Menschenrechtsgericht verurteilt Deutschland in Sterbehilfe-Streit

Kein Grundsatz-Urteil

Es ist nicht das Grundsatz-Urteil zur Sterbehilfe, das viele erwartet hatten: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Deutschland wegen seines Umgangs mit dem Thema Sterbehilfe verurteilt. Allerdings beschränkten sich die Richter auf verfahrensrechtliche Gesichtspunkte und spielten damit den Ball zurück an die deutsche Justiz.

 (DR)

Die Straßburger Richter gaben am Donnerstag einem Mann aus Braunschweig Recht, dessen Frau nach einem schweren Unfall gelähmt war und sterben wollte. (Az: 497/09) Die deutschen Behörden hatten den Antrag des Paares auf ein tödliches Medikament abgelehnt.



Straßburg: Sachliche Prüfung ist Aufgabe der deutschen Gerichte

Die deutschen Gerichte hätten die Beschwerde des Mannes in der Sache prüfen müssen, erklärte der Straßburger Gerichtshof. Er stellte eine Verletzung der Verfahrensrechte nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention fest. Die Richter unterstrichen, dass die Beihilfe zur Selbsttötung in den europäischen Staaten sehr unterschiedlich bewertet werde. Es sei daher in erster Linie Aufgabe der deutschen Gerichte, den Fall des Braunschweigers sachlich zu prüfen.



Der deutsche Staat muss dem Mann rund 30.000 Euro Schmerzensgeld und Prozesskosten zahlen. Die Frau des Klägers lebt bereits seit 2005 nicht mehr: Sie war gemeinsam mit ihrem Mann in die Schweiz gereist und hatte sich dort mit Hilfe des Vereins Dignitas das Leben genommen.





Vor der Entscheidung des Menschenrechtsgerichts hatten Patientenschützer die Politik zum Verbot der organisierten Suizidbeihilfe aufgefordert. In einem Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Donnerstag) sagte Eugen Brysch, Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, es führe auf einen Irrweg, wenn die organisierte Suizidbeihilfe weiter zugelassen werde. "Das konzeptionelle Vorgehen von Sterbehilfeorganisationen muss verhindert werden", verlangte Brysch.



Hospiz Stiftung: Kein Rechtsanspruch auf Tötung

Brysch erklärte zu dem in Straßburg verhandelten Fall: "Es gibt ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht zu leben." Suizid sei nicht verboten, doch einen Rechtsanspruch auf Tötung gebe es nicht. Er hatte gehofft, dass der Gerichtshof aus guten Gründen diese Auffassung erneut bekräftigen werde.



Der Patientenschützer betonte, die Beihilfe zur Tötung sei nicht die Fortführung einer würdigen Sterbebegleitung. "Die Ehefrau des Beschwerdeführers hätte in Deutschland ganz legal durch einen Behandlungsabbruch und unter Einforderung palliativ-medizinischer Begleitung würdig sterben können", sagte Brysch. Dies sei deutsches Recht und müsse von Medizinern als passive Form der Sterbehilfe praktiziert werden. "Das wussten auch die Sterbehelfer, denn es war unwürdig, die leidende Frau zum Sterben in die Schweiz zu holen."



Den konkurrierenden Suizidorganisationen sei jede Form der Publicity recht. Ebenso sei es ein Trugschluss zu glauben, dass ein durch Suizidhelfer begleiteter Tod immer friedvoll und schnell sei. "Immer wieder kommt es vor, dass der Todeskampf Stunden dauert", sagte Brysch. Selbst von Einweisungen in Schweizer Krankenhäuser werde berichtet, da die Tötungsmittel nicht immer wirkten. Dass Staatsanwaltschaft und Polizei die Suizidbegleitung vom Nachbarzimmer aus beobachten und damit für Aufsicht sorgen würden, gehöre in die Welt der Fabeln.