Vor 175 Jahren wurde Winnetou-Autor Karl May geboren

"Ich bin Christ, einfach Christ, weiter nichts!"

Karl Mays Aufstieg zu Ruhm und Reichtum war so fantastisch wie seine Abenteuergeschichten. Aber am Lebensende holte ihn seine Vergangenheit ein.

Autor/in:
Holger Spierig
Diese Bücher stehen in vielen Regalen: Die Triologie von  / © David Ebener (dpa)
Diese Bücher stehen in vielen Regalen: Die Triologie von / © David Ebener ( dpa )

Im Juli 1897 legt der Ansturm Tausender Fans vor einem Hotel in München den Verkehr lahm. Polizei und Feuerwehr müssen einschreiten. Der Hype gilt einem Vortrag des erfolgreichen "Reiseschriftstellers" Karl May. Im Hotelsaal brüstet sich der Autor, dass er rund 1.200 Sprachen und Dialekte spreche und als Nachfolger Winnetous nun Befehlshaber von 35.000 Apachenkriegern sei.

Karl May war ein Popstar der Abenteuerliteratur. Geboren wurde er vor 175 Jahren, am 25. Februar 1842, im sächsischen Ernstthal. Sein Werk und seine Person inszenierte er in einem Gesamtkunstwerk. "Ich bin wirklich Old Shatterhand respektive Kara Ben Nemsi und habe erlebt, was ich erzähle", versicherte der Schriftsteller, der sich aus bitterer Armut und Zuchthaus zu Wohlstand hochgearbeitet hatte.

Verehrer Hermann Hesse und Martin Walser

Lange vor den Möglichkeiten von Facebook und Twitter verschickte der Schöpfer von Winnetou Autogrammkarten, auf denen er als "Old Shatterhand" und "Kara Ben Nemsi" posierte. Zu seinen Verehrern zählen Schriftsteller wie Hermann Hesse, Martin Walser und der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa. Kritiker wie der Literat Klaus Mann (1906-1949) hingegen sahen Mays Werk als "fragwürdiges Labyrinth eines krankhaften und infantilen Hirns".

Karl May kommt als fünftes von 14 Kindern einer Weberfamilie im heutigen Hohenstein-Ernstthal bei Chemnitz zur Welt. Neun seiner Geschwister sterben bereits kurz nach ihrer Geburt. Wegen geringer Verfehlungen - wie dem nie ganz geklärten Ausleihen einer Uhr bei seinem Zimmergenossen - ist der Berufsweg des Volksschullehrers schon früh zu Ende.

Der Hochstabler May

Aus "Rache an der Gesellschaft", wie er in seinen Lebenserinnerungen schreibt, schlägt sich May daraufhin als Hochstapler durch. Die Ausbeute ist gering, seine Betrügereien sind jedoch mit viel Fantasie inszeniert: Er lässt sich als "Augenarzt Dr. Heilig" teure Pelzmäntel liefern oder "konfisziert" als Polizist angebliches Falschgeld. Fast acht Jahre verbringt May in Gefängnissen. Als er zuletzt mit 32 Jahren entlassen wird, hat er den Masterplan seines Erfolgs in der Tasche: Eine Liste mit 137 geplanten Erzählungen.

Jahrelang schreibt May wie im Wahn, immer in gestochen klarer Handschrift ohne Korrekturen - in manchem Jahr produziert die Ein-Mann-Abenteuer-Fabrik fast 3.800 Manuskriptseiten. Seine Helden sind bärenstark, haben einen riesigen Wissensschatz und verfügen über überragende Fähigkeiten als Reiter, Arzt oder Fährtensucher. Der May-Biograf Helmut Schmiedt sieht für Mays späteren Erfolg als Schriftsteller die gleiche Triebfeder wie für sein Vorleben als Kleinkrimineller: eine überbordende Fantasie. Hier erschreibe und inszeniere sich ein Mensch, der aus jämmerlichen Verhältnissen stamme und dem im Leben zunächst vieles danebengegangen sei. "Eine Traumexistenz, mit der alles zum Besseren hin korrigiert wird", schreibt Schmiedt in der Biografie "Karl May oder die Macht der Phantasie".

Gerechtigkeit durch die Figuren Shatterhand und Winnetou

Im Jahr 1881 lässt der Schriftsteller sein unerschrockenes anderes Ich, die Figur Kara Ben Nemsi, mit seinem getreuen Begleiter Hadschi Halef Omar in der katholischen Zeitschrift "Deutscher Hausschatz" erstmals durch die Wüste streifen. Old Shatterhand und sein Blutsbruder Winnetou sorgen wenige Jahre später im Wilden Westen für Gerechtigkeit.

Mays Bücher werden ein Riesenerfolg und ermöglichen dem Vielschreiber ein Leben im Wohlstand: Mit seiner ersten Frau Emma bezieht er eine Villa in Radebeul - die Villa Shatterhand, das heutige Karl-May-Museum. Amerika und den Orient sollte May erst später als Tourist besuchen. Für die detaillierten Beschreibungen ferner Länder in seinen Romanen stützt er sich auf seine reichhaltige Bibliothek.

Katholisch gefärbte Schilderungen

Im Laufe seines Lebens reifen Mays pazifistische Ansichten und seine tolerante Religionsauffassung. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kriegsbegeisterung um sich greift, veröffentlicht May Werke wie "Und Frieden auf Erden". Als ihm vorgeworfen wird, er habe durch katholisch gefärbte Schilderungen die Leser über seine wahre Konfession getäuscht, entgegnet der evangelisch getaufte Autor: "Ich bin Christ, einfach Christ, weiter nichts!"

Gegen Ende seines Lebens aber fällt das Kartenhaus des Erfolgsautors zusammen: Es kommt heraus, dass May seine Abenteuer gar nicht selbst erlebt hat - die Leser sind entrüstet. Dann wird auch noch seine Vergangenheit als verurteilter Kleinkrimineller publik und sein Doktortitel stellt sich als Schwindel heraus.

In 200 Prozesse verstrickt

In seinen letzten zehn Lebensjahren ist Karl May in 200 Prozesse verstrickt, deren Ende er nicht mehr erlebt. Er stirbt am 30. März 1912 in der Villa Shatterhand bei seiner zweiten Frau Klara - offenbar an einer Bleivergiftung, wie jüngere Untersuchungen des Skeletts ergeben haben. Er wurde 70 Jahre alt.

Bis heute leben Mays Helden fort: in seinen mehr als 90 Büchern, in Filmen und auf Freilichtbühnen wie in Bad Segeberg und Elspe. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt - die Hälfte davon wurde allein in Deutschland verkauft.

 


Eine undatierte Aufnahme des deutschen Autors Karl May. (dpa)
Eine undatierte Aufnahme des deutschen Autors Karl May. / ( dpa )
Quelle:
epd