Neues Buch über sprichwörtliche Orte

Über Orte, die es gar nicht gibt

Die Sprache kennt Orte, die es gar nicht gibt: Posemuckel und Kleinkleckersdorf etwa. Aber auch Orte, die mit symbolischer Bedeutung aufgeladen wurden wie Sodom und Gomorrha. Ein neues Buch beleuchtet die Hintergründe. Dabei spielt auch die Bibel eine Rolle.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

"Bielefeld, das gibt's doch gar nicht." Die Universitätsstadt in Ostwestfalen muss viel Spott erdulden, seit ein Student diese Theorie im Internet in die Welt gesetzt hat, um zu zeigen, wie schnell sich Daten und Fakten zu "Fake News" und Verschwörungstheorien verbinden lassen.

Canossa, Rubikon und Issos

Wie Bielefeld geht es vielen Orten weltweit: Sie werden in Redewendungen und Sprichwörter eingemeindet. Eulen werden - völlig überflüssigerweise - nach Athen getragen. Der Gang nach Canossa ist ein demütigender Bußgang. Mit "Drei, drei, drei, bei Issos Keilerei" konnte mancher Schüler eine Schlacht Alexanders des Großen im Gedächtnis behalten. Für andere bleiben historische Fakten böhmische Dörfer - unverständlich und unaussprechlich.

Zu einer virtuellen Reise an 200 solcher Orte lädt der Germanist Rolf-Bernhard Essig in seinem neuen Buch "Ich kenn doch meine Pappenheimer! - Wunderbare Geschichten hinter sprichwörtlichen Orten" ein. Und erläutert dabei, warum Personen, die eine schwierige Entscheidung treffen, den Rubikon überschreiten. Und warum Menschen, die sterben, wahlweise über den Jordan oder die Wupper gehen.

Posemuckel und Hintertupfingen

Manche Begriffe lösen Kino im Kopf aus: Wer mit Gelsenkirchener Barock sein Wohnzimmer möbliert, beweist nicht gerade guten Geschmack. Und wer hinter Schwedischen Gardinen lebt, muss durch - aus schwedischem Stahl hergestellte - Eisenstangen auf die Welt schauen.

Auch erfundene Dörfer und Städte bereichern die deutsche Sprache: Mit Posemuckel, Dummsdorf, Hintertupfingen, Krähwinkel und Kleinkleckersdorf gibt es viele Fake-Orte, die mehr oder weniger liebevoll als Horte kleinbürgerlichen Denkens und Dummheit verspottet werden. In diese Pampa will man lieber nicht geschickt werden.

Aus der Bibel

Wie so oft liefert die Bibel viele sprachliche Juwelen. Berühmt-berüchtigt ist etwa die "Hure Babylon". Seitdem werden Städte mit ausgeprägtem Nachtleben gern als Sündenbabel bezeichnet. Dort mag es zugehen wie in "Sodom und Gomorrha", den beiden sündigen Städten, die Gott durch Feuer und Schwefel zerstörte.

Menschen, die sich durch ein einschneidendes Erlebnis grundlegend ändern, haben wie der Apostel Paulus ihr "Damaskus-Erlebnis". Und Menschen, die sich nach einer vermeintlich besseren Vergangenheit sehnen, wollen wie die Israeliten in der Wüste zurück zu den "Fleischtöpfen Ägyptens".

"Rom wurde nicht an einem Tag erbaut"

Auch die wichtigste islamische Stadt bereichert die Landkarte der Sprache. Als Wallfahrtsziel hat Mekka, der Geburtsort von Mohammed, Karriere gemacht: Wimbledon ist das Mekka der Tennisspieler, die Spielemesse Gamescom das Mekka der Computerspielefreaks und das Münsterland das Mekka der Pedalritter.

Da darf Rom nicht zurückstehen: "Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut", heißt es etwa. Und "in Rom gewesen zu sein und den Papst nicht gesehen zu haben" lässt schon einiges Verstocktheit vermuten. Deutsche Städte knüpfen da sprachlich gern an: "Der Kölner Dom wurde auch nicht an einem Tag gebaut", heißt es in der Weltstadt am Rhein.

Und: "Er war in Köln und hat den Dom nicht gesehen." Im Vergleich dazu ist Paris schon eine Marke für sich: Beirut sei das Paris des Nahen Ostens, heißt es. Leipzig wird abwechselnd als Athen an der Pleiße oder "Klein-Paris" gerühmt. So manche Stadt dürfte mit ihrem Image weniger zufrieden sein: Wer eine derbe Niederlage einstecken muss, erlebt wie Napoleon 1815 sein Waterloo. Auch Watergate hat Karriere gemacht - als Dieselgate, Nippelgate oder Trumpgate.

"Ab nach Kassel"

Die Redewendung "ab nach Bautzen" verbindet sich mit dem Stasi-Gefängnis Bautzen II, in dem politische Gefangene zu DDR-Zeiten eingesperrt und gefoltert wurden. "Ab nach Kassel" hat einen nicht ganz so schlimmen Klang. Vielfach wird diese Redewendung darauf zurückgeführt, dass Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel im 18.

Jahrhundert Landeskinder als Soldaten nach England verkaufte. Autor Essig hat jedoch eine andere Erklärung: Die Redewendung sei 1870 entstanden, als der französische Kaiser Napoleon III. gefangen genommen und von preußischen Soldaten zu seinem Gefängnisort Schloss Wilhelmshöhe geleitet wurde. Schon in Aachen, heißt es, habe man den Zug mit höhnischen Rufen "Ab nach Kassel!" empfangen.


Quelle:
KNA