Rezension zum Buch von Lauren Wolk

"Das Jahr, in dem ich lügen lernte"

Das hat das Zeug zum Jugendbuchklassiker: Mit "Das Jahr, in dem ich lügen lernte" trägt die diesjährige Preisträgerin des katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises die große Weltgeschichte in ein kleines amerikanisches Dorf.

Kinder lesen / © Jens Kalaene (dpa)
Kinder lesen / © Jens Kalaene ( dpa )

Annabelle ist elf Jahre alt. Sie erzählt die Geschichte, die ihr Leben erschüttert, aus ihrer Perspektive. Zu Beginn kommt Betty, ein neues Mädchen in Annabelles Schulklasse. Betty erpresst Annabelle. Annabelle soll ihr Geld und kostbare Dinge geben, sonst droht Prügel. Betty ist abgrundtief verdorben und stellt großes Unheil an.

Hier beginnt die zweite Ebene des Romans, der 1943 auf dem Land in den USA spielt. In der Geschichte schwingt Weltgeschichte mit. Da ist der aus Deutschland eingewanderte Dorfbewohner Anselm, der als Feind beschimpft und bedroht wird. Da ist weiter der alte scheinbar verwirrte aber liebenswerte Toby, der Schlimmes im ersten Weltkrieg erlebt hat. Die Autorin Lauren Wolk spinnt hier die einzelnen Handlungsebenen spannend und gekonnt zusammen. Annabelle steht zwischen allen Fronten. Am Ende des Romans heißt es: "Ich kam zu dem Schluss, dass es offenbar Dinge gab, die ich nie verstehen würde, egal, wie sehr ich mich bemühte. Aber bemühen würde ich mich. Manche Menschen, auch das wurde mir in diesem Moment klar, würden meine einsame kleine Stimme niemals hören, egal, was ich zu sagen hatte. Doch dann kam mir ein besserer Gedanke, und der begleitete mich von da an. Wenn mein Leben nicht mehr war als eine einzige Note in einer endlosen Sinfonie, musste ich dann nicht diesen einen Ton so lang und laut spielen, wie ich konnte?"

Eine Wiederauferstehung ins Leben

Annabelle handelt. Sie versucht den alten Kriegsveteran Toby vor den Untaten und Verleumdungen Bettys zu retten. Toby ist ein Außenseiter im Dorf und plötzlich zeigen alle mit dem Finger auf ihn. Dabei ist er nur so komisch, weil er Traumatisches im ersten Weltkrieg erlebt hat. Annabelle freundet sich mit ihm an und es gelingt ihr, ihn aufzuwecken und zum Sprechen zu bringen. Er taut auf, wird wieder Mensch. Insofern erzählt Lauren Wolk auch von einer Wiederauferstehung. Am Ende stirbt Toby. Aber er hat noch einmal erfahren, was es heißt, geliebt zu werden und zu leben. Annabelle versteht das alles nicht. Warum konnte Toby seinem Schicksal nicht entkommen? Ihre Mutter versucht ihr das zu erklären:"Meine Mutter schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht Annabelle. Aber denk mal daran, wie es sich anfühlt, wenn deine Hände so kalt werden, dass sie völlig gefühllos sind. Wie sehr sie schmerzen, spürst du erst, wenn sie langsam auftauen".

Das Jugendbuch "Das Jahr, in dem ich lügen lernte" hat das Zeug ein Klassiker in der Jugendbuchliteratur zu werden. Der Autorin Lauren Wolk gelingt es in einer klaren, poetischen Sprache, die große Weltgeschichte in ein kleines amerikanisches Dorf zu tragen und mit dem Schicksal eines elfjährigen Mädchens zu verweben. Annabelle erlebt, welche Dimensionen das Leben hat, dass es das Böse gibt, und wie wir mit Zivilcourage und Mitmenschlichkeit dem Bösen etwas entgegensetzen können.


Lauren Wolk / © Pressefoto (Hanser)
Lauren Wolk / © Pressefoto ( Hanser )
Quelle:
DR