Human Rights Watch: Enteignete Sotschi-Anwohner entschädigen

Im Zeichen der Diskriminierung

Vor Beginn der Winterspiele verurteilen Menschenrechtler Missstände in Sotschi. Wolfgang Büttner (Human Rights Watch) spricht im domradio über Umweltzerstörung, enteignete Anwohner und misshandelte Arbeitsmigranten.

Baustelle Sotschi Anfang 2013 (dpa)
Baustelle Sotschi Anfang 2013 / ( dpa )

domradio.de: Bei Olympia geht es um Wettkämpfe, um sportliche Fairness. Es geht bei der olympischen Idee aber auch um Friede und Völkerverständigung. Welche Hoffnungen haben Sie für die Spiele von Sotschi und den olympischen Geist?

Wolfgang Büttner (Human Rights Watch): Also wir hoffen, dass die olympischen Spielen in Sotschi auch dazu beitragen, dass sich die Menschenrechtssituation vor Ort langfristig verbessert. Was wir seit der Vorbereitung der olympischen Spiele 2009 feststellen konnten, war aber, dass es mit dem Bau der Olympiastätten auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Es gab Misshandlungen von Arbeitsmigranten. Wir hatten Enteignungen, Einschränkungen der Zivilgesellschaft und auch große Umweltschäden und wir hoffen, dass diese Probleme jetzt im Mittelpunkt stehen und dass es langfristig auch zu einer Verbesserung führt.

domradio.de: Wie wurde denn vor Ort mit den Menschen umgegangen? Wurde tatsächlich einfach Grund und Boden enteignet, damit dort Platz ist für Olympiastätten?

Büttner: Wir haben Fälle dokumentiert von ca. 2000 Familien, die aus ihren Häusern oder Wohnungen mussten und umgesiedelt wurden. Teilweise bekamen sie Entschädigungen, teilweise auch nicht oder die Entschädigung war nicht angemessen. Das Problem besteht vor allem darin, dass es kein transparentes und offenes Verfahren gab, wie mit den Personen umgegangen wurde, das heißt wie sie entschädigt wurden.

domradio.de: Besteht trotz aller genannten Kritik die Hoffnung, dass sich nach den Winterspielen von Sotschi langfristig etwas an der Situation der Menschen verbessert?

Büttner: Da müssen wir abwarten. Zunächst einmal ist das Problem, dass sich durch den Bau der olympischen Stätte die Lebensbedingungen für die Menschen verschlechtert haben. Das betrifft nicht nur Enteignungen, sondern wir haben eben auch große Umweltschäden. Es gibt Fälle, in denen beispielsweise Erdrutsche stattgefunden haben in Verbindung mit den Olympiabauten und dadurch Häuser beschädigt wurden. Wir haben auch den Fall von einem Dorf, das durch die Bauaktivitäten von der Wasserversorgung abgeschnitten worden ist. Das sind Situationen, die jetzt rückgängig gemacht werden müssen. Da denken wir, dass es eben wichtig ist, dass das Internationale Olympische Komitee sich dafür einsetzt. Langfristig muss man sehen, wie sich die Situation in Sotschi verändert, aber wichtig ist jetzt erstmal, dass die Schäden, die durch die Olympiastätten stattgefunden haben, dass diese Schäden behoben werden und die Leute entsprechend entschädigt werden.

domradio.de: In der olympischen Charta steht auch, dass niemand diskriminiert werden soll. Seit Monaten gibt es schon Debatten über die Anti-Homosexuellen-Gesetzgebung in Russland. Was halten Sie davon, wenn sich, wie jetzt geschehen, der Bürgermeister von Sotschi dazu hinreißen lässt, zu sagen: "In Sotschi gibt es keine Homosexuellen"?

Büttner: Insgesamt sind diese Diskriminierung von Homosexuellen und das damit verbundene Gesetz natürlich höchst problematisch und stimmen überhaupt nicht mit dem Geist der olympischen Bewegung überein. In der olympischen Charta steht eben, dass nicht nur während der olympischen Spiele, sondern dass insgesamt jede Form von Diskriminierung mit der olympischen Bewegung unvereinbar ist und gegen sie widerspricht. Wir denken eben, dass eine Äußerung, wie sie die eben zitiert haben, vollkommen unangemessen ist und auch ganz klar ein Zeichen der Diskriminierung ist. Hier ist auch wichtig, dass sich die olympische Bewegung dafür einsetzt, dass dieses Gesetz rückgängig gemacht wird. Da muss sich wirklich das Internationale Olympische Komitee stark für einsetzen und eben nicht nur mit Äußerungen der russischen Regierung zufrieden geben, sondern es muss tatsächlich eine Rücknahme des Gesetzes geben.

Das Interview führte Matthias Friebe


Wolfgang Büttner (dpa)
Wolfgang Büttner / ( dpa )
Quelle:
DR