Abschied vom Katholikenkomitee: Vesper zieht Bilanz

"Wir haben als Christen viel Potenzial"

Nach 20 Jahren gibt Stefan Vesper sein Amt als Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) ab. Bei der ZdK-Vollversammlung, die am Freitag und Samstag in Bonn stattfindet, wird er verabschiedet. Im Interview zieht er Bilanz.

Fahne des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) / © Julia Steinbrecht (KNA)
Fahne des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) / © Julia Steinbrecht ( KNA )

KNA: Herr Vesper, warum scheiden Sie schon jetzt aus dem Amt?

Stefan Vesper (scheidender Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken): Als ich den Entschluss gefasst habe, war ja nicht zu erwarten, dass wir durch den Prozess zum Synodalen Weg so stark gefordert werden. Dass ich aufhöre, liegt ausschließlich an der langfristigen Personalplanung: Ich wollte vermeiden, dass mein Ruhestand mit dem Amtszeitwechsel des Präsidiums zusammenfällt. Mein Nachfolger soll außerdem ausreichend Zeit haben, den 3. Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt zu planen.

KNA: Was hat Sie in Ihrer Amtszeit am meisten beeindruckt?

Vesper: Ich bin dankbar, dass ich so viele beeindruckende Menschen kennengelernt habe, die sich auch aus ihrem Glauben heraus engagieren und für etwas brennen. Das reicht von Bundespräsidenten wie Johannes Rau oder Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel über die Kardinäle Lehmann und Marx, unsere ZdK-Präsidenten oder Politiker wie Wilfried Kretschmann oder Bernhard Vogel bis hin zu vielen Christen in Gemeinden und Verbänden. Wir sind als Christen immer noch eine wichtige gesellschaftliche Kraft und haben viel Potenzial - wenn wir uns nicht im Weg stehen und uns durch Fehler lähmen.

KNA: Und was schmerzt Sie im Rückblick am meisten?

Vesper: Da ist natürlich der Missbrauchsskandal. Das ist eine Epochenwende, und es wird lange dauern, verloren gegangene Glaubwürdigkeit wieder zu erlangen. Aber mich ärgert auch, dass wir als Katholiken nicht eine stärkere Rolle beim Thema Ökologie und Bewahrung der Schöpfung spielen. Für mich ist das Teil des Lebensschutzes. Wir haben so viele Traditionen und Ausdrucksformen, mit denen wir bei diesem Thema anschlussfähig wären: Es gibt die Fastenzeit, es gibt den Konsumverzicht an Freitagen, den heiligen Franziskus und eine große Wertschätzung des einfachen Lebens. Es gibt zudem viele Initiativen, die sich für die Bewahrung der Schöpfung engagieren. Wir müssten das stärker bündeln.

KNA: Noch mal zurück zum Missbrauchsskandal. Auf welchem Stand ist die katholische Kirche da?

Vesper: Ich glaube, es ist bei vielen immer noch nicht richtig angekommen, wie stark unser Markenkern bedroht und das Vertrauen in die Kirche erschüttert ist. Das ist bis hin zu den überzeugten Katholiken fundamental. Das Priesterbild hat sich dramatisch verändert, die Distanz zu Liturgie und kirchlichen Ausdrucksformen ist gewachsen.

KNA: Und der Synodale Weg?

Vesper: ... ist eine Riesenchance. Reformforderungen, mit denen wir Jahre lang immer wieder vor die Wand gelaufen sind, kommen jetzt in eine offene Diskussion auf Augenhöhe zwischen Bischöfen und Laien.

KNA: Aber ist nicht die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Weg im Frust endet, weil der Synodale Weg keine Durchschlagskraft hat?

Vesper: Dieser Prozess darf nicht scheitern, sonst verlassen noch mehr Menschen die Kirche. Und es gibt Spielraum für Änderungen. Beispielsweise die Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Natürlich wäre es auch ein Signal, wenn der Synodale Weg mit starker Stimme an Rom appellieren würde, den Diakonat der Frau einzuführen.

Viel Handlungsspielraum gibt es auch bei der konkreten Gestaltung der Machtfrage in der Kirche.

KNA: Warum ist das so wichtig?

Vesper: Weil es weithin zu wenig Wertschätzung für Laien gibt. Das reicht bis in die Gemeinden: Da engagieren sich gestandene Juristen, Ärzte oder Handwerker in den Kirchenvorständen - und letztlich entscheidet der Pfarrer mit einem Federstrich, ob sie mit ihren Anliegen durchkommen. Da entsteht viel Frust; es wird immer schwieriger, solche Menschen für kirchliches Engagement zu gewinnen.

Das gilt natürlich besonders für die Frauen. Wenn sie nicht ernster genommen werden, gehen sie. Es gibt zwar Fortschritte - etwa, was Frauen in Führungspositionen in den Bistümern angeht. Aber das reicht nicht aus.

KNA: Wie bewerten Sie das Verhältnis des ZdK zur Bischofskonferenz?

Vesper: Mit der übergroßen Mehrheit der Bischöfe haben wir ein sehr gutes Verhältnis und einen fairen Umgang. Die Gesprächskultur ist gut. Einen großen Fortschritt sehe ich darin, dass wir jetzt auch zwei Vertreter mit Stimmrecht in den Verbandsrat des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) entsenden können. Die Laien werden also stärker bei finanziellen Entscheidungen auf Bundesebene beteiligt.

KNA: Als Sie 1999 anfingen, spitzte sich der Konflikt um Donum Vitae gerade zu...

Vesper: Donum Vitae ist eine Erfolgsgeschichte, weil der Verein dem Lebensschutz dient. Das erkennen auch die allermeisten Bischöfe an.

Die Angriffe - auch von einer kleinen Gruppe von Laien - sind verpufft. Ich war immer der Überzeugung, dass wir das durchstehen müssen, ohne den schlechten Stil mancher Gegner zu übernehmen.

Wichtig war mir, die Gesprächskanäle offen zu halten - in dem Bewusstsein: Man sieht sich immer zwei Mal. Und: Wir wollen auch weiterhin zusammen die Messe feiern können.

KNA: Bevor Sie Ihr Amt antraten, haben Sie von Sankt Gallen aus die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung in Graz organisiert. Wie weit haben Sie den europäischen Gedanken beim ZdK vorantreiben können?

Vesper: Die Zusammenarbeit der katholischen Laien in Europa kommt nicht so recht vom Fleck. Leider sind die nationalen Strukturen in vielen Ländern eher schwach ausgeprägt. Wir als ZdK sind da ein Unikat. Wir bräuchten viel mehr Kontakte besonders zu Polen, den Niederlanden oder Italien. Auch in Richtung Mittel- und Osteuropa gibt es große Lücken. Wir haben zwar das Hilfswerk Renovabis. Aber die deutschen Katholiken müssten sich stärker engagieren, damit in den früheren Ostblockstaaten aus christlichem Geist Gesellschaft gestaltet wird.

KNA: Ist ein europäischer Katholikentag realistisch?

Vesper: Es gibt derzeit zwei Initiativen, die wir beide fördern: Die European Christian Convention um den Europaabgeordneten Sven Giegold strebt ein ökumenisches europäisches Kirchentreffen an. Zugleich will das Landeskomitee der Katholiken in Bayern ein gemeinsames Treffen der Katholiken in Europa bis zum Jahr 2026 organisieren. Beide Initiativen müssen sich nicht unbedingt ausschließen.

KNA: Neben acht Katholikentagen haben Sie auch zwei Ökumenische Kirchentage mitgetragen. Hat das die Ökumene vorangebracht?

Vesper: Das wichtigste ist, dass es gelungen ist, viel Vertrauen zu den Verantwortlichen in den evangelischen und orthodoxen Kirchen aufzubauen. Wir haben uns sehr intensiv mit den Denktraditionen der anderen Kirchen befasst und dabei gelernt, dass manche Konflikte, mit denen wir uns heute befassen, Jahrhunderte alt sind. Zugleich lernt man auch neu, was die eigene Kirche ausmacht: unsere Einbindung in eine Weltkirche etwa, oder eine - trotz aller Konflikte - sehr starke Identifikation der Katholiken mit ihrer Kirche.

KNA: Und wie bewerten Sie die Zukunft des Laienkatholizismus in Deutschland angesichts sinkender Kirchenbindung?

Vesper: Die Grundidee, sich gemeinsam für ein christliches Anliegen in der Gesellschaft zu engagieren, hat Zukunft. Verbänden wie dem Hildegardisverein oder dem BDKJ mit seiner 72-Stunden-Aktion ist es gelungen, sich zu modernisieren. Aber es sterben auch Verbände, weil ihre Anliegen oder Strukturen nicht mehr der Zeit entsprechen. Das ist eine normale Entwicklung.

KNA: Und was ist mit den Einfluss des ZdK auf die Politik?

Vesper: Wir haben zum Beispiel dazu beigetragen, dass die katholische Kirche die ethischen Debatten zu Sterbehilfe, Palliativmedizin, Organtransplantation oder Stammzellforschung beeinflussen konnte. Das sehe ich als Erfolg an. Gedanken muss sich das ZdK darüber machen, wie die Kontakte in die Parteien wieder gestärkt werden können. Die Verteidigung der Demokratie ist allen Einsatz wert.

KNA: Das ZdK zieht nach Berlin. Was muss sich dort ändern?

Vesper: Ich möchte da meinem Nachfolger Marc Frings nicht reinreden. Aber unbestritten ist wohl, dass wir unsere politische Arbeit verstärken müssen. Dabei ist die Konkurrenz in Berlin sehr groß; für unser kleines Sekretariat ist das eine große Herausforderung. Fest steht aber auch, dass das ZdK im Zeitalter von Digitalisierung und sozialen Medien andere Arbeitsformen finden muss. Lange vorbereitete und fein ausgeklügelte Erklärungen reichen nicht mehr aus.

Das Interview führte Christoph Arens.


Stefan Vesper während eines Diskussionsbeitrags / © Beatrice Tomasetti (DR)
Stefan Vesper während eines Diskussionsbeitrags / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
KNA