Breite Verurteilung antisemitischer Parolen

Solidarität für jüdische Gemeinschaft

Angesichts der antisemitischen Hetze bei Demonstrationen haben Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und die katholische und evangelische Kirche der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ihre Solidarität versichert.

Blinder Hass auf Israel (dpa)
Blinder Hass auf Israel / ( dpa )

Bundespräsident Joachim Gauck hat angesichts der jüngsten antisemitischen Parolen bei Kundgebungen gegen Israel mehr Zivilcourage verlangt. "Ich möchte alle Deutschen und alle Menschen, die hier leben, auffordern, immer dann ihre Stimme zu erheben, wenn es einen neuen Antisemitismus gibt, der sich auf den Straßen brüstet", sagte Gauck am Mittwoch in Berlin. "Wir wollen das nicht hinnehmen. Weder unsere Strafverfolgungsbehörden noch die Polizei noch wir Bürgerinnen und Bürger. Der Präsident schon gar nicht."

Gauck äußerte sich nach einem Telefonat mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann. Weiter sagte er: "Wir hier in Deutschland freuen uns darüber, dass in diesem Land Nachkommen der Menschen wohnen, die andere Deutsche vom Erdboden vertilgen wollten. Für uns ist das eine Freude, dass es jüdische Gemeinden gibt. Diese Menschen sollen hier in Sicherheit leben. Und sie leben in Sicherheit."

Das Staatsoberhaupt bezeichnete Deutschland als "Land des Rechts" und "Land der Toleranz". Gauck fügte hinzu: "Antisemitismus, auch wenn er neu ist, wenn er aus ausländischen Gesellschaften hier importiert wird, der wird genau so wenig geduldet wie ein alter autochthoner Antisemitismus, den es in einigen rechtsradikalen oder linksradikalen Milieus gibt. Wir nehmen alles ernst."

Angriff auf Freiheit und Toleranz

Nach einer von Vize-Regierungssprecher Georg Streiter vorgetragenen Erklärung verurteilen die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung "die Gewaltausbrüche und antisemitischen Äußerungen bei pro-palästinensischen und anti-israelischen Demonstrationen in Deutschland". Sie seien "ein Angriff auf Freiheit und Toleranz und der Versuch, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu erschüttern". "Dies können und werden wir nicht hinnehmen", heißt es weiter. Die Bundesregierung sichere den Betroffenen ihre Anteilnahme und Unterstützung zu. Antisemitische Straftaten würden konsequent mit allen rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt.

Zugleich äußerte sich Merkel erfreut "über das wiedererstarkte lebendige jüdische Leben in Deutschland" und versicherte, weiter für die Sicherheit jüdischer Bürger einzutreten. Die Bundesrepublik Deutschland sei dem Staat Israel freundschaftlich und partnerschaftlich verbunden und werde sich weiter "mit voller Kraft für die jüdische Gemeinschaft hierzulande und die deutsch-israelischen Beziehungen einsetzen".

Graumann dankte dem Bundespräsidenten sowie den Politikern für ihren Zuspruch. "Wir Juden sind hier willkommen und mit unseren Sorgen nicht alleine." Das seien "wichtige Signale, die uns Mut machen!", betonte Graumann. Viele Gemeindemitglieder seien "im Moment sehr verunsichert, besorgt und absolut schockiert angesichts der übelsten judenfeindlichen Parolen, die zum Teil entfesselte Menschenmengen öffentlich hinausgeschrien haben und sich dabei lauthals wünschten, Juden sollten 'vergast', 'verbrannt' oder 'geschlachtet' werden". Umso mehr würdige und schätze die jüdische Gemeinschaft "das Engagement des Herzens des Bundespräsidenten und anderer Politiker im Land", sagte Graumann.

Bischof Mussinghoff: Antisemitismus für immer ächten

Auch Aachens Bischof Heinrich Mussinghoff zeigte sich über judenfeindliche Parolen entsetzt. "Es gehört zum Grundkonsens unseres Landes und auch Europas, dass der Antisemitismus für immer geächtet bleiben muss", sagte der Vorsitzende der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz. Besonders erschüttert zeigte sich der Bischof über Berichte, wonach pro-israelische Demonstranten angegriffen und verletzt wurden.

"Polizei und Justiz sind aufgefordert, mit aller Entschiedenheit gegen solche Verbrechen aus Hass vorzugehen." Jeder habe das Recht, seine politischen Meinungen öffentlich Ausdruck zu verleihen und dabei auch die Politik Israels zu kritisieren. "Aber niemand hat das Recht, gegen Juden oder gegen irgendeine andere Gruppe von Menschen mobil zu machen und die eigenen menschenverachtenden Ressentiments im Schutz der Masse auszuleben", so Mussinghoff.

Angesichts von Hassparolen und Angriffen auf Menschen jüdischen Glaubens erklärte auch Dresdens Bischof Dr. Heiner Koch: "Mit Unverständnis und Betroffenheit haben wir zur Kenntnis genommen, dass Bürger unseres Landes sachliche Kritik an der aktuellen Politik Israels zum Anlass nehmen, um Hassparolen gegen Juden zu skandieren. Es ist entsetzlich, wenn trotz aller historischen Erfahrung in Deutschland und auch in Sachsen dieses heute geschieht. Antisemitische Hetze, verbale und körperliche Angriffe auf Menschen jüdischen Glaubens und auf ihre Synagogen haben in unserer Gesellschaft keinen Platz. Wir verurteilen diese Attacken in aller Entschiedenheit. Ein Angriff auf die Juden ist auch ein Angriff auf uns.

Die Juden sind die älteren Brüder der Christen. Uns verbindet nicht nur eine tiefe innere Beziehung. Eingedenk unserer historischen Erfahrungen und im Hinblick auf die gewachsenen freundschaftlichen Beziehungen stehen wir fest an der Seite der Juden und sichern den jüdischen Gemeinden in Sachsen – unseren Freunden –unsere Solidarität und jederzeitige Hilfe zu."

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, nannte es "entlarvend, wenn Proteste gegen das aktuelle Vorgehen der Armee Israels im Gazastreifen mit menschenverachtender Judenfeindschaft verbunden werden." Das sei beschämend, so Schneider in einem Schreiben an den Präsidenten des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann.

Aus Sicht des Direktors des vom American Jewish Committee (AJC) eingerichteten Europäischen Büros zum Antisemitismus, Stephan Kramer, hat das Niveau von Gewalt deutlich zugenommen. "Es hat eine Qualität, die uns einfach nicht ruhen lässt, dazusitzen, so zu tun, als wenn nichts passiert wäre", sagte Kramer im NDR Info. Kritik an Israel dürfe sein, ebenso Demonstrationen, aber beides dürfe nicht in Hasstiraden und Antisemitismus umschlagen.

Benz: Keine neue Qualität

Der Historiker Wolfgang Benz (73) sieht dagegen keinen wachsenden Antisemitismus in Deutschland. "Ich sehe überhaupt keine neue Qualität", sagte der Antisemitismusforscher dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwochsausgabe). Er halte es für übertrieben, von antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland zu sprechen.

"Natürlich gibt es in Deutschland Antisemitismus. Das ist beklagenswert", konstatierte der Historiker. "Aber es ist ein konstanter Bodensatz in der Gesellschaft und keineswegs eine Lawine, die größer und größer wird." Zu beobachten sei hingegen, dass "die Stimmung gegenüber dem Staate Israel immer schlechter" werde, was wiederum seine Gründe habe. Das sei aber kein Antisemitismus.

Auch die israelische Regierung habe ein Interesse daran, "dass jede Kritik an ihren Handlungen als Antisemitismus verstanden wird", sagte Benz. "Aber nicht jeder, der den Gaza-Krieg missbilligt und Mitleid mit getöteten oder verletzten palästinensischen Zivilisten hat, ist deshalb ein Antisemit", betonte der frühere Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin.


Demonstration: Pro Palästina - Anti Israel (dpa)
Demonstration: Pro Palästina - Anti Israel / ( dpa )
Quelle:
KNA , dpa , epd