Liebe, Lust und Leidenschaft in den Weltreligionen

Neues Buch gibt unterhaltsame Einblicke

Was sagen die Weltreligionen zu Liebe, Lust und Leidenschaft? Darüber kursiert so manches Vorurteil. Ein neues Buch räumt damit gründlich auf und zeigt: Vor allem das Alte Testament offenbart eine wahre Schatzkiste verrückter Liebschaften.

Autor/in:
Karin Wollschläger
 (DR)

Kirche und Sex verkauft sich immer gut, vor allem als Schlagzeile. Insofern muss sich das Buch "Muss denn Liebe Sünde sein? Liebe, Lust und Leidenschaft in den Weltreligionen" vermutlich keine Sorgen um mangelnde Abnehmer machen. Zumal der Journalist Uwe Bork mit salopper Feder das 200-Seiten-Opus geschrieben hat, das jetzt bei der katholischen Verlagsgemeinschaft "topos plus" erschienen ist.

Die Titelseite ziert ein Ausschnitt aus Agnolo Bronzinos sinnlichem Bildnis "Christus in der Vorhölle" (1552), das schon einen Vorgeschmack darauf gibt, dass manches offenbar nicht gar so trübselig zu sein scheint, wie man gemeinhin dachte. Es ist allerdings die einzige Illustration in dem Büchlein, um dies vorweg zu sagen.

Eigene Spiritualität beflügeln

Doch schon ein erster Blick ins Inhaltsverzeichnis macht Appetit: "Heilige Erotik", "Himmlische Lust", "Nackte Tatsachen". Zwei eigene Oberkapitel widmen sich den heiklen Themen "Verbotene Leidenschaften" und "Nicht nur zu zweit". Bork schildert das genussvolle Ausleben von Sexualität und Erotik in allen möglichen Spielarten - quer durch die Religionen und ihre heiligen Schriften, aber von pornografischem Voyeurismus ebenso frei wie von Moralin.

Es geht ihm vielmehr darum, aufzuzeigen, dass Liebe, Lust und Leidenschaft in allen Weltreligionen als ein göttliches Geschenk verstanden werden und mitunter sogar die Spiritualität beflügeln können.

Eines macht Bork, der lange Jahre die Redaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" beim SWR-Fernsehen in Stuttgart leitete, direkt zu Anfang deutlich: Er will aufräumen mit dem Vorurteil, das Christentum sei "im Grunde nichts anderes als eine Religion der spießigen Lustfeindlichkeit".

Auch der Islam habe dahingehend schon längst seinen Platz auf dem weiträumigen Plateau religiöser Vorurteile zugewiesen bekommen, ebenso wie der Hinduismus. Letzterer freilich hatte ein bisschen mehr "Glück" bei der Zuschreibung von Vorurteilen und gelte Dank Tantraismus und Co. in westlichen Augen quasi als "zu Religion gewordene Erotik ohne Schranken und Tabus". Was natürlich ebenso Unfug ist.

Das Hohelied darf nicht fehlen

Auch wenn Bork schreibt, dass er den Blick auf alle Weltreligionen richtet, so steht doch das Christentum über sehr weite Strecken des Buches im Mittelpunkt, vor allem die Bibel. Sie stellt ja vor allem im Alten Testament eine wahre Schatzkiste verrückter Liebschaften, unerhörter Affären, unverstellter Prostitution und himmlischer Love Stories dar.

Klar, das "Hohelied" muss natürlich vorkommen. Borg erläutert dabei zugleich, wie dieser erotische und sehr plastische Lobpreis der Körperlichkeit von Frau und Mann, der nicht mit einer Silbe Gott erwähnt, es schaffte, im biblischen Kanon zu bleiben. Wenn Bork allerdings schreibt, dass der Text "ganzen Generationen von Religionslehrerinnen und Religionslehrern mit Sicherheit die Röte auf die Wangen und den Schweiß auf die Stirn getrieben haben dürfte" - dann fragt man sich schon neidvoll: Wow, an welchen Schulen, bitte, gehörte dieser Text denn zur Pflichtlektüre?

Natürlich fehlen auch nicht die wohl bekannten Pappenheimer: König Salomos Affäre mit der Königin von Saba, die übrigens auch der Koran erwähnt, sowie seine sonstige "ausschweifende Bettenbelegung", wie Bork schreibt. Die Sache mit Onan - laut Bork eine Geschichte voller Missverständnisse - der einem nur allzumenschlichen Tun seinen Namen gab. Die inzestuöse Klamotte mit Lot und seinen Töchtern. Daneben dienen Bork mittelalterliche Mystikerinnen wie Hildegard von Bingen oder Teresa von Avila mit ihren teils hocherotischen Visionen und Gotteserfahrungen als Gewährsfrauen.

"Helden der Vorzeit"

Bei alledem gräbt Bork aber hin und wieder auch Kurioses aus: etwa die "Gottessöhne" aus der Genesis, deren Geschichte auffällig an die erotischen Eskapaden der griechischen Götter erinnert, wenn es da heißt: "Als sich die Menschen über die Erde hin zu vermehren begannen und ihnen Töchter geboren wurden, sahen die Gottessöhne, wie schön die Menschentöchter waren, und sie nahmen sich von ihnen Frauen, wie es ihnen gefiel." (Gen 6,1ff) Und sie zeugten miteinander Kinder: "Das sind die Helden der Vorzeit." Allein, die Sache nahm kein Happy End: Gott schickte alsbald die Sintflut und bereitete dem derben Treiben ein für alle Mal ein Ende, die "Gottessöhne" verschwanden von der Bühne.

Der Gottessohn, der im Neuen Testament folgte, war zwar "gezeugt, nicht geschaffen", wie es im Glaubensbekenntnis heißt, aber kam dennoch per Jungfrauengeburt zur Welt. Wobei Bork nicht zu erwähnen vergisst, dass die christliche Maria in einer langen Tradition jungfräulicher Gottesmütter steht, wie man sie etwa im alten Ägypten schon kannte.

Religiöse Übungen mit angenehmen Nebenwirkungen

Als Paradebeispiel himmlischer Lust mit spirituellem Kick und "Gegenprogramm zur religiösen Route der Entsagung" führt Bork den gleichermaßen im Hinduismus wie Buddhismus verankerten Tantrismus ins Feld. Denen einen gelte er als ganzheitliche Gotteserfahrung via Sexualität, den anderen als "ein Realität gewordenes Derivat vorwiegend männlicher Fantasien aus dem Rotlichtbezirk".

Mit humoriger Sachlichkeit gelingt Bork eine Einordnung des Phänomens: "Die bis ins Äußerste kultivierte Erotik und die mitunter nach höchster Körperbeherrschung verlangenden Körperpositionen der Tempelfriese und der einschlägigen Literatur sind nie Selbstzweck, sie müssen eher als religiöse Übungen mit angenehmen Nebenwirkungen angesehen werden."

Kurzum: Borks kleine Einführung in die religiöse Erotik ist unterhaltsam, teils lehrreich und als genüssliche Abendlektüre gewiss zu empfehlen.


Quelle:
KNA
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