Der Internationale Frühschoppen ging vor 70 Jahren auf Sendung

Debatten bei Wein und Zigaretten

Zunächst konnte man den "Internationalen Frühschoppen" nur im Radio hören. Auch nach der Aufnahme ins TV-Programm war das mit dem Sehen nicht immer leicht. Das lag nicht an der Technik, sondern hatte andere Gründe.

Autor/in:
Joachim Heinz
Fernseher und Fernbedienung / © Concept Photo (shutterstock)
Fernseher und Fernbedienung / © Concept Photo ( shutterstock )

"Ein neues Jahr ermutigt zu neuen Versuchen." So begrüßte der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) seine Zuhörer am 6. Januar 1952 um Punkt 12 Uhr: "Versuchen wir es mal mit einer Sendung, die nicht mehr und nicht weniger halten möchte, als ihr mehr oder weniger verheißungsvoller Titel verspricht: 'Internationaler Frühschoppen'."

Wer hätte vor 70 Jahren wohl geahnt, dass das halbstündige Format "mit sechs Journalisten aus fünf Ländern" zu einem Evergreen im deutschen Fernsehen und zur "Mutter aller heutigen politischen Talkshows" werden würde?

Mit Werner Höfer

Die Rolle des Gastgebers und Zeremonienmeisters übernahm für mehr als drei Jahrzehnte und exakt 1.874 Ausgaben Werner Höfer. Der Mann mit der markanten Brille und der sonoren Stimme fragte die Ansichten seiner mehr oder weniger weit gereisten Kollegen zum Weltgeschehen ab - wenn er nicht gerade selbst zu mehr oder weniger längeren Exkursen ansetzte.

An dem bumerangförmigen Tisch nahmen unter anderen Platz: Publizist Johannes Gross, Henri Nannen vom "stern" oder "Spiegel"-Chef Rudolf Augstein, dazu beispielsweise die britische Reporterlegende Charles Wheeler, der sowjetische Journalist und spätere Berater von Michail Gorbatschow, Nikolai Sergejewitsch Portugalow, oder der US-Amerikaner Don Franklin Jordan.

Wein im Glas

Frauen kamen beim "Internationalen Frühschoppen" lange über Statistenrollen kaum hinaus. Als Kellnerinnen hatten sie dafür Sorge zu tragen, dass die Kehlen der Diskutanten während der Sendung nicht austrockneten.

Es herrschte "Weinzwang", nur in Ausnahmefällen floss Wasser oder Saft in die Gläser. Über Herkunft und Qualität der dargereichten Tropfen kursieren unterschiedliche Angaben. Werner Höfer legte in einem Zeitungs-Interview 1973 jedenfalls Wert auf die Feststellung, die Zeche für einen Frühschoppen überschreite nicht die Grenze von 50 D-Mark.

Pfeifenqualm und Zigarettendunst

Neben Alkohol konsumierten die geladenen Pressevertreter vor laufender Kamera Tabak in so gut wie jeder Darreichungsform und Menge. Das führte dazu, dass die Erinnerungen an die Sendung bei vielen älteren Zeitgenossen eher verschwommen ausfallen.

Seit dem 30. August 1953 wurde das Format zwar auch im Fernsehen ausgestrahlt, aber nicht selten verschwanden die Silhouetten der Teilnehmer hinter Pfeifenqualm und Zigarettendunst. Es blieben Rauch und Schall.

Dessen ungeachtet gehörte der "Internationale Frühschoppen" in der nach Anerkennung und Weltläufigkeit strebenden Bonner Republik schnell zum sonntäglichen Ritual in vielen Familien. "Für meinen Vater war der 'Internationale Frühschoppen' der Gottesdienst nach dem Gottesdienst", gab die Grünen-Politikerin Christa Nickels einmal zu Protokoll.

Auf Abweichungen reagierte das Publikum allergisch. So unterbrach Werner Höfer regelmäßig seinen Urlaub auf Sylt, damit die Talkrunde nur ja zur gewohnten Zeit über die Mattscheiben flimmerte. Als er einmal wegen eines Orkans nicht auf das Festland übersetzen konnte, enterte er kurzerhand eine Telefonzelle auf der Insel und übernahm von dort aus die Gesprächsleitung.

Grimme-Preis

Zur 1000. Ausgabe des Frühschoppens am 21. März 1971 kam der damalige Bundeskanzler Willy Brandt ins Studio und gratulierte persönlich. Höfer war da längst eines der bekanntesten Gesichter des deutschen Fernsehens und eine prägende Figur seines Haussenders WDR.

Die Liste der Auszeichnungen reichte vom renommierten Grimme-Preis 1967 bis zum "Mainzer Schoppenstecher" 1973. Der Moderator habe "Wein und Politik gleichermaßen populär gemacht", hieß es zur Begründung.

Höfer begrüßte Hinrichtung in der NS-Zeit

Der tiefe Fall kam 1987. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und wenig später der "Spiegel" berichteten ausführlich über die journalistische Tätigkeit Höfers in der NS-Zeit. Im September 1943 war unter seinem Namen ein Artikel im "12-Uhr-Blatt" erschienen, der kaum verbrämt die Hinrichtung des Pianisten Karlrobert Kreiten wegen Wehrkraftzersetzung begrüßte. Die Episode war bereits länger bekannt, aber anders als früher nahm die Öffentlichkeit Höfers Erklärungen, die Passage sei ihm "hineinredigiert" worden, nicht mehr ab.

Das Verhalten des Moderators, der sich wegen des Weinkonsums im Frühschoppen scherzhaft als "Anstoßerreger" bezeichnete, erregte nun tatsächlich Anstoß. Es sei weniger die Unfähigkeit zu trauern gewesen als vielmehr "die Unfähigkeit, sich öffentlich zu bekennen", die am 20. Dezember 1987 zum Sendeschluss für Höfer und zur vorläufigen Sendepause für den Frühschoppen führte, bilanzierte der Journalist Uwe Kammann.

Comeback nach Höfers Tod

Beim Bonner TV-Sender phoenix feierte das Format 2002, fünf Jahre nach Höfers Tod, eine Wiederauferstehung. In unregelmäßigen Abständen finden sich Journalistinnen und Journalisten seither zum Frühschoppen ein - bei einem Glas Wasser statt Wein und unter Verzicht auf jegliche Rauchwaren.

Immer noch lehre die Sendung die "Bedeutung von Sachkunde, Sachlichkeit und der Kraft des Arguments", findet der Vorsitzende der Gesellschaft Katholischer Publizisten (GKP), Joachim Frank. Und der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall meint: "An Talkshows herrscht im Fernsehen längst kein Mangel mehr. Aber manch ein Format könnte durchaus um den internationalen Blick auf die Dinge erweitert werden."


Frau mit einer Fernbedienung in der Hand / © Dragon Images (shutterstock)
Frau mit einer Fernbedienung in der Hand / © Dragon Images ( shutterstock )
Quelle:
KNA