Entsetzen in Brasilien nach Polizeiaktion mit 25 Toten

"Massaker an Unschuldigen"

​Stundenlange Feuergefechte zwischen der Polizei und Drogengangstern haben in Rio 25 Tote gefordert. Dabei hatte das Oberste Gericht große Polizeiaktionen während der Pandemie untersagt. Menschenrechtler fordern Aufklärung.

Autor/in:
Thomas Milz
Umstrittene Polizeieinsätze in Brasilien / © Jose Lucena (dpa)
Umstrittene Polizeieinsätze in Brasilien / © Jose Lucena ( dpa )

Von "Desaster", "Massaker" bis "Tragödie" reichten die Kommentare in der brasilianischen Presse angesichts der Polizeiaktion im Armenviertel Jacarezinho. Dabei wurden am Donnerstag mindestens 25 Menschen getötet, darunter ein Polizist. Zudem gibt es Berichte über von der Polizei exekutierte Personen, die jedoch von der Behörde selbst zurückgewiesen werden. Menschenrechtsorganisationen forderten die zuständigen Justizbehörden auf, die Polizeiaktion zu untersuchen.

Die Polizisteneinheit war am frühen Donnerstagmorgen mit vier Panzerwagen und Unterstützung durch Hubschrauber in die Favela Jacarezinho eingedrungen. Ziel war es demnach, Mitglieder einer Drogenbande aufzuspüren, die Kinder und Jugendliche für den Drogenhandel anwerben sowie Metro-Züge ausgeraubt und Auftragsmorde begangen haben sollen.

Stundenlanges Feuergefecht

Doch in den engen Straßen der 40.000-Einwohner-Favela in Rios Norden kamen die Polizisten nicht weit. Die Drogenbande "Comando Vermelho" (Rotes Kommando), die das Armenviertel kontrolliert, hatte Straßenbarrikaden errichtet und damit die Panzerwagen zum Stehen gebracht. Es entwickelte sich ein neun Stunden anhaltendes Feuergefecht, bei dem Einwohner und Passagiere eines Metro-Zuges ins Kreuzfeuer gerieten. Zwei Personen in dem Zug wurden verletzt, ebenso mindestens zwei Anwohner sowie zwei weitere Polizisten.

Mit 25 Toten ist die Polizeiaktion die blutigste überhaupt in Rio de Janeiro seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 1989. Anwohner berichteten jedoch, dass die wahre Zahl der Opfer höher sei. So seien Polizisten in Häuser eingedrungen, wo sie Unschuldige exekutiert haben sollen. Vertreter der Verteidigungsstaatsanwaltschaft "Defensoria Publica" nahmen am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) Zeugenaussagen in der Favela auf. Sie hätten aufgebrochene Häuser und erschreckend viel Blut auf den Straßen gesehen, berichten sie.

Polizei wehrt sich gege Vorwurf der "Exekutionen"

Die Polizei gab keine Informationen darüber, wie die 24 "Verdächtigen" zu Tode kamen. Ein Sprecher der Polizei verneinte aber, dass es Exekutionen gegeben habe. Man habe zudem sechs Verdächtige festgenommen sowie 16 Pistolen, 7 Gewehre, eine Maschinenpistole und 12 Granaten sichergestellt. Die Polizei wehrte sich auch gegen den Vorwurf, dass die Aktion illegal sei. Man habe sämtliche Vorgaben eingehalten.

Das Oberste Gericht des Landes hatte im Juni vergangenen Jahres größere Polizeiaktionen während der Pandemie untersagt. Nur in extremen Ausnahmefällen seien Einsätze in den Armenvierteln zugelassen. "Diese Entscheidung untersagt uns nicht, unsere Hausaufgaben zu machen", wird Polizeisprecher Rodrigo Oliveira in Medienberichten zitiert. "Das Schlimmste überhaupt ist, keine Aktionen durchzuführen." Der Justiz warf er angesichts des Verbots "blinden Aktionismus" vor.

Polizeieinsätze vor Gericht

Noch am Donnerstagnachmittag entschied das Oberste Gericht angesichts der Vorfälle in Jacarezinho, am 21. Mai erneut über die Beschränkung von Polizeieinsätzen zu beraten. Rio de Janeiros Polizei gilt als eine der weltweit gewalttätigsten überhaupt. Rund 30 Prozent aller Tötungsdelikte in Rio werden durch Polizisten verübt. Im Jahr 2018 wurden mehr als 1.500 Personen Opfer von Polizeiaktionen, 2019 waren es sogar 1.810 Menschen.

Kritik am Polizeieinsatz in Jacarezinho kam auch von der Menschenrechtsorganisation "Kommission Arns", die nach dem ehemaligen Erzbischof von Sao Paulo, Paulo Evaristo Arns, benannt ist. "Auf dieses Massaker muss eine Reaktion folgen." Die Polizeiaktion sei desaströs, so die Kommission, die das Einhalten des vom Obersten Gerichts verhängten Verbots forderte. Auch die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch verurteilten die Aktion und forderten eine rigorose Aufklärung.


Quelle:
KNA
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