Starautor Ken Follett über Glaube, Kirche und das Lesen

"Für mich ist das eine spirituelle Erfahrung"

Der britische Bestsellerautor Ken Follett bezeichnet sich selbst als Atheisten, mag aber Kirchenbesuche. "Für mich ist es eine spirituelle Erfahrung, in die Kirche zu gehen", sagte Follett. Er bezeichnet sich als Franziskus-Fan.

Ken Follett / © Arne Dedert (dpa)
Ken Follett / © Arne Dedert ( dpa )

KNA: Sie hatten eine tief religiöse Kindheit, wandten sich dann aber komplett von Kirche und Glauben ab. Heute sind Sie Atheist - warum interessieren Sie sich noch für das Thema Kirche und Religion?

Follett: Ich liebe es, in die Kirche zu gehen; für mich ist es eine spirituelle Erfahrung. Ich liebe die Architektur, die Kirchenmusik. Ich höre gerne die Worte der Bibel. Aber ich glaube einfach nicht an Gott oder etwas, das in der Bibel steht.

KNA: Interessiert Sie die Situation der Kirche heutzutage? Was denken Sie über Papst Franziskus?

Follett: Papst Franziskus tut der Kirche sehr gut; er folgt auf einen sehr konservativen Papst, den ich nicht mochte. Und ich finde Franziskus' Antwort auf die Frage nach Homosexuellen gut: Wer kann darüber urteilen? Das ist die Art, wie Jesus geantwortet hätte. Ich bin so eine Art Fan von ihm.

KNA: In Ihrem neuen Buch geht es auch um den Kampf für Religionsfreiheit. Das ist aber schon Jahrhunderte her. Heute kämpfen Menschen immer noch darum - wie betrachten Sie die aktuelle Weltlage, den Terrorismus und das Töten, das durch Religion gerechtfertigt wird?

Follett: Ein Grund, der mich zu dieser Geschichte gebracht hat, war, dass die Religionskriege des 16. Jahrhunderts Echos haben im 21. Jahrhundert. Es ist zwar nicht das Gleiche, aber es gibt einige Parallelen. Wir dürfen nicht zu pessimistisch sein, wir dürfen nicht denken, dass sich nichts geändert hat, denn letztendlich bringen sich Katholiken und Protestanten nicht mehr um. Auf der anderen Seite gibt es noch viele religiös motivierte Morde in vielen Teilen der Welt. Der Kampf geht noch weiter.

KNA: Wenn Sie schon so viele Kathedralen gesehen haben, waren Sie doch bestimmt auch schon in der ein oder anderen deutschen Kirche - gibt es da einen Favoriten?

Follett: Ich denke, die Kirche, die ich am häufigsten in Deutschland besucht habe, ist der Kölner Dom. Er ist eine wunderschöne Kirche, aber vor allem ist mein Verlag in Köln, und deswegen habe ich viele Gelegenheiten für einen Besuch. Jedes Mal, wenn ich in Köln bin, gehe ich in den Dom. Ich liebe ihn, er ist wunderbar. Aber in Berlin gibt es eine sehr andere Kirche, die wohl Dom genannt wird, die komplett anders ist, aber auch sehr beeindruckend, sehr speziell. Das sind die beiden, die ich kenne. Ich bin auch in vielen anderen Kirchen gewesen, etwa in Wien. In jedem Fall ist der Stephansdom einer meiner Favoriten.

KNA: Und die Kathedrale in Kingsbridge?

Follett: Wenn Sie so wollen, habe ich sie gebaut. Es ist eine erfundene Kathedrale, die in meinem Leben sehr wichtig wurde. Und in "Das Fundament der Ewigkeit" in der erster Szene, in der Ned nach Hause kommt, geht er zu allererst in die Kathedrale.

KNA: Irgendetwas Faszinierendes haben kirchliche Gebäude für Sie, oder? Sie leben auch in einem alten Pfarrhaus...

Follett: Wir haben dieses Haus gekauft, weil es das richtige Haus am richtigen Ort war. Es liegt am Rand von Stevenage, der Stadt, für die meine Frau im Parlament als Abgeordnete war. Es ist ganz in der Nähe eines großen Schlosses, Knebworth House, und im Park steht die mittelalterliche Kirche, die zu diesem Schloss gehört, St. Mary's, die winzig, aber sehr liebenswert ist. Mein Haus ist das Haus, in dem die Priester dieser Kirche über Hunderte von Jahren gelebt haben. Die Kirche hat das Haus 1929 verkauft.

KNA: Das Haus selber erzählt also eine lange Geschichte?

Follett: Sehen Sie, früher gab es in dem Schloss einen Lord, und sein ältester Sohn erbte das Schloss und das ganze Geld. Und wenn er einen jüngeren Sohn gehabt hat, was konnte dieser tun. Kein Geld, kein Schloss, also wurde er Priester. Einige dieser aristokratischen Priester haben ihre Arbeit nicht sehr ernst genommen. Sie hatten ein gewisses Einkommen von der Kirche, und ich befürchte, dass einige dieser Männer mehr für das Vergnügen lebten als für Gott. Folglich ist mein Haus sehr schön.

KNA: Sie schreiben ziemlich dicke Wälzer. Solche Bücher zu lesen, ist doch eigentlich eine ziemlich einsame Angelegenheit. Wer liest so etwas in so schnelllebigen Zeiten?

Follett: Es wird behauptet, dass heutzutage keiner Zeit hätte, zu lesen; schließlich hat ein Tweet nur 140 Zeichen. Aber ich habe herausgefunden, dass das nicht stimmt. Wenn Menschen ein Buch lieben, hören sie nicht auf zu lesen. Ich bekomme manchmal Tweets von Lesern, die mir sagen: Ich bin so traurig, dass ich "Das Fundament der Ewigkeit" zu Ende gelesen habe. Warum haben sie es nicht länger geschrieben?

KNA: Warum ist Lesen so wichtig?

Follett: Weil es magisch ist. Du liest die Geschichte und du weißt, dass sie erfunden ist. Diese Menschen haben nie existiert, aber wenn du liest, ängstigst du dich, dein Herz schlägt schneller, vielleicht hast du Tränen in den Augen. Und wenn es eine gruselige Geschichte ist, schließt du vielleicht sogar die Tür zu, so dass niemand hereinkommen kann. Das ist magisch, es ist ein Wunder, weil die Geschichte ja nie stattgefunden hat. Wir lieben so etwas.

KNA: Warum?

Follett: Ich denke, dass es tief in die Kindheit zurückgeht. Ich glaube, ich habe meinem Sohn schon vorgelesen, als er grade neun Monate alt war. Er konnte noch nicht einmal richtig sprechen. Ich habe ihm eine sehr einfache Geschichte vorgelesen, nur einige Wörter und ein paar Bilder. Und sein Gesicht hellte sich auf, er verlor sich in der Geschichte. Man kann es in den Kindergesichtern sehen. Und wenn man fertig ist, sagen die Kinder: Lies noch mal. Das ist die Erfahrung, die wir in der Literatur suchen: So fasziniert zu sein, dass der Rest der Welt unwichtig wird.

KNA: Was lesen Sie am liebsten?

Follett: Ich mag verschiedenes, besonders vielleicht Romane aus dem 19. Jahrhundert wie Dickens, Eliot, Jane Austen, Balzac, Zola, Flaubert, Madame Bovary. Das war das goldene Zeitalter des Romans. Und ich komme immer wieder auf diese Romane zurück. Aber ich lese auch Bestseller, Thriller, ich liebe Lee Child, Patricia Cornwell.

Manchmal lese ich Simenon auf Französisch, für Ausländer ist Simenon leicht zu lesen. Er nutzt ein sehr kleines Vokabular und sehr einfache Sätze. Aber ich lese auch Proust, der kein kleines Vokabular verwendet hat und auch keine einfachen Sätze. Ebenso mag ich auch Science Fiction und manchmal Sachbücher. Ich lese ständig, wir alle lesen ständig. Man muss eine Leidenschaft fürs Lesen haben, bevor man Schriftsteller werden kann.

KNA: Und in welcher Form? E-Reader oder Papier?

Follett: Vor allem gedruckte Bücher. Ab und zu mal einen Kindle, ich nehme ihn manchmal mit ins Flugzeug. Ich bin sehr zufrieden mit dem Bildschirm. Aber ich bin gewohnt, gedruckte Bücher zu lesen. Und im Auto höre ich gerne Hörbücher.

Das Interview führte Severina Bartonischek.

 

Quelle:
KNA