Neudeck: Türkische Lager sind notwendige Notlösung

Kompromisspartner

Rupert Neudeck beschreibt die gemeinsamen Flüchtlingspläne von EU und Türkei als "Verzweiflungslösung".  Im domradio.de-Interview erzählt er, warum er trotzdem dafür ist: "Auf dieser Welt haben wir nicht nur Traumpartner."

Flüchtlingslager bei Şanlıurfa (Archiv) / © Sedat Suna (dpa)
Flüchtlingslager bei Şanlıurfa (Archiv) / © Sedat Suna ( dpa )

domradio.de: Brüssel will, dass die Türkei ihre Grenze zur EU besser sichert. Die EU-Agentur Frontex will die griechische und türkische Polizei zusammenbringen, um die Grenze dichter zu machen. Ist das der richtige Weg?

Rupert Neudeck (Vorsitzender der deutschen Hilfsorganisation "Grünhelme"): Nein, das ist ein Verzweiflungsweg, das muss man ganz deutlich sagen. Der einzige wirkliche Weg diesen Flüchtlingsstrom ein wenig einzudämmen, vielleicht auch zu unterbrechen, wäre die Beendigung dieser syrischen Katastrophe. Dieser Hölle, die in Syrien für die Zivilbevölkerung besteht.  Sie führt dazu, dass wir wahrscheinlich in den nächsten Monaten noch mehrere Millionen Menschen erleben werden, die rauskommen aus ihrem Land, weil sie es nicht mehr aushalten bei den Bombenangriffen und bei dem totalen Chaos, was im Land herrscht. Das wäre die echte Lösung. Sie kann es aber im Moment, wie wir alle als Zuschauer und Leser von Nachrichten wissen, nicht geben. Deshalb muss man eine zweitbeste Lösung versuchen. Die Verzweiflungslösung Nummer zwei ist, die Türkei zu bitten, die schon bestehenden Lager etwas besser und größer zu bilden und mit der Türkei zu überlegen, ob man die Menschen in der Nähe ihrer Heimat aufhalten kann, damit die Menschen nicht alle nach Mitteleuropa kommen.

domradio.de: Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtet von sechs Lagern, die gebaut werden sollen. Aber wie muss denn so ein Lager organisiert sein, damit es die Leute auch halten kann?

Neudeck: Ja, das ist die Hunderttausend Dollar-Frage, die keiner beantworten kann. Ich kann sie auch nicht beantworten, weil ich immer dafür bin, dass Menschen möglichst bald aus Lagern herauskommen, weil das Leben in Lagern für Menschen, für Familien, für Kinder, die auf die Schule gehen sollen, eine Hölle ist. Wenn man in Flüchtlingslagern längere Zeit ist und viele von den Hunderttausenden von Syrern, die in Jordanien, im Libanon und in der Türkei schon in Lagern sind, leben schon über zwei Jahre da, manche sogar drei Jahre. Das hält keiner aus. Das können alles nur Notlösungen sein, aber es gibt ja jetzt die Notwendigkeit einer Notlösung. Ganz Deutschland schreit ja auf die Kanzlerin ein, dass sie endlich diesen Zustrom von Flüchtlingen beenden soll. Eine friedliche Möglichkeit ist eben, den Staatschef der Türkei, den wir alle nicht so mögen, der aber wichtig ist, dazu zu bringen, dass er die Leute nicht alle über diese Meerenge nach Lesbos, nach Griechenland rauslässt.

domradio.de: Meinen Sie, das ist der richtige Zeitpunkt zum Schulterschluss der EU mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan? Sie haben es ja schon angedeutet, er steht in der Kritik wegen Menschenrechtsverletzungen und führt auch gerade einen vehementen Kampf gegen die Kurden.

Neudeck: Das ist natürlich richtig, dass das nicht unser Traumpartner ist. Aber auf dieser Welt, in der wir leben, haben wir nicht nur Traumpartner. Wir haben auch jemanden in Moskau, der ist auch nicht unser Traumpartner, mit dem müssen wir auch sprechen. Wir haben auch jemanden im Iran, der sich breit macht in Syrien und dafür sorgt, dass die Menschen da raus gejagt werden. Die Ajatollahs sind auch nicht unsere Traumpartner, wir müssen mit denen sprechen. Gegenüber Moskau und Teheran finde ich, ist das immer noch ein Land, das uns näher ist als jedes andere in der Region. Es ist ganz wichtig mit Erdogan und der Türkei eine gemeinsame Politik zu versuchen. Die Türkei ist übrigens zu Unrecht zu viel gescholten worden. Sie hat wirklich die Hauptlast der ersten Welle der Flüchtlinge aufgenommen und hat auch an der Grenze kaum jemanden abgewiesen. Das habe ich selbst erlebt. Sie hat aber auch Geldschwierigkeiten, weil der UNHCR (das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, Anm. d. Red.) konnte mit seinen Mittel nicht so viele unterbringen. Deshalb ist auch das Geld nicht ganz unwichtig, was die EU Erdogan in Ankara geben will.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Syrische Flüchtlinge in der Türkei / © Sedat Suna (dpa)
Syrische Flüchtlinge in der Türkei / © Sedat Suna ( dpa )

Rupert Neudeck (dpa)
Rupert Neudeck / ( dpa )
Quelle:
DR