500.000 Frauen in Europa leiden unter Genitalverstümmelung

Ein Thema, über das man nicht spricht

Auch mitten in Europa sind zahlreiche Frauen und Mädchen von Genitalverstümmelung betroffen. Um auf diese Menschenrechtsverletzung hinzuweisen, haben Menschenrechtsorganisationen den "Internationalen Tag gegen Genitalverstümmelung" ins Leben gerufen.

Autor/in:
Nina Schmedding
 (DR)

Das Thema ist in der Schmuddelecke, immer noch. "Es macht die Menschen verlegen, darüber zu sprechen", sagt Tobe Levin, Gründungsmitglied des Europäischen Netzwerkes FGM, das sich gegen weibliche Genitalverstümmelung in Europa engagiert. "Gern wird es deshalb in die Frauen-Rubrik abgeschoben. Es wird viel zu wenig beachtet." Zum Beispiel seien mehr als 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung Ägyptens beschnitten - "aber obwohl man täglich über Ägypten liest, wird darüber kaum berichtet", kritisiert die Menschenrechtsexpertin.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden rund 500.000 Frauen unter einem solchen Eingriff. Weltweit lebten 140 Millionen Frauen mit verstümmelten Genitalien, 120 Millionen davon in Afrika. Genaue Zahlen gebe es keine, weil die Dunkelziffer sehr hoch sei, erklärt Tobe Levin. "Kinder, denen das passiert, zeigen ihre Eltern nicht an, weil sie diese schützen wollen." Denn die Beschneidung der weiblichen Genitalien ist in den EU-Mitgliedstaaten gesetzlich verboten. Migrantinnen aus Afrika werden für den Eingriff in ihre Herkunftsländer gebracht oder aber illegal in der EU beschnitten - auch in Deutschland. Gegen Geld nähmen Mediziner die Operation heimlich vor - "und zwar nicht nur Ärzte mit afrikanischem Hintergrund", sagt die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im EU-Parlament, Barbara Lochbihler (Grüne). Auch wenn bereits große Fortschritte bei der Sensibilisierung für das Thema gemacht worden seien, "ist es noch lange kein Selbstläufer", so Lochbihler. 30.000 Frauen, deren Genitalien verstümmelt wurden, soll es in Deutschland geben.

Lebenslange schmerzhafte körperliche Beeinträchtigung

Bei der weiblichen Genitalverstümmelung werden die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane wie Schamlippen und Klitoris teilweise oder ganz entfernt. Die Folgen für die Frauen sind oft eine lebenslange schmerzhafte körperliche Beeinträchtigung sowie ein seelisches Trauma - "eine grausame Menschenrechtsverletzung", sagt Barbara Lochbihler. Besonders verbreitet ist die Praxis im westlichen und nordöstlichen Afrika, vor allem in muslimischen, aber teils auch in christlichen Gegenden.

Die deutschen katholischen Bischöfe fordern deshalb von afrikanischen Ortskirchen eine deutlichere Parteinahme zugunsten der Frauen. "Es gilt, die körperliche Unversehrtheit unbedingt und entschieden zu verteidigen", betont etwa der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, Vorsitzender der Kommission "Weltkirche" der Deutschen Bischofskonferenz. Nötig seien Bewusstseinsarbeit und eine intensive Unterstützung von örtlichen Frauengruppen, sagt auch Lochbihler. "Hinter Genitalverstümmelung steht die Angst vor einer überbordenden Sexualität der Frau", so die ehemalige Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International.

Tobe Levin sagt: "Das Grundproblem ist, dass die weibliche Genitalverstümmelung in den traditionellen Gemeinschaften positiv besetzt ist - der Schnitt befreit aus dieser Sicht von etwas Hässlichem, das zur Zügellosigkeit der Frau beiträgt." Sie befürchtet auch, dass durch das in Deutschland kürzlich erlassene Gesetz, das die rituelle Beschneidung von jüdischen und muslimischen Jungen erlaubt, eine Tür geöffnet und versucht werden könnte, eine Parallele zur Genitalverstümmelung von Mädchen zu ziehen. "Ich bin selbst Jüdin und trotzdem gegen die genitale Verstümmelung von Jungen. Mit Kinderrechten ist auch das nicht vereinbar."


Quelle:
KNA