Mutig zu sein heißt sich überhaupt zu zeigen

Mutiger werden in winzigen Schritten

In dieser Adventszeit behandelt DOMRADIO.DE auführlich das Thema "Mut", daher hat natürlich auch das Buch "Mut ist ... Kaffeetrinken mit der Angst" von Susanne Niemeyer unser Interesse geweckt.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Auf dem Bahnhofsvorplatz kam mir eine gut gelaunte Gruppe junger Frauen entgegen und ich sah, wie eine Frau die Plastikverpackung eines Schokoriegels etwas demostrativ auf den Boden warf. Innerlich regte ich mich etwas auf, sagte und tat jedoch nichts. Dies übernahm einen Moment später jedoch ein älterer Herr, der die Frau zurecht wies und sie dazu brachte, das Papier aufzuheben. Ist das richtiger Mut, wenn man in dieser Situation so reagiert?

Susanne Niemeyer (Autorin, Kolumnistin und Bloggerin): Ob das richtiger Mut ist, weiß ich nicht. Jedoch finde ich, dass es mutig ist, wenn man in solchen Situationen überhaupt etwas tut. Egal in welcher Situation man sich befindet, sollte man nicht verharren, wie das Kaninchen vor der Schlange. Man sollte stattdessen überhaupt eine Reaktion zeigen und sich idealerweise auch noch freundlich verhalten. Dies fällt mir selbst auch oft schwer.

DOMRADIO.DE: Jetzt habe ich in dieser Situation nicht reagiert und war überhaupt nicht mutig. Das hat mich im Nachhinein sehr geärgert. Kennen Sie solche Situationen?

Niemeyer: Ich glaube, jeder kennt solche Situationen, weil es sehr alltäglich ist, dass ich gerne eine Heldin wäre, dann jedoch Angst habe, unsicher bin und nicht richtig weiß, was die angemessene Reaktion wäre oder mir fällt zwei Stunden später eine schlagfertige Anwort ein.

DOMRADIO.DE: Geschichten dieser Art tauchen in ihrem Buch auf. Erzählen Sie doch vielleicht mal, welche Alltagsgeschichten beschreiben sie da?

Niemeyer: Ich beschreibe alle möglichen Alltagsgeschichten, zum Beispiel haben meine Geschichten damit zu tun, dass man sich überhaupt zeigt. Sie hätten sich ja auch gezeigt, wenn Sie das Mädchen angesprochen hätten und gesagt hätten, dass es blöd ist, hier den Müll hin zu werfen. Aber zu zeigen, ich habe Liebeskummer, zu zeigen, ich glaube an Gott, zu zeigen, dass ich eine Haltung gegen Rechts habe: Also sich in jeder Hinsicht zu zeigen.

DOMRADIO.DE: Sich als Christin zu zeigen und laut und deutlich zu sagen: "Ich glaube an Gott", das ist auch etwas, dass vielen Leuten schwerfällt. Wie Ist das bei Ihnen?

Niemeyer: Ja das kenne ich auch. Ich finde, man muss ja nicht laut sein, aber freundlich und souverän zu sagen "Ja ich bin Christin", das ist schon etwas, was ich manchmal peinlich finde. Ich möchte dann immer hinterher schieben, dass ich ansonsten ganz normal bin. Ich trinke auch mal ein Glas Wein oder spiele Karten. Darüber habe ich tatsächlich auch geschrieben, wie es ist zu zeigen, dass ich Christin bin und dennoch von dieser Welt bin.

DOMRADIO.DE: Wie kann man es anstellen da ein bisschen mutiger zu werden, also mutig zu werden, sich zu zeigen?

Niemeyer: Indem man es einfach tut und zwar mit winzigen Schritten, also nicht gleich bei den riesigen Sachen anfängt, sondern im Alltag. Sich zum Beispiel unter Freunden mutig zeigt und ich angebe, dass mich etwas berührt, ich verletzt bin, ich begeistert bin, ich etwas nicht gut finde. Also fange ich in kleinen Schritten an, meine Meinung zu sagen, aber ohne los zu poltern, wie das viele im Internet tun. In dieser Anonymität gibt es viel vermeintlichen Mut, aber ich finde es nicht mutig, wenn man in den luftleeren Raum im Internet rumschimpft.

DOMRADIO.DE: Gucken wir uns vielleicht eine Beispielgeschichte aus ihrem Buch etwas genauer an: "Frieda im Blümchenkleid". Was passiert in dieser Geschichte?

Niemeyer: Frieda schleppt ganz viele Dinge mit sich herum. Hier sind es Tüten, aber gemeint sind natürlich all die Dinge, die sie in ihrem Leben angesammelt hat, die sie nicht loslassen kann und über die sie nicht reden kann. Also all das, was man so mit sich herumschleppt. Dann trifft sie auf der Straße Gott. Er kennt Sie nicht und fragt dennoch, ob er ihr ein paar Tüten abnehmen kann und sie denkt zunächst, "Nein, all diese Dinge kann ich niemandem zumuten.". Am Ende tut sie es dann doch und gibt Dinge ab. Und in dem Wort "zumuten" steckt dann auch wieder das kleine Wörtchen Mut drin.

DOMRADIO.DE: Also geht es auch darum, Gott die Tür zu öffnen?

Niemeyer: Es geht darum, sich Gott zuzumuten, wie ich mich anderen Menschen auch zumute. Vielleicht nicht immer die Strahlende, die Tolle zu sein, sondern sich mit allen Brüchen zu zeigen.

Das Interview führte Verena Tröster.


Quelle:
DR