Ein Schmetterling aus dem Mittelalter verkündet die Auferstehung

Ostern verleiht Flügel

Tier- und schokoladenmäßig regieren im Osterrevier unangefochten Hase und Lamm. Dabei gibt es unter allem, was da kreucht und fleucht, schönere Sinnbilder für den christlichen Glauben: Schmetterlinge zum Beispiel.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Ein Tagpfauenauge / © arifoto UG (dpa)
Ein Tagpfauenauge / © arifoto UG ( dpa )

München im April 1991: Im bayerischen Landesamt für Denkmalpflege wird ein gotisches Kreuz aus dem Regensburger Schottenkloster überholt, künstlerisch eher durchschnittlich. Da bemerkt Restaurator Rupert Karbacher, dass aus dem Hinterkopf des Gekreuzigten eine grüne Schnur hervorlugt. Sie weist den Weg zu einem geheimnisvollen Hohlraum, der sich wie eine Griffelschachtel öffnen lässt. Was darin zum Vorschein kommt, entpuppt sich als Sensation.

Neben allerlei totem Ungeziefer liegt in einem Lederbeutel ein Reliquiar in Form eines Schmetterlings, "betörend schön", staunt Karbacher. Für die vier mal fünf Zentimeter große Emailarbeit auf feuervergoldetem Silber braucht der Restaurator nur ein wenig Benzin auf einem Wattestäbchen, um Korrosionsspuren zu beseitigen. Dann strahlen die Farben des knallbunten Insekts wie neu.

Kreuzigung auf einem Schmetterling

Im Gegensatz zu dem verwitterten hölzernen Kruzifix hat der Flattermann die 600 Jahre in seinem Versteck fast unbeschadet überstanden. Nur auf seiner Rückseite fehlt ihm ein Klappdeckel, der die in mehrere Fächer mit Wachs eingeklebten Reliquien verdeckte, außer einigen Knöchelchen von Heiligen auch ein Splitter vom Kreuz Christi.

Auf der Oberseite des Schmetterlings hat ein unbekannter Meister den Tod Christi filigran eingraviert. Unter dem Mikroskop erkennt Karbacher den mit drei Nägeln ans Kreuz geschlagenen Christus, die Seitenwunde blutet. Darunter hält seine Mutter Maria ihre Linke vor die Brust, die Rechte streckt sie klagend von sich. Ihr gegenüber schlägt sich Jesu Lieblingsjünger Johannes eine Hand trauernd vors Gesicht.

Wovür steht der Schmetterling?

Die Szene fügt sich harmonisch in die Schmetterlingsgestalt. Der senkrechte Kreuzbalken verläuft über den Körper des Tieres, die ausgebreiteten Arme Jesu spannen sich über die Flügel. Bis zu sechs hauchdünne gläserne Schichten liegen übereinander und erzeugen so eine fantastische Tiefenwirkung. Der Restaurator sieht in den kräftigen Grün- und Blautönen eine Landschaft und einen Himmel mit weißen Sternen angedeutet.

Der Schmetterling wird im Altgriechischen mit demselben Wort bezeichnet wie die Seele. Für die Ägypter symbolisierte er die Wiedergeburt, für die alte Kirche die Auferstehung. Paulus schreibt in seinem ersten Brief an die Korinther über das, was die Christen am Ende der Zeiten erwartet, die dann noch Lebenden und die Toten: "Wir werden alle verwandelt werden."

Schmuck für Grabmäler

Der Übergang von der Raupe, die sich in ihrem Kokon bis zur fast völligen Bewegungslosigkeit verpuppt, bis sich in neu gewonnener Gestalt ein farbenprächtiger Falter aus dem Dunkel zum Licht erhebt, gibt dazu ein treffendes Bild ab. Basilius der Große verwendet es im vierten Jahrhundert in einer Predigt. Als Motiv in der darstellenden Kunst tritt der Schmetterling aber erst in Barock und Romantik vermehrt auf, meist verziert er Grabmäler. Das Regensburger Reliquiar, gefertigt im frühen 14. Jahrhundert, ist weltweit ohnegleichen. Wer hat es für wen geschaffen? Wer hat es verschwinden lassen?

Die Leiterin der Kunstsammlungen des Bistums Regensburg, Maria Baumann, vermutet, dass der Schmetterling ursprünglich dem Regensburger Bischof Nikolaus von Ybbs als Brustkreuz diente: ein Spitzenwerk höfischer Kunst, vermutlich aus Prag, auf jeden Fall das wertvollste Stück des Regensburger Domschatzes. Es lässt sich in einer gut gesicherten Vitrine aus nächster Nähe besichtigen. Baumann ist außerdem überzeugt, dass das Kruzifix mit dem Schließfach etwa 60 Jahre später als der Silberfalter eigens angefertigt wurde, um diesen in Sicherheit zu bringen. Nur vor wem?

Karbacher hat eine Postkarte von seinem Fundstück in der Werkstatt. "Ich finde es immer noch wunderbar", sagt er. Das Bild erinnert ihn an das herausragende Ereignis seiner 31 Jahre beim Landesdenkmalamt. An den Gekreuzigten, der seine Auferweckung im Hinterkopf hatte.


Quelle:
KNA