Ehefrau dringt auf mehr Einsatz für inhaftierten Blogger Badawi

"Menschen sind freie Geschöpfe"

Seit über fünf Jahren sitzt der saudische Blogger Raif Badawi inzwischen wegen "Beleidigung des Islam" im Gefängnis. Im Interview spricht seine Ehefrau Ensaf Haidar darüber, wie es ihm derzeit geht und was ihr Hoffnung für die Zukunft macht.

Ensaf Haidar / © Alexander Heinl (dpa)
Ensaf Haidar / © Alexander Heinl ( dpa )

KNA: Wegen "Beleidigung des Islam" wurde Ihr Mann, der saudische Blogger Raif Badawi, zu zehn Jahren Gefängnis, 1.000 Peitschenhieben und zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Als er im Januar 2015 die ersten 50 Schläge bekam, filmte jemand die Folter heimlich mit. So erfuhren Menschen überall auf der Welt von seinem Schicksal - und Badawi wurde zu einer Ikone der Meinungsfreiheit. Wie geht es Ihrem Mann?

Ensaf Haidar (Ehefrau des inhaftierten Raif Badawi): Auf diese Frage habe ich inzwischen keine gute Antwort mehr: Ihm geht es in der Tat nicht gut. Fünf Jahre sind inzwischen vergangen, und an seiner Lage hat sich nicht wirklich etwas geändert.

KNA: Wie sind Sie in Kontakt?

Haidar: In der Regel ruft er uns an, darauf haben wir uns eingestellt. Manchmal sind es mehr, manchmal weniger Anrufe. Das hängt von vielen Faktoren ab - insbesondere von seinem gesundheitlichen und psychischen Empfinden. Raif ist jemand, der sich zurückzieht, wenn er Belastungen ausgesetzt ist.

KNA: Auf Twitter haben Sie geschrieben, er habe Sie bereits um Vorkehrungen für den Fall seines Todes gebeten. Machen Sie sich akute Sorgen?

Haidar: Nein. Allerdings hat Raif mich gebeten, dass sein Leichnam im Fall seines Todes nach Kanada überführt werden soll. Enorme Belastung äußert sich bei ihm in Gedanken: Er denkt viel nach, unter anderem über diese Möglichkeit.

KNA: Politiker und Menschenrechtler unterstützen Raif Badawi. Was könnte noch geschehen?

Haidar: Es wurde schon viel getan, und ich bin allen dankbar, die seinen Fall thematisieren und seine Freilassung fordern. Aber meiner Meinung nach wurde noch nicht genug getan. Die Regierungen müssten sich noch mehr engagieren, vor allem die kanadische Regierung. Zudem wurde in Saudi-Arabien mit Prinz Salman eine neue Ära eingeläutet, in der einige Reformen umgesetzt werden, für die Raif sich sein ganzes Leben stark gemacht hat. Beispielsweise dürfen Frauen jetzt Auto fahren, die Sittenpolizei wurde abgeschafft. Vieles ist also möglich. Wenn sich die Regierungen weiterhin für seine Freilassung starkmachen, kann das künftig auf positiveres Gehör stoßen.

KNA: Stichwort Reformen: Ist dieser Kurs nicht frustrierend - angesichts dessen, dass Ihr Mann weiterhin im Gefängnis ist?

Haidar: Das frustriert mich auf keinen Fall, im Gegenteil. Ich schöpfe daraus die Hoffnung, dass es weitere Änderungen und Reformen geben wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich für mich natürlich die Frage, bis wann diejenigen im Gefängnis bleiben werden, die dort sind, weil sie ihre Stimme erhoben haben. Warum sind sie noch nicht Teil dieser Reformbewegung?

KNA: Raif Badawi ist sehr bekannt. Menschenrechtler betonen aber auch, dass seine Inhaftierung nur die "Spitze des Eisbergs" ist. Was müsste sich in der Region noch bewegen?

Haidar: Diese Einschätzung ist absolut zutreffend. Raif Badawi ist inzwischen eine wahre Ikone geworden; er steht für die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung und des liberalen Denkens. In der ganzen Region erleiden viele Menschen ein ähnliches Schicksal wie er. Sie müssen überall freigelassen werden. Menschen sind freie Geschöpfe, und wer dieses Grundrecht anerkennt, muss ihnen erlauben, frei zu denken.

KNA: Sie selbst haben schon Preise erhalten, Ihr Mann ebenfalls, der Journalistenpreis der Friedrich-Naumann-Stiftung ist nach ihm benannt. Ist das eine Ermutigung?

Haidar: Selbstverständlich sind wir überaus dankbar für diese Art von Mitgefühl und Solidarität, dafür, dass Menschen sich für unsere Sache einsetzen. Es gibt mir sehr viel Mut und Kraft und führt auch Raif immer wieder vor Augen, dass er seine Meinung nicht umsonst geäußert hat. Für uns ist es eine sehr große Sache, dass jährlich der Preis der Naumann-Stiftung vergeben wird - und damit auch an Raifs Namen und seine Sache erinnert wird. Das gibt uns viel Hoffnung. Ich hoffe allerdings jedes Jahr von neuem, dass Raif den Preis im folgenden Jahr persönlich übergeben darf.

KNA: Welche Rolle spielt Religion vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen für Sie?

Haidar: Das ist für mich ein sehr persönliches Thema. Religion bestimmt die Beziehung zwischen einem Menschen und Gott, und sie gibt uns nach wie vor Stärke.

KNA: Was würden Sie als erstes tun, wenn Raif Badawi freikommt?

Haidar: Oh, hoffentlich. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was ich tun würde. Aber ich glaube, es wird der schönste Tag meines Lebens sein.

Das Interview führte Paula Konersmann.


Quelle:
KNA
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