Willibert Pauels zu Böhmermanns Schmähgedicht auf Erdogan

"Gemeine Satire für gemeine Menschen"

Anzeigen, Ermittlungen, politische Diskussionen - das Schmähgedicht von ZDF-Satiriker Böhmermann auf den türkischen Staatschef Erdogan schlägt Wellen. Was darf Satire und wo sind die Grenzen? Ein Interview mit Diakon und Büttenclown Willibert Pauels.

Willibert Pauels (DR)
Willibert Pauels / ( DR )

domradio.de: Jan Böhmermann hat in seiner Satiresendung "Neo Magazin Royale" ein Schmähgedicht auf den türkischen Staatspräsidenten Erdogan vorgetragen - als Beispiel dafür, was man öffentlich in Deutschland nicht sagen darf. Geht das Gedicht von Böhmermann zu weit?

Willibert Pauels (Diakon und Büttenclown): Ja, das geht zu weit. Die Frage ist, ob man das sanktionieren darf. Es ist ja eine der schwierigsten Fragen überhaupt, eine wirkliche Gratwanderung. Satire darf nicht alles. Für mich steht an alleroberster Stelle: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Es gibt ein arabisches Sprichwort, das sagt: "Die Zunge - also Worte - kann auch töten." Also stellt sich für mich jedes Mal, wenns brenzlig wird, die Frage: Wird jetzt ein Mensch gedemütigt, wird er mit Worten fertiggemacht? Denn das ist ja auch eine Art von Gewalt. Von daher darf Satire nicht alles. Aber - jetzt kommt das große Aber: Satire ist ja genau dazu da, mit spitzer Klinge auch wehtun zu dürfen und zu sollen. Es ist also ganz schwierig, in einem allgemein verbindlichen Gesetz zu entscheiden: Was ist jetzt erlaubt als Satire und was nicht?

Ich halte mich da an die Aussage von Jacques Tilly, der sehr, sehr frech ist mit seinen Karnevalswagen in Düsseldorf. Der sagt: "Man kann immer nur im Einzelfall entscheiden - ist das jetzt gegen die Menschenwürde, ist das gemein, ist das niederträchtig, ist das zutiefst verletztend und zerstörend oder ist das Satire, die sogar ihr Gutes hat?" Ich persönlich meine: "Böse, verletzende und gemeine Satire haben Menschen verdient, die sich böse, verletzend und gemein benehmen." Also Diktatoren, die andere Menschen geplant verletzen und Böses tun. Und darunter fällt meines Erachtens auch Erdogan - mit Einschränkungen. Also einer, der diktatorisch gegen Menschenrechte verstößt, der hat auch böse Satire verdient. Ich glaube, Jan Böhmermann hat das bewusst gewollt. Deshalb bin ich auch dafür, dass er angeklagt wird, dass so etwas endlich mal in allen Instanzen durchgeklagt wird: Wie sieht es aus mit Verletzung der Würde des Menschen in dem konkreten Fall, dass Diktatoren angegriffen werden?

domradio.de: Die ganze Diskussion fing ja viel früher an; mit einem Lied über Erdogan. Und dann ging es darum: "Haben wir in Deutschland die Meinungsfreiheit?" Kommt das in dem Zug auch nochmal so richtig auf den Tisch?

Pauels: Ja, sicher. Es ist ja eine sehr schwierige Frage. Da gibt es nicht "schwarz" und "weiß". Mathias Döpfner vom Springer-Konzern hat sich ja solidarisch mit Böhmermann erklärt und gefragt: "Wo ist da die Gerechtigkeit?" Gegen die katholische Kirche dürfe Satire viel mehr, meint Döpfner. Er vergleicht Böhmermanns Satire mit einem der berühmtesten Kunstwerke von Martin Kippenberger, das für Hunderttausende gehandelt wird. Es zeigt ein Kruzifix, an dem ein Frosch gekreuzigt wird. Der Titel heißt: "Was ist der Unterschied zwischen Casanova und Jesus? - Der Gesichtsausdruck beim Nageln." Das ist unterste Schublade.

Und auch Böhmermann hat ganz bewusst die allerunterste dreckige, gemeine Schmähung eines Menschen veröffentlicht. Wie sieht es jetzt aus mit der Würde des Menschen? Zählt da der einzelne Mensch Erdogan? Aus christlicher Sicht ist jeder Mensch in seiner Würde zu achten. Oder ist es die politische Person Erdogan, der ja in einer unglaublichen, selbstherrlichen Arroganz sogar bei anderen Staaten einfordert, dass sie nach seiner Pfeife tanzen. Das hat Böhmermann ja ganz bewusst gemacht und ich glaube, er wäre sogar beleidigt, wenn er nicht angeklagt würde.

domradio.de: Du hast ja zu seiner Zeit selbst Kardinal Meisner immer ordentlich aufs Korn genommen. Wo war da die Grenze?

Pauels: Ich war ja brav wie ein Kommunionkind. Zu Kardinal Meisner "Kanalmeister" zu sagen, wenn das schon böse Satire sein soll... Meine Art von Humor ist ganz anders. Man soll dem anderen die Wahrheit nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen, sondern wie einen Mantel hinhalten, damit er ihn anziehen kann. Aber es muss auch böse Satiriker geben. Ganz einfach, weil die Diktatoren und Herrscher dieser Welt nicht lieb sind. Und wenn Du denen einen Mantel hinhältst - die pfeifen auf den Mantel.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR