Brot für die Welt über den Friedensnobelpreisträger Mukwege

"Er macht eine fantastische Arbeit"

Neben Nadia Murad erhält der kongolesische Arzt Denis Mukwege den diesjährigen Friedensnobelpreis. Reinhard Palm von "Brot für die Welt" kennt Mukwege persönlich. Im Interview spricht er über dessen alltägliche Arbeit unter Lebensgefahr.

Denis Mukwege erhält den Friedensnobelpreis / © Henrik Montgomery (dpa)
Denis Mukwege erhält den Friedensnobelpreis / © Henrik Montgomery ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie haben Denis Mukwege noch vor wenigen Wochen im Osten Kongos besucht... Freuen Sie sich, dass er ausgezeichnet wird?

Reinhard Palm (Leiter der Afrika- Abteilung der Hilfsorganisation "Brot für die Welt"): Ja, wahnsinnig! Denn wenn man Denis Mukwege in seinem Krankenhaus im Osten Kongos besucht, dann sieht man: Er macht eine fantastische Arbeit. Seinen Alltag bestimmt, dass er über viele Stunden Frauen berät und viele Stunden selbst operiert. In sein Krankenhaus kommen immer noch jeden Tag etwa zehn vergewaltigte Frauen, die er behandelt.

Gleichzeitig ist er ein fantastischer Mensch, der so viel Kraft und Energie ausstrahlt und in politische Aktivitäten umsetzt. Diese Kombination aus Charisma, Arbeit und politischer Aktivität ist beeindruckend. Ich bin total glücklich, dass seine Arbeit mit dem Friedensnobelpreis geehrt wird - und damit hoffentlich auch die Themen, die ihn umtreiben, entsprechend Beachtung bekommen. Die Arbeit, die er leistet, macht er unter Lebensgefahr.

DOMRADIO.DE: Er wird bedroht wegen seines Engagements. Warum?

Palm: In einer Rede 2012 vor den Vereinten Nationen hat er angeprangert, dass Vergewaltigung als Kriegswaffe genutzt wird. Er sagte, so wie andere Kriegsverbrechen muss auch Vergewaltigung als Kriegsverbrechen geachtet werden. Die Leute dürfen nicht straflos davonkommen. Das hat ganz offensichtlich im Osten Kongos, wo Vergewaltigungen immer noch weiter als Kriegswaffe benutzt werden, Milizenführer gegen ihn aufgebracht. Sie haben versucht, ihn zu töten, um von ihren Gewalttaten abzulenken oder dafür nicht strafbar gemacht zu werden.

DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, im Osten Kongos sei die Situation dramatisch. Gibt es Zahlen, die dieses Problem beziffern?

Palm: Also ich kann keine Zahlen nennen, wie es allgemein im Osten Kongo aussieht. Aber was mich wirklich erschüttert hat: Dass die Zahlen von Frauen, die in sein Krankenhaus zur Behandlung kommen, nicht nach unten gehen. Pro Jahr sind es immer noch 3.000 bis 4.000 Frauen, die das Krankenhaus behandelt. Das sind jeden Tag zehn Frauen, und das sind natürlich längst nicht alle. Mukwege bemüht sich auch sehr stark, dass diese Frauen in Krankenhäusern in der Umgebung behandelt werden. Die Zahlen sind um ein Vielfaches höher.

Aber nochmal: Das Schlimme ist, dass in dieser unruhigen Situation, in der Milizen um den Zugang zu den Bodenschätzen kämpfen, immer noch Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind.

DOMRADIO.DE: Die andere Friedensnobelpreisträgerin ist Nadia Murad - eine 25 Jahre alte Jesidin, die vom IS als Sexsklavin gehalten und vergewaltigt wurde. Sie konnte sich befreien, kam auf Initiative des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann nach Deutschland und macht heute als Sonderbotschafterin auf die Qualen der IS-Opfer aufmerksam. Was bedeutet es, dass das Friedensnobelpreis-Komitee sexualisierte Gewalt als Kriegsfall jetzt in den Mittelpunkt stellt? Ist das Thema in der Öffentlichkeit bislang zu kurz gekommen?

Palm: Ich glaube, es ist wirklich zu kurz gekommen. Die Menschen haben natürlich bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen im Kopf, dass man versucht zum Beispiel Völkermord zu bestrafen. Aber sexuelle Gewalt ist eben nicht in dieser Form als Kriegswaffe geächtet und wird auch nicht verfolgt. Und was Denis Mukwege erreichen will, ist eben, dass auch tatsächlich Milizenführer für Vergewaltigungen vor nationalen Gerichten und dem Internationalen Strafgerichtshof verantwortlich gemacht werden können. Deswegen ist die Entscheidung des Nobelpreiskomitees so wichtig, weil sie deutlich macht, wie hier Frauen, Zivilistinnen, unter den Kriegsfolgen leiden - in einer Dimension, die uns nicht genug bewusst ist.

DOMRADIO.DE: In der Vergangenheit haben auch die EU oder Barack Obama den Friedensnobelpreis erhalten. Damit waren viele Hoffnungen verbunden, die sich nicht erfüllt haben. Wie viel bringt so ein Friedensnobelpreis überhaupt?

Palm: Ich hoffe natürlich, dass der Preis auf zwei Ebenen hilft: Denis Mukwege und seinem Krankenhaus sowie der Universität und der medizinischen Ausbildung, die er unheimlich stark unterstützt und die "Brot für die Welt" unterstützt. So kann man ganz praktisch ihm und seiner Arbeit helfen und vielen anderen, die ähnliche Arbeit in anderen Ländern machen. Das Problem ist ja im Südsudan nicht besser als im Ostkongo. Das ist das eine, auf das ich hoffe, nämlich dass die praktische und psychosoziale Unterstützung für Frauen und Mädchen, die Opfer sexueller Gewalt sind, viel stärker gefördert wird.

Zum anderen hoffe ich, dass Denis Mukwege mit seinen Kampagnen, sexuelle Gewalt als Kriegswaffe zu ächten, Auftrieb bekommen wird. Und dass das international wieder stärker auf die Tagesordnung kommt. Insofern ist die Preisverleihung an Denis Mukwege und Nadia Murad nicht als Versprechen auf die Zukunft hin zu werten. Sondern es wurden zwei Menschen geehrt, die schon Unglaubliches geleistet haben und noch viel Unterstützung für ihre Arbeit brauchen.

Das Gespräch führte Heike Sicconi.


"Brot für die Welt" / © Jörg Sarbach (epd)
"Brot für die Welt" / © Jörg Sarbach ( epd )
Quelle:
DR