Helfer: Syrien erlebt schlimmste Phase seit Kriegsbeginn

"Jetzt geht es ums nackte Überleben"

Bei den jüngsten Bombardierungen auf das syrische Ost-Ghuta sind mindestens 250 Menschen ums Leben gekommen. Hilfsorganisationen beklagen die dramatisch verschlimmerte Lage für die Menschen vor Ort.

Syrisches Kind in Ost-Ghuta inmitten von Trümmern / © Samer Bouidani (dpa)
Syrisches Kind in Ost-Ghuta inmitten von Trümmern / © Samer Bouidani ( dpa )

In der Hauptstadt Damaskus gebe es ein "Wiederaufleben des Krieges", sagte der Nuntius in Syrien, Kardinal Mario Zenari, dem vatikanischen Nachrichtenportal "Vatican News" am Mittwoch. Besonders die christlichen Viertel der Stadt seien von den Zusammenstößen betroffen. Zum Großraum Damaskus gehört auch Ost-Ghuta, das in dieser Woche eine der blutigsten Angriffswellen seit Beginn des Kriegs erlebt.

Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte starben innerhalb von 48 Stunden mindestens 250 Menschen. Mehr als 1.200 seien verletzt worden, viele davon schwer. Zuletzt waren zehntausende Binnenflüchtlinge nach Damaskus gekommen, wo sich die Versorgungslage zunächst zu verbessern schien.

Keine sicheren Orte mehr

Helfer haben nach eigenen Angaben keinen Zugang zu Ost-Ghuta. Der Jesuitenflüchtlingsdienst habe seine Aktivitäten auch in einzelnen Vierteln von Damaskus zwischenzeitlich komplett einstellen müssen, erklärte Pater Nawras Sammour. "Im Moment wissen wir nicht, wann und wo die nächste Bombe fallen wird."

Der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, nahm insbesondere die Kinder in den Blick. Jedes zehnte Kind in Ost-Ghouta sei mangelernährt, sagte er der "Bild"-Zeitung am Donnerstag. Angesichts des Horrors, den Kinder und Familien dort erlebten müssten, fehlten ihm "mittlerweile die Worte".

Der Nothilfekoordinator der Hilfsorganisation Care, Marten Mylius, erklärte, die Lage in Ost-Ghuta sei schon vor der aktuellen militärischen Zuspitzung dramatisch gewesen. "Jetzt geht es ums nackte Überleben", sagte er dem Westdeutschen Rundfunk. Für die Bevölkerung gebe es keine sicheren Orte mehr. Es drohe ein ähnliches Szenario wie zuletzt in Ost-Aleppo, so Mylius.

Rotes Kreuz und Misereor fordern Waffenstillstand

Diese Befürchtung äußerte auch der Geschäftsführer von Misereor, Martin Bröckelmann-Simon. "Offenbar soll das Gebiet vernichtet werden, auf die Zivilbevölkerung wird keinerlei Rücksicht genommen", sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur. Der Experte schloss sich der Forderung der Vereinten Nationen nach einem schnellstmöglichen Waffenstillstand an.

Die Diskussion um mögliche Rückführungen syrischer Flüchtlinge aus Deutschland bezeichnete er als "inhuman und völlig verfehlt".

Das Deutsche Rote Kreuz forderte ein Ende der Angriffe auf die Zivilbevölkerung sowie auf Krankenhäuser. "Mit den Kämpfen in Ost-Ghuta und der Region Afrin hat sich die humanitäre Lage in den letzten Tagen dramatisch verschlechtert. Sie ist für die Menschen unerträglich geworden", sagte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt. Die von Hilfe größtenteils abgeschottete Zivilbevölkerung müsse geschützt werden.

Humanitäre Helfer setzen ihr Leben aufs Spiel

Auch für die humanitären Helfer sei die Lage unzumutbar. "Sie setzen täglich ihr Leben aufs Spiel." Nach Angaben der SOS-Kinderdörfer waren zuletzt auch deren Mitarbeiter unter Beschuss vor Ort geraten.  Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker Perthes, betonte unterdessen die Bedeutung Deutschlands im Syrienkonflikt.

"Deutschland hat mehr Einfluss in Syrien, als manche vielleicht meinen. Die Bundesregierung hat gute Kontakte zur Opposition und vielleicht noch wichtiger: zum Kreml. Diese Beziehungen werden immer wieder genutzt, um weitere Verschlimmerungen zu verhindern", sagte Perthes der "Passauer Neuen Presse" am Donnerstag.

Der Bürgerkrieg in Syrien hatte im März 2011 mit Protesten gegen die autoritäre Regierung von Machthaber Baschar al-Assad begonnen. Der Osten der Region Ghouta gehört zu den letzten Gebieten, die noch unter Kontrolle von Rebellen stehen. Dominiert werden sie von islamistischen Milizen.


Quelle:
KNA
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