Bundespräsident Wulff soll Indonesien Religionsfreiheit einfordern

"Minderheiten werden an den Rand gedrängt"

Indonesische Kirchenvertreter haben an Bundespräsident Christian Wulff appelliert, bei seinem bevorstehenden Besuch in Indonesien auch die Verletzung der Menschenrechte und der Religionsfreiheit anzusprechen. Im domradio.de-Interview beschreibt Simone Sinn vom Forschungsverbund "Religion und Politik" an der Uni Münster die Situation der christlichen Minderheit.

 (DR)

domradio.de: Sie kennen das Land selbst gut, waren mehrere Male dort. Wie haben Sie die Situation zwischen Muslimen und Christen empfunden?

Simone Sinn: In Indonesien leben seit mehreren hundert Jahren Christen, Muslime und auch Buddhisten oder lokale Religionen friedlich zusammen, sie kennen sich gegenseitig und sie gewähren sich gegenseitig Freiheit und Frieden. Man muss wissen: Religionsfreiheit ist in der Verfassung festgeschrieben, es gibt auch rechtliche Dokumente, die dafür einstehen. Im Grunde gibt es eine große Selbstverständlichkeit, mit der Christen und Muslime in Indonesien zusammenleben. Aber in den letzten Jahren gibt es Entwicklungen, die doch bedenklich stimmen, die für Christen und andere religiöse Minderheiten doch Anlass zur Sorge sind.

domradio.de: Es werden immer wieder Kirchen angegriffen - warum?

Sinn: Das sind die Entwicklungen der letzten Jahre. Es gibt militante Gruppen, die sagen, es gehe zu weit mit der Freiheit für Andersgläubige. 1998 wurde der damalige Präsident Suharto gestürzt und ein diktatorisches Regime beendet. Indonesien erlebte einen demokratischen Aufschwung, der dem Land wirklich gut tat. Aber die damit verbundenen Freiheiten sind für manche radikalen Gruppen zu viel des Guten. Der Widerstand gegen die muslimische Minderheit der Ahmadiyya ist besonders groß, weil es Lehrdifferenzen gibt. Es geht z.B. um die Frage, ob es noch einen Propheten nach Mohammed gebe. Das lehnen die radikalen Gruppen ab und wollen die Ahmadiyya verbieten.
Deshalb gehen sie auf die Straße und demonstrieren und greifen Moscheen an, im Februar kam es zu ganz gravierenden Zusammenstößen mit mehreren Toten. Die staatlichen Behörden gehen nicht konsequent genug gegen die Islamisten vor, das ist das Problem: Die Gerichtsverfahren liefen sehr schleppend und am Ende kamen Mindeststrafen dabei heraus, das war ein Skandal.

domradio.de: Wieso wird nichts gegen Angriffe auf Christen und Ahmadiyya unternommen?

Sinn: Religion spielt in Indonesien im öffentlichen Leben eine sehr große Rolle. Religiös zu sein, ist keine Privatsache, sondern eine öffentliche Angelegenheit. Es gibt eine neue religiöse Popularität, die Menschen stellen ihre Religion gerne zur Schau. Damit einher geht, dass plötzlich die Mehrheit, also die Muslime, das Gefühl haben, das öffentliche Leben stark prägen zu müssen, mehr an der Kultur mitzuwirken. Das drängt die Minderheiten an den Rand und bringt sie in Gefahr, denn die staatlichen Behörden und führende Intellektuelle äußern sich nicht klar genug dazu.

domradio.de: Was kann Christian Wulff auf seiner Reise konkret für die Religionsfreiheit tun?

Sinn: Er könnte, wie er es auch in Deutschland tut, für interreligiöse Verständigung werben. Er hat ja gesagt, ds Judentum, Christentum und auch der Islam zu Deutschland gehören. Diese Rede hat viel Beachtung erfahren, weil er damit deutlich gemacht hat, dass er die interreligiöse Verständigung will und die Religionsfreiheit für andere Religionen in Deutschland. Genau das könnte er nun auch in Indonesien so sagen, dass das Christentum und andere Religionen genauso selbstverständlich zu Indonesien gehören wie der Islam. Das ist keine Selbstverständlichkeit in der gesellschaftlichen Realität, man muss aktiv etwas dafür tun, damit die Verfassungsrealität auch gesellschaftliche Realität wird. Damit kann Wulff werben, er wird ja mit Religionsvertretern zusammenkommen, das könnte ein wichtiges Signal sein, auch wenn er das Problem im direkten Gespräch mit dem Staatspräsidenten Susilo Bambang Yudhoyono anspricht.
Das Interview führte Dagmar Peters.

Hintergrund

Indonesische Kirchenvertreter haben an Bundespräsident Christian Wulff appelliert, bei seinem bevorstehenden Besuch in Indonesien gegenüber Präsident Susilo Bambang Yudhoyono auch die Verletzung der Menschenrechte und der Religionsfreiheit anzusprechen.

Die indonesische Regierung unternehme fast nichts gegen die Angriffe von militanten Gruppen auf Kirchen und auf Moscheen der Ahmadiyya, erklärte der Vorsitzende der Gemeinschaft der Kirchen in Indonesien, Andreas Yewangoe, nach Angaben der Universität Münster vom Montag. Die religionspolitische Lage sei besorgniserregend. Es fehlten strafrechtliche Schritte. "Das Schweigen muss ein Ende haben", sagte Yewangoe.

Indonesien ist mit rund 230 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste muslimisch geprägte Land der Welt, wie die Hochschule erklärte. Seine Verfassung ermögliche das gleichberechtigte Nebeneinander mehrerer Religionen und garantiere Religionsfreiheit. In diesem Jahr jedoch hätten militante Gruppen mehrfach Kirchengemeinden und Moscheen der Ahmadiyya angegriffen. Die Ahmadiyya verstünden sich selbst als muslimische Erneuerungsbewegung, würden aufgrund von Lehrdifferenzen von anderen Muslimen aber als häretisch verurteilt.

Bundespräsident Christian Wulff wird Indonesien im Rahmen einer sechstägigen Asienreise besuchen.