Zum Internationalen Tag des verfolgten Anwalts

Wenn Juristen zu Gefangenen werden

Dass Menschenrechtsanwälte verfolgt würden, sei im Iran oder in China keine Ausnahme, sagt der Menschenrechtler Martin Lessenthin. Die Bundesregierung und Unternehmen würden das zum Teil indirekt fördern – aus wirtschaftlichen Interessen.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Sie weisen am heutigen Tag vor allem auf die Situation von Menschenrechtsanwälten im Iran und in China hin. Wie ähnlich oder unähnlich ist in den beiden Ländern die Lage der Anwälte?

Martin Lessenthin (Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, IGFM): Die Situation gleicht sich sehr. Das heißt, in beiden Ländern finden keine rechtsstaatlichen Verfahren statt. In beiden Ländern sind Menschen ganz lange im Gefängnis, ohne dass sie überhaupt eine Anklage kennen. In beiden Ländern werden Menschen ohne ein rechtsstaatliches Verfahren abgestraft oder das Verfahren kommt erst nach Jahren – rechtstaatlich ist es dann aber oft natürlich nicht. Denn mitunter sind die Verhandlungstermine den Beteiligten noch nicht einmal vorher ausreichend bekannt.

Es werden Angehörige daran gehindert, an einer Gerichtsverhandlung als Beobachter teilzunehmen. Es finden Gerichtsverhandlungen ohne Anwälte statt und in beiden Ländern werden die Beschuldigten in Sippenhaft auch noch bestraft. Das heißt: Die Angehörigen werden bestraft, sie erleiden Repressalien. Es werden auch Kollegen in Anwaltskanzleien unter Druck gesetzt oder eingesperrt. Es werden Mitarbeiter dieser Kanzleien drangsaliert. Die Situation ist sehr ähnlich, egal ob es sich um die Islamische Republik Iran handelt oder aber um den kommunistischen Staat China.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, 20 Jahre Rechtsstaatsdialog zwischen China und Deutschland haben in der Volksrepublik keine positive Entwicklung bewirkt – war die deutsche Politik zu vorsichtig und hatte zu viel die Wirtschaft im Blick?

Lessenthin: Letzteres ist sicherlich der Fall, auch wenn es nicht in jeder Phase gleich gewesen ist. Wir müssen schon sagen: Der Rechtsstaats-Dialog mit der Volksrepublik China hat keinen nachhaltigen Erfolg gehabt. Es gibt keine Rechtsstaatlichkeit. Und das, was bei uns selbstverständlich ist – also dass ein Beschuldigter zeitnah über das ihm Vorgeworfene informiert wird und dass Anwälte und Angehörige wissen, wo ein Beschuldigter sich überhaupt befindet und dass man ihn nicht inzwischen interniert und an einen unbekannten Ort verschleppt, hat der Rechtsstaats-Dialog mit China nicht zu beenden vermocht.

DOMRADIO.DE: Deutschland und Iran haben eigentlich gute Beziehungen, warum schafft es auch hier die Bundesrepublik nicht, zumindest die Anwälte in ihrer Rolle zu stärken?

Lessenthin: Es ist natürlich für eine Regierung aus Europa nicht einfach, mit einem Fingerschnippen zu erreichen, dass Anwälte vernünftig arbeiten können. Im Iran haben wir das besondere Problem, dass nicht nur Kritik als unerwünschte Einmischung in innere Verhältnisse abgetan wird, sondern dass man überhaupt nicht mit offenen Karten spielt. Auf der anderen Seite stehen europäische Partner, die sehr gerne Geschäfte mit dem Iran machen möchten und die auch nicht jeden Tag nur über die Menschenrechtsverletzungen dort reden wollen.

Das ist aus unserer Sicht ein großer Fehler! Es wäre tatsächlich angebracht, den Iran immer wieder mit diesen Menschenrechtsverletzungen zu konfrontieren und mit der Situation von Anwälten, die, weil sie sich im Rahmen des iranischen Rechtes für ihre Mandanten einsetzen, selber zu Opfern und zu Gefangenen werden. Darauf muss die deutsche Politik hinweisen. Und es muss auch jedem Wirtschaftsführer aus Deutschland immer wieder bewusst gemacht werden, mit wem er hier überhaupt Geschäfte macht – wenn er das zum Beispiel sogar mit den Unternehmen der Revolutionsgarden macht, die viel an der Menschenrechtslage im Iran mitverantworten müssen.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, dass Wirtschaftsinteressen nicht zu einer Politik des peinlichen Verschweigens führen dürfen. Gibt es etwas, dass Sie hoffnungsvoll macht, dass sich da die deutsche Politik ändern könnte?

Lessenthin: Ja. Aktuell sehen wir, dass Deutschland auf Aktivitäten reagiert, die der Iran auf europäischem wie auch auf deutschem Boden gestartet hat, bei denen Menschen, die sich für Menschenrechte oder bürgerliche Rechte einsetzen, bespitzelt und bedroht werden: Nämlich mit einem Landeverbot für eine iranische Luftverkehrsgesellschaft in Deutschland. Diese Gesellschaft ist im Grunde ein Symbol für das, was im Iran vorgeht und sie dient diesem Vorgehen zu Lasten der Menschenrechte.

Insofern sehen wir hier, dass sich etwas ändert und dass Deutschland aufmerksam ist. Es bedarf natürlich noch einer viel größeren Konsequenz in der Auseinandersetzung mit dem, was im Iran geschieht. Und es bedarf auch einer breiten gesellschaftlichen Solidarität zum Beispiel von deutschen Anwälten, deutschen Richtern und Juristenvereinigungen, die sich für das Schicksal ihrer bedrängten Kollegen im Iran einsetzen.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM
Martin Lessenthin / © Internationale Gesellschaft für Menschenrechte / IGFM

Anwalt im Gericht / © Pierre-Antoine Pluquet (KNA)
Anwalt im Gericht / © Pierre-Antoine Pluquet ( KNA )
Quelle:
DR