Vor 300 Jahren erschien Defoes erfolgreichster Roman

Ist "Robinson Crusoe" ein Handbuch der Kolonialisierung?

Die Geschichte des Schiffbrüchigen, der jahrelang auf einer einsamen Insel überlebt, fasziniert bis heute. In "Robinson Crusoe" geht es nicht nur um ein Abenteuer. Auch die Bibel spielt in dem Roman eine wichtige Rolle - und die Mission. 

Autor/in:
Paula Konersmann
 (DR)

Welche andere Person, welches Lied, welches Buch würde man mit auf eine einsame Insel nehmen? Eine Frage, über die wohl jeder schon sinniert hat. Robinson Crusoe, Hauptfigur des gleichnamigen Romans, hat eine Bibel bei sich. Auch von seinem historischen Vorbild, dem Seemann Alexander Selkirk, ist überliefert, dass er häufig in der Bibel las.

Der Roman, der schlagartig zum erfolgreichsten Werk seines Autors Daniel Defoe wurde, erschien vor 300 Jahren, am 25. April 1719.

Als "das Entzücken und das Evangelium der Kinder" bezeichnete Goethe diese Geschichte; der französische Denker Rousseau erklärte, sie werde den Menschen stets Vergnügen bereiten, "solange unser Geschmack nicht verdorben ist".

Vielfach wurde der Roman symbolisch gelesen, der wüste Überlebenskampf auf der kärglichen Insel als Sinnbild für das menschliche Geworfensein in die Welt, fern von Ufern und fester Bleibe.

Wahre Begebenheit und neuer Stil

Der Roman beruht auf einer wahren Begebenheit: 1704 wurde Alexander Selkirk nach einem Streit mit seinem Kapitän auf der Insel Mas a Tierra ausgesetzt - die seit 1966 Robinson-Insel heißt. Selkirk wurde nach über vier Jahren gerettet, seine Geschichte 1713 in einer Zeitschrift veröffentlicht. Daraus schuf Defoe einen Roman, der schnell zum Klassiker wurde.

Neuartig war vor allem der reportageartige Stil; Defoe betrachtete sich selbst als Berichterstatter. Die Romanhandlung weicht allerdings teils stark vom Schicksal Selkirks ab.

"Robinson Crusoe", erzählt aus der Perspektive des Titelhelden, beginnt mit dem Bekenntnis, schon früh habe dessen Kopf "voll von Plänen zu einem umherschweifenden Leben" gesteckt. Die väterliche Warnung vor der Seefahrt schlägt der junge Mann denn auch in den Wind, bis er - nach einigen Abenteuern auf See - Schiffbruch erleidet.

Er baut sich eine Festung, rettet noch zahlreiche Habseligkeiten aus dem Schiffswrack - unter anderem besagte Bibel -, beginnt mit Getreideanbau und dem Zähmen von Ziegen. Nach einigen Tagen errichtet er ein Kreuz, in das er für jeden Tag auf der Insel eine Kerbe schlägt.

Der Erkrankte findet zum Glauben - und zur Mission

Nach einer überstandenen Erkrankung findet der Gestrandete zum Glauben und liest viel in der Heiligen Schrift. Er rettet seinen künftigen Begleiter Freitag - benannt nach dem Tag ihrer Begegnung - vor Kannibalen und vermittelt ihm die christliche Glaubenslehre.

Nach 28 Jahren wird Robinson gerettet. Er kehrt später noch einmal auf die Insel zurück, wo inzwischen eine friedliche Kolonie existiert.

Eine reine Heldengeschichte ist das nicht. Der frühere Sklavenhändler Robinson lerne zwar, sein Schicksal anzunehmen und "die äußere Natur wie die eigene innere zu bändigen", schrieb der Marburger Historiker Benedikt Stuchtey kürzlich in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

An Freitag praktiziere er indes "die Zivilisierungsmission, die dem Kolonialismus in eigener Lesart seine Legitimität verlieh".

Ein "Handbuch der Kolonialisierung"

Die Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt kritisiert nur scheinbar harmlose Vorstellungen einer einsamen Insel. Wer eine solche Insel beschreiben solle, spreche häufig von Palmen und Abenteuer - einer tropischen Insel, "die von kolonialistischen Fantasien nur so strotzt".

In der Deutschen Welle nannte Arndt den Roman einmal ein "Handbuch, wie man diese neuen Territorien in Amerika und Afrika kolonisierte, also die Ressourcen nutzte, aber auch die Arbeitskräfte".

Neben dieser kritischen Auseinandersetzung bot der Roman weithin Inspiration - für Adaptionen als Stummfilm, TV-Serie oder Hörspiel, aber auch für ein ganzes Genre namens Robinsonaden.

Eine der bekanntesten dürfte das preisgekrönte Filmdrama "Cast Away" (2000) mit Tom Hanks in der Hauptrolle sein; der damalige James-Bond-Darsteller Pierce Brosnan schlüpfte 1997 in die Rolle Robinsons.

Um die Jahrtausendwende entstanden auch zahlreiche Survival-Formate im Fernsehen, die das Motiv der einsamen Insel mit den Psycho- und Erotik-Elementen von Reality-Shows verbanden.

Derjenige, der den Stein einst ins Rollen gebracht hatte - Daniel Defoe - machte jenseits der Literatur mit politisch-religiösen Texten von sich reden. Sein berühmtestes Buch allerdings brachte ihm nur 50 Pfund und eine geringe Beteiligung ein. Er starb 1731 in Armut.


Quelle:
KNA