Warum die Jüdin Barbara Honigmann mit 70 das erste Mal wählt

Ständig zwischen den Stühlen. Über meinen Vater Georg

Ihr Vater sei als deutscher Jude durch das 20. Jahrhundert gestolpert, sagt Barbara Honigmann. Jetzt hat sie dem bekannten Journalisten Georg Honigmann ein Portrait gewidmet und erklärt, warum sie mit 70 Jahren nun zum ersten Mal wählt.

Barbara Honigmann / © Peter-Andreas Hassiepen
Barbara Honigmann / © Peter-Andreas Hassiepen

Wie fühlt es sich an, wenn man sein Leben lang fremd unter den Menschen bleibt? Im 20. Jahrhundert ist es den deutschen Juden, die den Holocaust überlebt haben, so ergangen. Aus Deutschland vertrieben, im Ausland als Außenseiter behandelt, nach dem Krieg, wenn überhaupt zurück nach Deutschland, wieder fremd in der alten Heimat. Georg Honigmann war damals ein bekannter deutscher Journalist mit jüdischen Wurzeln. Immer saß er zwischen allen Stühlen, sagt seine Tochter Barbara Honigmann, die jetzt ein Buch über ihren Vater geschrieben hat.

Fremd unter den Menschen

'Georg war nämlich zugleich misanthropisch und gesellig, bissig und charmant, immer witzig und zugleich ein bisschen traurig, widersprüchliche Eigenschaften, die vielleicht von der 'miesen Erbschaft' stammten, dem ewigen Zwischen-den-Stühlen-Sitzen', schreibt Barbara Honigmann in dem Portrait über Georg Honigmann. Sie habe ihrem traurig entwurzelten Vater damit ein schönes Denkmal gesetzt, heißt es in einer FAZ Rezension. Im DOMRADIO.DE Interview erklärt sie, was ihr Vater damit meinte, wenn er selbst von der 'miesen Erbschaft' sprach, die ihm sein Großvater hinterlassen habe. Mit den Traditionen und Konventionen seiner Herkunft aus dem orthodoxen Judentum habe der Vorfahre gebrochen und sich mit naiver Gläubigkeit einer aufklärerischen Richtung verschrieben, nur um dann 'wie wir alle' zwischen den Stühlen zu landen. "Auch wenn die Juden ganz assimiliert waren, war meinem Vater immer klar, das sind die Deutschen und wir sind die Juden", sagt die Autorin.

Ihr Vater Georg war Journalist, Emigrant, Jude und Kommunist

Barbara Honigmann hat in britischen Geheimdienstarchiven über ihren Vater recherchiert. Er arbeitete schon in der Weimarer Zeit als Auslandskorrespondent in London und blieb auch, gezwungenermaßen, während der Nazizeit dort. "In den Geheimdienstunterlagen wurde seine 'prominent nose' beschrieben", erzählt Barbara Honigmann. "Ich dachte ich spinne, ich sitze da in einem Londoner Archiv und lese über seine 'prominent nose'. Wie fixiert die Menschen doch auf das Äußerliche sein können".

In ihrem liebevollen Portrait über ihren Vater Georg sucht Barbara Honigmann auch nach einer Antwort auf die Frage, warum sich ihr Vater, ein kluger reflektierender Mann aus dem jüdischen Bildungsbürgertum, dem Kommunismus in der DDR verschrieb. Er hätte nach dem Krieg auch in London bleiben können, wo er als Journalist ein gutes Auskommen hatte. "Aber er hatte diese Art Erlösungssehnsucht", vermutet die Tochter, "von der nicht nur er dachte, dass die Kommunisten da eine Erfüllung anzubieten hätten. Gleichheit, Gerechtigkeit – im Grunde genommen messianische Ideen. Und die haben dann nicht mehr gefragt, wie das dann passieren soll und warum das mit so vielen Verbrechen einhergehen muss".

Sein Vermächtnis ist ihr jüdisches Leben

Ihr Vater habe gewissermaßen den Fehler seines Großvaters wiederholt, meint die Tochter, und sich einer aufklärerischen Idee, nämlich der des Kommunismus angeschlossen, als Jude ohne Bekenntnis. Aber für die deutschen Genossen blieb er auch in der DDR als bürgerlicher Jude ein Außenseiter und Fremder.

Georg Honigmann lebte säkular und hatte zur Religion seiner jüdischen Vorfahren keine Beziehung. Und doch ließ er sich am Ende auf einem jüdischen Friedhof beerdigen. "Ich war ja selber erstaunt darüber", sagt die Tochter. "Ich vermute, dass es so eine Erkenntnis war: 'Ich bin als Jude geboren. Dann habe ich mein Leben so frei oder unfrei, wie es eben ging, verbracht und zum Schluss gehe ich eben dahin zurück, woher ich komme, wo meine Gruppe ist'".

Barbara Honigmann bekennt sich im Gegensatz zu ihrem Vater zum jüdischen Glauben. Ihr jüdisches Leben ist sein Vermächtnis. "Mein Leben ist auch eine Konsequenz aus der Lebensgeschichte der Generation meines Vaters", sagt sie, "oder eben der Generation davor, dass ich eben als Jüdin begriffen habe, dass der Weg der völligen Assimilation gegen die Wand geht und habe eben meine Konsequenzen gezogen und lebe unseren jüdischen Glauben". In ihrem Buch 'Georg' erzählt die Autorin, wie ihre Familiengeschichte mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts verwoben ist und sie fragt sich, warum ihr Vater in seinem Beziehungsleben so unstet blieb - viermal war er verheiratet.

Mit 70 Jahren zum ersten Mal zur Wahl

Ganz am Ende des DOMRADIO.DE Interviews spricht Barbara Honigmann auch über die zunehmenden Spannungen in einem Europa, in dem in vielen Ländern nationalistische Parteien auch vor antisemitischen Parolen nicht zurückschrecken. "Ich bin 70 Jahre alt", sagt die in Straßburg lebende deutsch-jüdische Autorin, "als ich in der DDR lebte, bin ich nie zur Wahl gegangen und später in Frankreich dachte ich, das geht alles auch ohne mich. An diesem Sonntag gehe ich zum ersten Mal in meinem Leben zur Wahl, ich muss das tun".


Quelle:
DR