Christine Nöstlinger mit 81 Jahren gestorben

"Maikäfer flieg"

Mit ihren unverwechselbaren Werken hat sie ganze Kindergenerationen geprägt. Am Ende glaubte sich Christine Nöstlinger zu weit entfernt von der Lebenswelt ihres Publikums. Nun ist sie mit 81 Jahren gestorben.

Autor/in:
Von Sabine Kleyboldt und Birgitta Negel-Täuber
Christine Nöstlinger / © Georg Hochmuth (dpa)
Christine Nöstlinger / © Georg Hochmuth ( dpa )

Erst vor Kurzem hatte sie erklärt, sie werde keine Kinderbücher mehr schreiben, weil ihr die "heutige Lebenswelt junger Menschen" inzwischen fremd sei. Jetzt ist Christine Nöstlinger im Alter von 81 Jahren gestorben, wie der Residenz-Verlag bestätigte. Die vielfach ausgezeichnete österreichische Autorin hatte mit Figuren wie "Konrad aus der Konservenbüchse" oder der "Feuerroten Friederike" Generationen von Kindern entzückt - und auch ihre vorlesenden Eltern.

Nöstlinger verbrachte ihr ganzes Leben in Wien, wo sie am 13. Oktober
1936 geboren wurde. Die Verwerfungen, die Krieg und Neuanfang mit sich brachten, verarbeitete sie später in dem Kinderroman "Maikäfer flieg!", der 2017 verfilmt wurde. Zur Schriftstellerei kam sie über ihren Beruf als Grafikerin. 1970 zeichnete sie erst die Bilder von der "feuerroten Friederike" und schrieb anschließend den Text dazu. Der Erfolg ihres Erstlingswerks kam auch für sie selbst völlig überraschend. Denn der Text, weniger die Bilder, begeisterten das Publikum.

Schlag auf Schlag

Von da an ging es Schlag auf Schlag. Christine Nöstlinger entfaltete eine ungeheure Produktivität, schrieb bis zu fünf Bücher pro Jahr. Dazu kamen Beiträge für Anthologien, Gedichtbände im Wiener Dialekt, Radiobeiträge und sogar Kochbücher. Sie erhielt nahezu alle nationalen und internationalen Preise, die im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur vergeben werden.

Denn in den 70er Jahren hatte sich die Kinderliteratur grundlegend gewandelt. "Realismus" hieß die Devise. Eine neue Schriftstellergeneration etablierte sich, die den Kindern die Welt zeigen wollte, wie sie ist - mit all ihren Härten und Ungerechtigkeiten. Christine Nöstlinger wurde schnell tonangebend in dieser neuen Richtung. Das emanzipierte, selbstbestimmte Kind war ihr Ideal.

Durch Herkunft und Engagement geprägt

Geprägt wurde sie in ihrer Haltung durch ihre Herkunft und die Umbrüche der 68er-Bewegung. "Das Einzige, was ich habe, ist ein unerschütterlich fester Glaube an Aufklärung und Humanität", schrieb sie einmal. Allerdings kamen ihr im Laufe der Zeit Zweifel an der Nachhaltigkeit ihres Schreibens. "Diese Illusion, dass man Kindern etwas beibringen kann durch Bücher alleine, die habe ich nicht mehr," bekannte sie 2005 in einem Interview.

In ihren Büchern sind die Alltagserfahrungen von Kindern und Jugendlichen ein zentrales Thema. Geschwisterstreit und Familienkonflikte ziehen sich durch ihre Romane, die erste Liebe und das Aufbegehren gegen autoritär agierende Eltern und Lehrer. Dass man sich wehren muss gegen Ungerechtigkeiten und Gewalt, versuchte Nöstlinger ihren jungen Lesern zu vermitteln. Sie tat dies mit einem ausgeprägten Sinn für Situationskomik, Ironie und Wortwitz. Trotz ernster Inhalte sind ihre Bücher oft ausgesprochen komisch und sprechen dadurch auch Erwachsene an.

Fantastik für schwer Verdauliches

Dabei bediente sie sich mit Vorliebe fantastischer Elemente, denn komplizierte Sachverhalte und schwer durchschaubare Zusammenhänge werden durch Verfremdung oft anschaulicher. Für das Paradebeispiel "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig" gab es 1973 den Deutschen Jugendliteraturpreis.

Zahlreiche Bücher der Autorin sind Schullektüre, mehrere Romane wurden verfilmt. Bis ins hohe Alter blieb sie produktiv: 2013 erschien unter anderem "Als mein Vater die Mutter der Anna Lachs heiraten wollte", außerdem ihre Autobiografie "Glück ist was für Augenblicke".

Im Juni kam dann Nöstlingers Absage an das Schreiben von Kinderbüchern. "Wie soll ich denn wissen, was Kinder bewegt, wenn sie einen halben Tag lang über dem Smartphone sitzen und irgendetwas mit zwei Daumen drauf tun?", sagte sie dem Magazin "News". "Meine eigene Kindheit ist schon eine historische und die meiner eigenen Kinder auch schon bald", so Nöstlinger weiter. "Es ist alles sehr, sehr anders geworden, und ich verstehe es nicht mehr." Damit fälle sie aber kein "abfälliges Urteil über heutige Kinder", sagte die Autorin und Grafikerin. Kaum drei Wochen später ist die große Kinderversteherin für immer verstummt. Ihre zahlreichen Werke werden weiter für sie sprechen.


Quelle:
KNA