Millionen Afghanen trotzen Taliban-Terror

Großer Andrang bei Präsidentenwahl

Afghanistan steht vor dem ersten demokratischen Machtwechsel seiner Geschichte: Rund zwölf Millionen Wahlberechtigte waren am Samstag aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu bestimmen. Trotz Terrorgefahr war die Beteiligung hoch.

Afghanistan hat gewählt (dpa)
Afghanistan hat gewählt / ( dpa )

In Afghanistan haben am Samstag Millionen Menschen dem Terror der aufständischen Taliban getrotzt und ihre Stimme bei der Präsidentenwahl abgegeben. Die Beteiligung war Schätzungen afghanischer Medien zufolge hoch, obwohl die Taliban jedem Wähler mit dem Tod gedroht hatten. Ergebnisse werden frühestens am 24. April erwartet, weil Stimmzettel aus entlegenen Gebieten im Hindukusch-Gebirge nach Kabul transportiert werden müssen.

Insgesamt zählte das Innenministerium 140 Anschläge und Anschlagsversuche. Unter anderem wurden am Sonntag im Norden des Landes bei einem Bombenattentat auf ein Fahrzeug, das Wahlurnen mit abgegebenen Stimmzetteln transportierte, drei Menschen getötet. Insgesamt fiel das Ausmaß der Gewalt dennoch geringer aus als befürchtet.

Stolzer Tag

Rund zwölf Millionen Wähler waren aufgerufen, einen Nachfolger für Präsident Hamid Karsai zu bestimmen, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren durfte. Karsai sagte, die Wahl und die große Beteiligung der Bevölkerung hätten Afghanistan "einige Schritte näher zu Frieden und Stabilität gebracht". Präsidentschaftskandidat Aschraf Ghani erklärte nach dem Urnengang: "Dies ist ein stolzer Tag für eine stolze Nation."

In den Großstädten hatten sich schon in den frühen Morgenstunden lange Schlangen vor den Stimmlokalen gebildet. Unter den Wartenden waren auch viele Frauen. Nach der Terrorwelle der vergangenen Wochen waren rund 350.000 Soldaten und Polizisten zum Schutz von Wahllokalen und -helfern im Einsatz. Der jüngsten Anschlagsserie war am Freitag auch die deutsche Kriegsfotografin Anja Niedringhaus zum Opfer gefallen. Fast alle internationalen Wahlbeobachterteams haben infolge der Gewaltwelle ihre Mitarbeiter abgezogen.

Öffnungszeit der Wahllokale verlängert

Die Polizei nahm zahlreiche Wähler wegen mehrfacher Stimmabgabe fest. Nach Angaben der unabhängigen Wahlkommission waren 6.212 Wahllokale im ganzen Land geöffnet, 211 blieben aus Sicherheitsgründen geschlossen. Wegen des stellenweise großen Andrangs verlängerte die Kommission die Öffnungszeit der Wahllokale um eine Stunde. In einigen Gebieten des Landes waren gegen Mittag die Stimmzettel wegen der hohen Beteiligung ausgegangen.

Die Wahl gilt als Weichenstellung für die Zukunft des Landes, vor allem mit Blick auf den Abzug der NATO-Kampftruppen bis Dezember. Es ist bereits die fünfte Wahl am Hindukusch seit dem Sturz der Taliban Ende 2001. Alle Urnengänge waren stets von Manipulation, Fälschung und Korruption überschattet.

Die letzte Präsidentenwahl 2009 war besonders heftig umstritten: Die Wahlkontrollkommission annullierte bei der Nachzählung 20 Prozent der abgegebenen Stimmen. Auch dieses Mal wird befürchtet, dass Wahlfälschungen, besonders in den Unruhe-Provinzen, die Legitimität der Abstimmung in Fragen stellen könnten.

Stichwahl möglich

Drei Kandidaten werden gute Aussichten auf den Sieg eingeräumt. Dazu zählt der 53-jährige Abdullah Abdullah, ein früherer Augenarzt, Außenminister und zuvor Führer der gegen die Sowjetunion kämpfende Nordallianz. 2009 unterlag er Karsai. Chancen hat auch der 64-jährige Aschraf Ghani, ein früherer Weltbank-Ökonom und ehemaliger Finanzminister. Als Karsais Wunschnachfolger gilt der 71-jährige Salmai Rassul, früherer Außenminister und entfernter Verwandter des letzten afghanischen Königs.

Da vermutlich kein Politiker die erforderliche absolute Mehrheit erhalten wird, könnte letztlich eine Stichwahl entscheiden, wer in den Präsidentenpalast in Kabul einzieht. Dies könnte die Entscheidung über den künftigen Staatschef noch bis weit in den September hinauszögern und politische Unsicherheit schüren.


Quelle:
epd