Maria Cecilia Barbetta über ihren Roman "Nachtleuchten"

Mit der Wandermadonna zu den Menschen

Sie ist in Buenos Aires aufgewachsen und lebt jetzt in Berlin. Maria Cecilia Barbetta schreibt über ihre argentinische Heimat auf Deutsch. In ihrem neuen Roman "Nachtleuchten" schickt sie eine Wandermadonna von Haus zu Haus. 

 (DR)

"Teresa Gianelli hatte sich nach den Vorgaben des Zweiten Vatikanums zum Ziel gesetzt, die Kirche zu den Menschen zu bringen". Teresa ist elf Jahre alt und geht in einem Vorort von Buenos Aires auf eine katholische Klosterschule. Dort erfährt sie von den Aufbrüchen des Zweiten Vatikanums. "Die Kirche zu den Menschen bringen" – das nimmt sie wörtlich, geht in die Kirche und stellt dort fest, dass das Altarkreuz festgenagelt ist und der mit Rubinen besetzte Kelch hinter Schloss und Riegel steht. "Aber Teresa hat eine kleine Plastikmadonna bei sich zuhause und bringt diese Madonna zu den Nachbarn", erzählt Maria Cecilia Barbetta, "dort bleit sie eine Woche. Dann muss sie weiterziehen".

Der Roman "Nachtleuchten" beginnt mit der Plastikstatuette, die Teresa zu den Menschen bringt. Die Idee einer "Wandermadonna" hat die Autorin nicht frei erfunden. "Es gibt diesen Brauch in Argentinien", sagt Barbetta, "ich kann mich noch daran erinnern. Als junges Mädchen war ich oft bei meiner Oma. Dann klopften Frauen an die Tür. Sie trugen eine große Madonna mit sich, die man sich eine Woche lang ausleihen durfte". Ihre Oma habe für die Madonna einen kleinen Altar vorbereitet – mit frischen Blumen und Fotos ihrer verstorbenen Eltern".

Mit dem Großvater in die Autowerkstatt

Im Roman "Nachtleuchten" geht es auch um den Aufbruch in der katholischen Kirche, um das Aufkommen der Befreiungstheologie in Argentinien. Die junge Nonne Maria steht für den Aufbruch, sie fährt auf ihrer roten Vespa in die Armenviertel der Stadt oder kämpft dafür, dass Priester heiraten dürfen. Zugleich zerreißen Mitte der siebziger Jahre politische Spannungen Argentinien. Der Hoffnungsträger Juan Peron stirbt. Rechtsradikale Kräfte setzen sich durch. 1976 putscht sich das Militär an die Macht und große Teile der Kirche paktieren mit der Militärjunta. Zwischen Befreiungstheologie und Unterstützung der Militärdiktatur taumelt die Kirche hin und her.

Maria Cecilia Barbetta erzählt in ihrem Roman, wie die einfachen Menschen in dem Stadtteil Ballester diese unsichere Zeit erleben. Treffpunkt dieser Menschen ist die Autowerkstatt "Autopia" und auch die ist nicht völlig frei erfunden. "Mein Großvater hat sein ganzes Leben in dieser Autowerkstatt verbracht und er wurde von allen Nachbarn, die dort vorbeikamen besucht", schwärmt Barbetta von der Atmosphäre in dieser Autowerkstatt. "Er hat mir immer eine unglaubliche Sicherheit vermittelt – in einer Zeit, die alles andere als einfach war. Aber trotzdem gab es im Alltag immer wieder lichte Momente, die das Leben lebenswert erscheinen ließen". So ist Barbettas Roman "Nachtleuchten" auch ein Hymnus an das Leben und an das Glück in unsicheren Zeiten".

"Wir stammen von den Schiffen"

Argentinien sei ein Einwanderungsland und definiere sich auch so, betont Maria Cecilia Barbetta und zitiert ein bekanntes argentinisches Sprichwort: "Wir stammen von den Schiffen" heißt es. So leben auch im Vorort Ballester Menschen aus aller Welt und haben sich dort eine Existenz aufgebaut. Die Autorin erzählt vom Friseur im Salon "Ewige Schönheit", vom Bäcker, von den Mechanikern in der Autowerkstatt. Der Roman "Nachtleuchten" zeigt ein Gesellschaftspanorama, das nicht an eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Ort gebunden ist. Unsichere Zeiten erleben wir auch heute und multi-ethnische Stadteile gibt es auch in Berlin-Kreuzberg, wo Maria Cecilia Barbetta seit über 20 Jahren lebt. "Ich bin sehr glücklich in Kreuzberg", sagt sie. "Ich habe dort das Gefühl, mich in der Wirklichkeit zu befinden. Gleich nebenan steht ein Haus, dort wohnen viele Flüchtlinge. Jeden Tag bekomme ich mit, wieviel sich verändert und dass wir heute auf Empathie angewiesen sind. Das kenne ich auch sehr gut aus Buenos Aires – dieses Gefühl, dass es Menschen gibt, die keinen Halt haben".

Was ist katholisch?

Was sie allerdings in Berlin vermisst, ist das katholische Umfeld, das sie aus ihrer Kindheit in Buenos Aires kennt. In Köln oder München atme sich die Luft anders, sagt sie und schaut aus dem DOMRADIO.DE Fenster voller Bewunderung auf den Kölner Dom. Auf die Frage, was denn für sie "katholisch" sei, antwortet sie, sich den kindlichen Blick auf die Welt zu bewahren – das sei auch eine Frage des katholischen Glaubens. "Dieser kindliche Blick, auf eine Welt voller Wunder und Güte zu schauen", schwärmt sie. "Ich bin immer noch sehr kindlich, weil ich felsenfest davon überzeugt bin, dass am Ende, ganz am Ende, ganz am Ende", Barbetta wiederholt und wiederholt es, "ganz am Ende immer das Gute siegt".

Ihren Roman "Nachtleuchten" vergleicht die Autorin Maria Cecilia Barbetta mit einem Kaleidoskop, das man gegen das Licht halten muss – und wenn man das Kaleidoskop zum Himmel hebt, hindurch schaut und dreht, dann sind die Romanfiguren die bunten Glassteine, die sich immer wieder neu gruppieren und leuchten. "Nachtleuchten" ist ein großer Gesellschaftsroman über eine Zeit im Umbruch, die auch unsere Zeit sein könnte. Ein unglaublich aktuelles Buch, auch ein Buch, das viel über Kirche und Religion erzählt, unbedingt zu empfehlen.


Quelle:
DR