Kinder der Domchöre bei Puccini-Oper im Staatenhaus mit dabei

Ganz großes Kino bei "Turandot"

Die Wiederaufnahme der Turandot-Inszenierung von Lydia Steier knüpft an diesem Sonntag mit Catherine Foster und Martin Mühle in den Titelpartien an dem Erfolg von 2017 an. Mit dabei: 42 Kinder aus den Domchören.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Auf dem Drachenschiff werden die Kinder der Menge vorgeführt / © Beatrice Tomasetti (DR)
Auf dem Drachenschiff werden die Kinder der Menge vorgeführt / © Beatrice Tomasetti ( DR )

In ihren roten und pinkfarbenen Seidenkimonos sind sie ein fröhlicher Farbtupfer, als sie auf dem Drachenschiff hereingefahren werden. Der mehrgliedrige Kopfschmuck aus goldenem Brokat gibt ihnen etwas Festliches, obwohl sie doch Geknechtete sind.

Denn wie aufgezogene Püppchen wippen die Kinder mit kalkweißem Gesicht einmal nach rechts, dann wieder nach links zu dem einfachen chinesischen Volkslied, das sie singen, während sie fein herausgeputzt und mit starrem Blick die Vorführung vor den gaffenden Touristen über sich ergehen lassen.

Spiel der Mimik

Gute Miene zum bösen Spiel machen und dabei leicht grinsen – das hat ihnen Regieassistentin Eike Ecker gleich bei der ersten szenischen Probe aufgetragen. So tun als ob… und dabei glücklich aussehen, obwohl sie eigentlich Angst haben – das muss in der beabsichtigten Mimik zum Ausdruck kommen.

Später, nach mehreren Durchgängen, in die Ecker nach und nach auch die vielen Sänger des Kölner Opernchores und die Solisten einbezieht, lobt sie dann anerkennend die jungen Sängerinnen und Sänger: "Das habt Ihr richtig toll gemacht."

Und nach der Generalprobe gibt es dann noch eine Steigerung, diesmal an die Adresse von allen Akteuren: "Ihr alle wart sensationell gut. Wirklich super!" Nur fünf Probentermine – einschließlich der Generalprobe – müssen reichen, damit die Performance stimmt und jeder weiß, was er zu tun hat.

Eintrainierter Ablauf

Doch die meisten der insgesamt 42 mitwirkenden Mädchen und Knaben der Kölner Domchöre machen ohnehin bereits zum zweiten und dritten Mal bei einer Oper im Staatenhaus mit und kennen daher die Abläufe ganz genau: erst das Kostüm anziehen, dann einsingen mit einem der Chorleiter aus der Kölner Dommusik – Eberhard Metternich oder Oliver Sperling – danach kurz in die Maske.

Schließlich noch einmal konzentriert den musikalischen Einsatz durchgehen. Denn der muss dann auf den Punkt sein. Wiederholen geht nur bei einem Probedurchlauf, aber bei der Aufführung selbst muss sich jeder der elf- bis 13-jährigen Sängerinnen und Sänger absolut sicher sein und seinen Part souverän beherrschen.

Feilen an den Details

Besonders spannend wird es dann noch einmal bei der Generalprobe, wenn diese letzte Gelegenheit vor der Premiere eigentlich schon so etwas wie der Ernstfall ist. Grobe Schnitzer sollte es dann nicht mehr geben - allenfalls im Anschluss nur noch vereinzelte Korrekturen von den Chorleitern.

Die stehen jeweils hinter der Bühne und beobachten aufmerksam das Zusammenspiel von szenischer und sängerischer Leistung, feilen ein letztes Mal an Details, bis sich dann am Premierenabend selbst die Spannung bis zur letzten Minute noch einmal deutlich steigert.

Chinesische Kultur und italienische Aussprache

"Hier geht es um die chinesische Kultur und daher auch ganz andere Harmonien, die Puccini sehr eindrucksvoll in seine Musik eingearbeitet hat – und dann noch die italienische Aussprache. Das erfordert einfach fleißiges Üben", sagt Metternich über die wochenlange Einstudierung der vier kurzen Auftritte mit den Kindern, von denen zwei nur aus dem "Off" gedacht sind.

Aber die Mitwirkung in der Oper – in der neuen Saison ist die Dommusik wieder an vier Produktionen beteiligt – mache allen großen Spaß und erweitere zudem ungemein den musikalischen Erfahrungshorizont. "Das Ganze spielt in einem totalitären Unrechtsstaat", erklärt Sperling dem Auswahlchor den Opernkontext.

Spektakel mit 120 Akteuren

"Ihr singt, obwohl Euch gar nicht danach zumute ist. Man muss als Zuschauer spüren, dass Ihr gedrillt seid, aber innerlich eine Leere empfindet und das Spektakel der Zurschaustellung nur mitmacht, weil man Euch dazu zwingt", so Sperling.

Bis zu 120 Akteure sind bei "Turandot" zwischenzeitlich auf der Bühne. Die meisten von ihnen gehören den Chören an. Fast genauso viele Musiker stellt noch einmal das Gürzenich-Orchester, das bei dieser Oper in extra großer Formation spielt und aus akustischen Gründen diesmal hinter der Kulisse postiert ist.

Gewaltiger Klangkörper

Das kommt den Solisten zugute, rückt das Geschehen auch näher an die vorderen Publikumsränge und ermöglicht ein gefühltes "Mittendrin". Trotzdem ist das damit fast unsichtbare Orchester auch an dieser Stelle als gewaltiger Klangkörper wahrnehmbar.

Zusammen mit dem opulenten Bühnenbild von weitaus größerem Ausmaß als sonst liefert der Klangkörper die Hintergrundfolie für ein hochdramatisches Musiktheater, das in der Version der 1978 in Connecticut geborenen Regisseurin Lydia Steier ganz großes Kino zeigt: starke Massenszenen, unschlagbar tolle Kostüme mit charakteristischem Lokalkolorit und vor allem herausragende Stimmen.

In der Summe ein Fest der Superlative, die mit der Gefühlsskala der Protagonisten wetteifern und immer mal wieder für Gänsehautfeeling sorgen – vor allem wenn sich Turandot, die chinesische Prinzessin mit einem "Herzen aus Eis" und der Tatarenprinz Kalaf, der um sie wirbt, in gesanglicher Spitzenlage den Schlagabtausch ihrer leidenschaftlichen Emotionen liefern.

Die Regie lässt starke Bilder sprechen: Sie inszeniert die märchenartige Geschichte um Turandot im Shanghai des 19. Jahrhundert, der Zeit der britischen Besatzer. Auf vollen Zuschauerrängen erlebt die Bevölkerung, wie ein Freier nach dem anderen hingerichtet wird, der sein Glück bei der schönen, aber herzlosen Turandot versucht.

"Brot und Spiele"

Gewissermaßen "Brot und Spiele" für ein unterdrücktes, geknebeltes Volk, das das Machtregime auf diese perfide Art den Massen zur Belustigung bietet. Gleichzeitig bedient die Regisseurin mit ihrem Spiel-im-Spiel mehrere Ebenen und fordert dem Publikum außerdem so einiges an Kenntnis von chinesischer Geschichte und ihren Gräueltaten ab.

Die flirrend eingeblendeten  Kinoaufnahmen aus den Anfängen der bewegten Bilder sind nur ein Beleg für die dunkleren Kapitel im Reich der Mitte. "Turandot" ist keine – wie sonst bei Puccini üblich – herkömmliche Liebesgeschichte mit tragischem Ausgang.

Eiskalte Turandot

Die letzte und unvollendet gebliebene Oper – Puccini stirbt darüber 1924 – erzählt davon, dass jeder, der um Turandots Hand anhält, drei Rätsel aufbekommt. Da deren Lösung bislang niemandem gelungen ist und schon 13 Bewerber auch nur den Versuch, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, mit ihrem Leben bezahlen mussten, konnte sich Turandot lange Zeit die Männer mit einem brutalen Schwur vom Leibe halten.

Sie gilt als kaltblütig und unnahbar. Und selbst wenn Kalaf am Ende alle drei Rätsel löst und die Prinzessin heiraten darf, bleibt das Schicksal der scheinbar Seelenverwandten offen.

Vordergründiges Happy Ende

Auch was Lydia Steier daraus macht, ist nur vordergründig ein Happy End. Ein Rest von Phantasie bleibt dem Zuschauer überlassen, auch wenn das Volk schließlich beim Grande Finale den Mann an der Seite von Turandot frenetisch feiert.

Aber ist es Kalaf wirklich gelungen, nicht nur das Eis um die Männer verachtende Herrscherin zu brechen, sondern auch ihren starken Willen und sie zu seiner glühenden Geliebten zu machen?


Turandot gilt als gefühlskalt und unnahbar / © Beatrice Tomasetti (DR)
Turandot gilt als gefühlskalt und unnahbar / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die Sängerinnen des Mädchenchores am Kölner Dom tragen aufwendige Kostüme / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Sängerinnen des Mädchenchores am Kölner Dom tragen aufwendige Kostüme / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Eindrucksvoll sind die Massenszenen eines unterdrückten Volkes / © Beatrice Tomasetti (DR)
Eindrucksvoll sind die Massenszenen eines unterdrückten Volkes / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Überall lauert der Tod / © Beatrice Tomasetti (DR)
Überall lauert der Tod / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Der Opernchor und der Extra-Chor der Oper haben eine tragende Rolle / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Opernchor und der Extra-Chor der Oper haben eine tragende Rolle / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Der greise Kaiser, Vater von Turandot / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der greise Kaiser, Vater von Turandot / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Martin Mühle singt die weltberühmte Tenor-Arie "Nessun dorma…" / © Beatrice Tomasetti (DR)
Martin Mühle singt die weltberühmte Tenor-Arie "Nessun dorma…" / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Cool" findern die Sängerinnen des Mädchenchores Szenen an der Seite der Opernprofis. / © Beatrice Tomasetti (DR)
"Cool" findern die Sängerinnen des Mädchenchores Szenen an der Seite der Opernprofis. / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR
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