Debatte um Grimme-Preis für Oliver Polak

"Ich finde das unsäglich"

Grimme-Preis für eine Sendung mit behindertenfeindlicher Werbung? Jury-Mitglied Dieter Anschlag distanziert sich in einer persönlichen Stellungnahme von der Preisvergabe. Gegenüber domradio.de spricht er über die Gründe.

Preisträger Oliver Polak / © Daniel Reinhardt (dpa)
Preisträger Oliver Polak / © Daniel Reinhardt ( dpa )

domradio.de: Oliver Polak bekommt den Grimme-Preis in der Kategorie Unterhaltung für die mittlerweile eingestellte Talksendung "Applaus und raus", für die mit dem Hashtag #GastoderSpast geworben worden war. Diese Entscheidung wollten Sie nicht mittragen, warum nicht?

Dieter Anschlag (Vorsitzender der Grimme-Preis-Jury und Chefredakteur der Medienkorrespondenz): Es ging in der Sendung darum, ob ein Mensch ein guter Gast ist oder aber ein schlechter Spast. Das ist eine Beleidigung nicht nur spastisch gelähmten Menschen gegenüber, sondern für alle Behinderten, die ganz bewusst als Provokation eingesetzt wurde. Man wollte damit für Aufmerksamkeit für die Sendung sorgen und hat es letztlich leider auch geschafft. Die Sendung gibt es aber trotzdem nicht mehr, weil sie nicht gut war. So etwas hat in meinen Augen auch mit Humor nichts zu tun. Deshalb habe ich mich in einer persönlichen Stellungnahme öffentlich distanziert von der Mehrheitsentscheidung der Jury. Weil ich nicht möchte, dass ich mit dieser Preisverleihung identifiziert werde. Ich finde das unsäglich.

domradio.de: Polak bricht gerne Tabus, er macht als Jude Judenwitze. Und macht sich auch über seine eigenen Depressionen und Fettleibigkeit lustig. Könnte man das dann nicht alles unter Satire abhaken?

Anschlag: Es ist ja keine Satire! Es ist ernst gemeint. Es war eine Talkshow mit Gästen, mit denen man sich ernsthaft unterhalten wollte. Sobald ein Gast aber dann Polak langweilte wurde er zum "Spast" abgestempelt. Viele Behinderte haben ja auch auf eine solche Abwertung und Degradierung entsetzt reagiert. Ich glaube, da wurde im Vorfeld einfach nicht überlegt, dass man Menschen verletzen könnte. Oder aber es wurde bewusst in Kauf genommen für die Quote.

domradio.de: Die Jury hat aber nun gerade das Unvorhersehbare der Sendung in der Begründung hervorgehoben.

Anschlag: Ich kann das bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Aber die Sendung war auf etwas Destruktives hinaus, nämlich Leute rauszuschmeißen. Das war ein sehr eingeschränktes Gesamtkonzept, und ein wichtiger Teil davon war diese Diskriminierung "Gast oder Spast". Insofern war ich gegen eine Auszeichnung.

Der Preis soll vergeben werden für Sendungen, die vorbildlich für die Fernsehpraxis sind. Wer aber solche Sprüche als Provokation heraushaut, der zeigt eigentlich ein abschreckendes Beispiel für die Fernsehpraxis. Da hätte ich andere Sendungen gewusst. Zumal das der einzige Preis für die Privatsender war.

domradio.de: Wurde denn in der Jury kontrovers darüber debattiert?

Anschlag: Ja, natürlich! Zwei Jurymitglieder haben sich dann am Ende distanziert. Es war aber eben eine Mehrheitsentscheidung. Es war sogar so - und das habe ich in den 25 Jahren, in denen ich immer wieder Mitglied der Jury war - noch nie erlebt, dass es am Ende keinen versöhnlichen Abschluss der Arbeit gab. Wir haben nicht wie sonst immer auf eine gelungene Juryarbeit angestoßen. Die Stimmung war so tief gesunken.

Das Interview führte Milena Furman.


Dieter Anschlag / © dr (DR)
Dieter Anschlag / © dr ( DR )
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DR