Die Heilige Woche im Heiligen Land

Ein Jerusalem-Tagebuch

domradio.de-Reporter Renardo Schlegelmilch hat die Kar- und Ostertage in Jerusalem verbracht, und dabei viele Eindrücke gesammelt. Ein Tagebuch von den Erlebnissen zu einer besonderen Zeit an einem besonderen Ort.

Eindrücke aus Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Eindrücke aus Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

9.4.: Palmsonntag

Der Kulturschock schlechthin. Nicht nur muss ich mich am ersten Tag an Sprache, Schrift und Kultur in Israel gewöhnen, ich besuche auch direkt am ersten Tag die Palmprozession, die in Ostjerusalem beginnt, dem palästinensischen Teil der Stadt. Wir kommen an der großen Grenzmauer zum Westjordanland vorbei. Ich höre Geschichten von palästinensischen Christen, die Woche für Woche heimlich eine Lücke in der Mauer finden, um zum Gottesdienst auf der anderen Seite zu kommen. Damit riskieren sie ihr Leben. An der Prozession vom Ölberg in die Altstadt nehmen 15.000 Christen aus aller Welt teil. Jede Gruppe mit ihrer eigenen Spiritualität. Es gibt stille Rosenkranz-Gebete, aber auch laute Partymusik aus Lautsprecherboxen. Die Pilger gesellen sich zu den Gruppen, wo sie sich am wohlsten fühlen. Fast wie Jesus vor 2000 Jahren ziehen wir unter Jubel und respektvollen, andächtigen Blicken der Juden und Muslime am Straßenrand in die Altstadt Jerusalems ein – allerdings ohne Esel.

10.4. Karmontag

Heute bin ich auf der Via Dolorosa. Für mich schon im Vorhinein ein großer Wunsch, einmal die Straße zu sehen, die man aus unzähligen Filmen und Dokumentationen kennt. Jesus ist hier nicht mit seinem Kreuz entlang gelaufen, das ist historisch widerlegt. Trotzdem sind hier fast pausenlos Pilgergruppen unterwegs und gehen die 14 Stationen ab. Hier habe ich mich mit Michael Mohrmann verabredet, der zwischen der 7. und 8. Station lebt. Hier betreibt er mit seiner Frau den "Christus-Treff", ein Gästehaus der Johanniter, wo junge Leute am Leben in Jerusalem teilhaben können. "An Karfreitag kommen wir hier kaum aus der Tür," sagt er. Einkaufen müssen wir schon immer vorher. Letztes Jahr hat trotzdem eine unserer jungen Leute den Rückweg nicht geschafft, da musste ich sie abholen."

11.4. Kardienstag

Heute will ich verstehen, was diese Stadt ausmacht. Ich bin mit Georg Röwekamp verabredet, der das Jerusalemer Büro des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande leitet. Gemeinsam begeben wir uns auf einen Stadtrundgang. Quetschen uns durch enge Basarstraßen, vorbei an Unmassen von Pilgern. "Muss ich jetzt in der Situation Angst haben, dass mir etwas passiert?" frage ich. "Überhaupt nicht, es kann nur ein paar blaue Flecken geben im Gedränge." Überhaupt wirkt die Altstadt von Jerusalem größtenteils sehr gepflegt. Nirgends sieht man zwielichtige Gestalten. Dunkle Ecken gibt es nicht, da alles ausgeleuchtet und mit Kameras überwacht wird. Trotzdem kommt es auch hier immer wieder zu Attentaten. Meist Palästinenser, die israelische Soldaten mit Messern angreifen. Die Touristen und Geschäftsleute hier müssen sich damit abfinden. Da sie nicht selbst in der Schusslinie sind, merkt man auch nicht viel von Angst in der Stadt.

12.4. Karmittwoch

Heute muss ich noch einmal auf den Ölberg im palästinenischen Ostteil der Stadt. Ich bin verabredet im Deutschen Evangelischen Institut für Archäologie. Dieter Vieweger arbeitet hier seit 25 Jahren und forscht nach historischen Belegen für die Geschichten der Bibel. Kurzum: Via Dolorosa war nicht da, wo wir denken, der Felsen Golgota schon, und beim Jesusgrab weiß man es nicht so genau. Am Abend feiert die deutsche evangelische Gemeinde noch Grillfest auf dem Ölberg. Eine Gelegenheit, die Deutschen in der Stadt kennenzulernen. Auch für die meisten von ihnen ist der politische Konflikt zwar immer präsent, aber selten ein Gesprächsthema. Auf dem Rückweg in die Altstadt sperrt die Polizei mehrere Straßen und Zugänge zur Innenstadt ab. "Woran liegt das? Ist das normal?" frage ich. "Keine Ahnung, an sowas muss man sich hier gewöhnen", wird mir entgegnet. Heim kommt man trotzdem immer irgendwie.

13.4. Gründonnerstag

Der Tag des letzten Abendmahls wird begangen. Wir feiern den Gottesdienst in der deutschen Benediktiner-Abtei Dormitio, wo ich auch untergebracht bin. Der Saal, in dem das letzte Abendmahl gefeiert wurde, ist hier direkt im Nachbarhaus. Ein ganz besonderes Gefühl. Ich werde gefragt, ob ich nicht beim Gottesdienst einer der 12 Apostel sein will, dem die Füße gewaschen werden. Eine völlig neue Erfahrung für mich. Die Brüder der Abtei laden vor dem Gottesdienst noch alle zwölf Apostel zum Abendessen ein, man könnte auch sagen zum Abendmahl. Die Stimmung war vor 2000 Jahren im Nachbarhaus vielleicht ja ähnlich ausgelassen. Im Gottesdienst werden uns zwölf Aposteln die Füße mit warmen Wasser gewaschen, mit Öl gesalbt, und geküsst. Eine Situation, mit der ich gar nicht richtig umzugehen weiß. Wie reagiert man, wenn einem die Füße geküsst werden? Die Gedanken daran verfliegen allerdings auch wieder schnell. Die große Diskussion unter den Aposteln ist, wann wer Schuhe und Socken aus und wieder anzieht, und wer welches Handtuch gereicht bekommt.

14.4. Karfreitag

Heute ist Trauertag. Dem Leiden und Sterben Christi wird im Gottesdienst gedacht, der knapp drei Stunden geht und ohne Orgel, ohne Beleuchtung und ohne Eucharistie auskommt. Das Kreuz wird in der Krypta der Abtei-Kirche beigesetzt. Viele verharren nach dem Gottesdienst noch in der Krypta im stillen Gebet. "Das ist keine freudige Feier, zu der Sie gekommen sind" versichert Pater Nikodemus, der den Gottesdienst zelebriert "es ist karg, harsch und traurig. Aber auch diese Gefühle haben im Leben ihren Platz."

15.4. Karsamstag

Jesus ist tot. Heute ist der Tag zwischen Kreuzigung und Auferstehung. Die Brüder der Abtei sagen, heute haben sie Zeit zum Durchatmen und Innehalten. Ich habe trotzdem den Eindruck, dass heute im Kloster ordentlich Betrieb ist. Die Zugänge zur Altstadt sind wegen Überfüllung abgesperrt, deswegen kommen viele, vor allem deutsche Pilger und Touristen, in die Abtei, in die Cafeteria und den Shop. Ordentlich ist also zu tun an dem Tag, an dem nach biblischer Ansicht alles ruht.

16.4. Ostersonntag

Der Tag beginnt früh. Eigentlich zu früh, denn ich wache um 23:58 Uhr am Vorabend auf. Die Osternacht in der Abtei geht von 3 bis 7 Uhr, der Wecker ist auf kurz vor zwei gestellt. Trotzdem bin ich kurz vor Mitternacht wach. Vier Stunden Gottesdienst habe ich noch nie mitgemacht, und dann auch noch mitten in der Nacht. Ich frage mich die ganze Zeit, ob das nicht langwierig und anstrengend wird. Im Endeffekt schaue ich während der Feier nicht einmal auf die Uhr. Über Stunden werden im Kerzenschein Texte aus dem Alten Testament vorgetragen. Die Osterkerze wird geweiht, das Wasser wird geweiht, es passiert viel in diesen knapp vier Stunden. Am Ende sind die Menschen bewegt, haben Tränen in den Augen und fallen sich in die Arme. "Wenn wir Engel wären, könnten wir immer Liturgie feiern. Leider geht auch der schönste Gottesdienst zu Ende. Deswegen laden wir Sie nun herzlich zum Frühstück ein!"

Renardo Schlegelmilch


Quelle:
DR