohn norditalienischer Einwanderer aus Buenos Aires gehört seit 2007 als Präfekt der Ostkirchenkongregation zu den einflussreichsten Kurienkardinälen in Rom. Zuvor war er sieben Jahre lang Substitut im Staatssekretariat und damit vatikanischer Innenminister. 1967 zum Priester geweiht, trat Sandri 1974 in den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls. Der Karrierediplomat war an den Nuntiaturen in Madagaskar und in Washington tätig und wirkte dann als Botschafter in Venezuela und in Mexiko. In der Endzeit des Pontifikates von Johannes Paul II. war es seine Aufgabe, die Ansprachen des Papstes zu verlesen. Am Abend des 2. April 2005 teilte er der Weltöffentlichkeit auf dem Petersplatz den Tod des polnischen Papstes mit.

Ruben Salazar Gomez (Bogota/Kolumbien, 70)

Der Erzbischof von Bogota wäre ein Überraschungskandidat. Der Vorsitzende der Kolumbianischen Bischofskonferenz wurde von Benedikt XVI. erst im November ins Kardinalskollegium aufgenommen. Als Vizepräsident des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM ist er in Lateinamerika bestens vernetzt. Der in Bogota geborene Geistliche ist medienerfahren und gilt als pragmatisch. Zur Lösung des bewaffneten Konfliktes in Kolumbien mahnte er zuletzt die Notwendigkeit eines Dialogs mit der Guerilla-Organisation FARC an, pocht jedoch auch auf eine realistische Einschätzung der Situation. Die Regierungsbilanz des Ratzinger-Pontifikates bewertete er unlängst kritisch, pries zugleich aber dessen theologisches Erbe.

Odilo Pedro Scherer (Sao Paulo/Brasilien, 63)

Der Erzbischof von Sao Paulo wird nicht nur in lateinamerikanischen Medien als aussichtsreich gehandelt. Der promovierte Theologe hat deutsche Wurzeln; seine Familie stammt von deutschen Auswanderern ab. Er ist ein Neffe von Kardinal Alfredo Vicente Scherer (1903-1996). Odilo Scherer übernahm die Leitung des Erzbistums Sao Paulo 2007; zwischen 1994 und 2001 arbeitete er an der Bischofskongregation im Vatikan. Der sprachgewandte und kluge, aber kühl wirkende Scherer wird zum konservativen Flügel der brasilianischen Kirche gezählt. Er ist bestens vernetzt und verfügt über starke Rückendeckung im Vatikan. In seiner Erzdiözese mit der Millionenmetropole Sao Paulo setzt er sehr auf junge, charismatische geistliche Gemeinschaften.

Christoph Schönborn (Wien/Österreich, 68)

Nicht nur wegen seines Alters ist der Wiener Kardinal "papabel". Seit mehr als einem Jahrzehnt fällt sein Name, wenn es um das höchste Kirchenamt geht. Der gegen Kriegsende im böhmischen Leitmeritz geborene Adelsspross besticht durch Freundlichkeit, Eloquenz und Konzilianz - die ihm von Kritikern mitunter als Schwäche ausgelegt wird. Schönborn übernahm das Hauptstadt-Erzbistum 1995 auf dem Höhepunkt eines Missbrauchsskandals. Er wirbt seither in einem international vorbildhaften Dialogprozess um neues Vertrauen in der und für die Kirche. Zu seinen Schwerpunkten zählt auch die moderne Großstadtseelsorge. Die Erosion der Gläubigenzahl konnte er verlangsamen. Die Drehscheibe Wien nutzt der Dominikaner zu Kontakten mit den Ostkirchen. Mitarbeiter am Weltkatechismus und Initiator des Jugendkatechismus "YouCat", ist er im internationalen theologischen Dialog sehr gefragt.

Angelo Scola (Mailand/Italien, 71)

Seit Sommer 2011 Erzbischof von Mailand, gehört Scola zu den profiliertesten Kirchenführern und Theologen Italiens. Zuvor war der Sohn eines Lastwagenfahrers Patriarch von Venedig. Zwischen 1995 und 2002 amtierte er als Rektor der römischen Lateran-Universität. Bis zu seiner Berufung nach Venedig war Scola, der in den frühen 1980er Jahren auch eine Lehrtätigkeit in Fribourg/Schweiz wahrnahm, in der einflussreichen Laien-Bewegung "Comunione e Liberazione" (CL) engagiert. Seit Oktober 2003 ist Scola Kardinal.

Luis Antonio Tagle (Manila/Philippinen, 55)

Tagle kommt von den für die katholische Kirche in Asien besonders wichtigen Philippinen. Nur in Brasilien und Mexiko leben mehr Katholiken. Erst seit Oktober 2011 ist der noch junge Kirchenmann Erzbischof der Hauptstadt-Erzdiözese Manila. Vor seiner Berufung auf diesen auch politisch eminent einflussreichen Posten war er seit 2001 Bischof von Imus südlich der Hauptstadt. Stipendiat des katholischen Hilfswerks Missio, konnte er nach dem Theologiestudium in den USA als Mitglied der Internationalen Theologenkommission des Vatikan ab 1997 römische Erfahrungen sammeln. Von kleiner, fast unscheinbarer Gestalt, wirkt Tagle durch geistliche Ernsthaftigkeit und asiatisches Charisma.

Peter Kodwo Appiah Turkson (Kurienkardinal/Ghana, 64)

Der telegene Ghanaer gehört zu den wenigen schwarzafrikanischen Kurienkardinälen. Seit 2009 ist er Präsident des päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden. Als "Sozialminister" ist er damit Gesprächspartner auch für solche Politiker, die zur vatikanischen Diplomatie (noch) keinen direkten Zugang haben. Turkson studierte zunächst in seiner Heimat, dann in New York und Rom, wo er in Bibelwissenschaften promoviert wurde. Nach Jahren als Theologieprofessor wurde er 1992 Erzbischof von Cape Coast. Zwischen 1997 und 2005 war er Vorsitzender der Ghanaischen Bischofskonferenz. Seine Kardinalsernennung im Jahr 2003 kam überraschend. Italienische Medien kürten den kommunikativen Kirchenmann zum "Star" des damaligen Konsistoriums. Zuletzt richtete sich die Aufmerksamkeit auch auf islamkritische Aussagen Turksons.

 

Quelle:
KNA