Aktivisten wollen Fest der Riesen von Kulturerbeliste streichen

Rassistisches Kulturerbe in Belgien?

Vor 59 Jahren wurde die Demokratische Republik Kongo unabhängig von Belgien. Einige belgische Volksfeste erinnern immer noch an die Zeit als Kolonialmacht. Aktivisten wollen, dass sich das ändert.

Autor/in:
Franziska Broich
Parade bei einem Volksfest in Mons, Belgien / © Anibal Trejo (shutterstock)
Parade bei einem Volksfest in Mons, Belgien / © Anibal Trejo ( shutterstock )

Ein Farbiger mit Nasenring und Federn auf dem Kopf zieht durch die Straßen, angekettet an einem fahrenden Schiff und mit wildem Ausdruck. Die Menge am Straßenrand feiert ausgelassen.

In Belgien ist das keine Szene aus der Kolonialzeit unter Leopold II., sondern aus dem Jahr 2018. Im westbelgischen Ath ist der Umzug mit dem "Sauvage", dem Wilden, der Höhepunkt der jährlichen Kirmes, die am Wochenende stattfindet. Die Antirassismusgruppe "Bruxelles Pantheres" will das ändern.

Hexenverbrennung, Drachenkampf und "Fest der Riesen"

"Es ist negrophob, sich das Gesicht schwarz anzumalen", sagt der Sprecher der "Bruxelles Pantheres", Mouhad Reghif. Er fordert, das der sogenannte "Sauvage" entweder nicht mehr schwarz geschminkt wird oder gar nicht mehr auftaucht im Umzug.

Die Belgier lieben ihre Prozessionen, bei denen sich religiöse Motive und weltliche Legenden und Figuren seltsam verweben. Da gibt es das Katzenfest mit Hexenverbrennung in Ypern alle drei Jahre im Mai, das Waltraudsfest mit Drachenkampf in Mons nach Pfingsten und eben das Fest der Riesen in Ath. Der belgische Tourismusverband Wallonie beschreibt es als "eines der berühmtesten Folklorefeste Belgiens".

Die "Ducasse" (Kirmes) geht auf das 15. Jahrhundert zurück und inszeniert die Riesen von Ath wie eine Art Goliath, als Oberhäupter der Feierlichkeiten. Seit 2005 ist die "Ducasse von Ath" als immaterielles Kulturerbe der Unesco anerkannt.

Reghif findet das unhaltbar. "In einem Brief an die Unesco haben wir gefordert, dass das Fest von Ath von der Kulturerbeliste gestrichen wird", sagt er. Außerdem hatte die Gruppe eine Bürgeraktion für den Tag des Umzugs am Sonntag geplant, um mehr Bewusstsein für das Thema zu schaffen. "Leider wurde unser Vorhaben nicht genehmigt", sagt Reghif. Die Sicherheit könne nicht gewährleistet werden, teilten Polizei und Bürgermeister mit.

Folklore oder Diskriminierung?

Der Bürgermeister von Ath, Bruno Lefebvre, setzt auf Dialog. Er lud die Gruppe am Mittwoch zu einem Treffen in Ath ein. "Ich möchte nicht, dass wir nur über das Internet kommunizieren", sagt er.

Nachdem das Treffen bekannt geworden war, erhielt Reghif Beleidigungen und Drohungen. Den Ort des Treffens erfuhr er aus Sicherheitsgründen erst kurz zuvor. "Zu Anfang der Begegnung war die Atmosphäre eher kühl", berichtet Reghif, doch danach seien die Argumente ausgetauscht worden.

Die "Bruxelles Pantheres" sehen in der Verkleidung des Mannes als "Sauvage" und dem Anmalen mit schwarzer Farbe eine Verbreitung eines überholten Klischees. Sie setzen sich gegen eine strukturelle Diskriminierung afrikanischstämmiger Belgier ein. "Es ärgert mich, dass Farbige aufgrund ihrer Hautfarbe Schwierigkeiten haben, eine Wohnung, eine Arbeit oder eine gute Schule für ihre Kinder zu finden", klagt Reghif.

Für Lefebvre ist der Umzug mit dem "Sauvage" indes Folklore. "Es gibt keine Bezüge zu Negrophobie oder Diskriminierung", sagt er. Der "Wilde" sei die beliebteste Figur des Umzugs. "Rassismus ist kein Problem in Ath", meint der Bürgermeister. "Für den Umzug am Sonntag wird es keine Veränderung geben, aber eine Entwicklung ist möglich."

Belgien sucht noch den richtigen Umgang mit dem kolonialen Erbe. Das wurde zuletzt bei der Wiedereröffnung des Afrika-Museums im Dezember 2018 deutlich. Zwar sind einige umstrittene Gegenstände wie der "Leopardenmensch" von Paul Wissaert aus dem Jahr 1913 in einem Raum für ausrangierte Exponate ausgestellt, aber Beschriftungen wie "Belgien bringt Zivilisation in den Kongo" sind weiterhin größtenteils unkommentiert zu sehen.

Zuletzt machte das Afrika-Museum Anfang August Schlagzeilen, weil Gäste zu einer Afrika-Motto-Party mit schwarz angemaltem Gesicht erschienen. Das Museum entschuldigte sich.

Auf der Suche nach dem Umgang mit dem kolonialen Erbe

Der Direktor der belgischen Antidiskriminierungsstelle, Unia, Patrick Charlier, sieht "Blackfacing", bei dem sich weiße Menschen schwarz schminken, in einem größeren Zusammenhang. "Wir brauchen eine Reflexion über den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit in Belgien", sagt er. "Blackfacing" sei nicht nur in Ath ein Problem, sondern etwa auch beim Gehilfen des Nikolaus, dem "Zwarten Piet".

Wichtig sei es, dass alle Belgier - mit und ohne afrikanische Wurzeln - an der Debatte beteiligt würden. Neuen Schwung könnte im September der Bericht einer UN-Expertengruppe zum Umgang mit Menschen afrikanischer Abstammung in Belgien bringen.


Quelle:
KNA