Bewegende Selbstbildnisse von Käthe Kollwitz

"Ich will wahrhaft, echt und ungefärbt sein"

Die Selbstbildnisse von Käthe Kollwitz geben Einblicke in ihre Seele. Im Kölner Käthe-Kollwitz-Museum gibt es dazu nun eine Ausstellung. Im domradio.de-Interview erzählt Direktorin Hannelore Fischer über eine Ausnahmekünstlerin.

Hannelore Fischer (li.) im Käthe-Kollwitz-Museum / © Käthe Kollwitz Museum Köln
Hannelore Fischer (li.) im Käthe-Kollwitz-Museum / © Käthe Kollwitz Museum Köln

domradio.de: Schüchtern und mädchenhaft sieht Käthe Kollwitz auf ihrem frühesten Selbstbild aus dem Jahr 1888 aus  – da war sie Anfang 20. War das Ausdruck ihrer Seele als junge Frau?

Hannelore Fischer (Direktorin Käthe-Kollwitz-Museum Köln): Ja natürlich, das wird auch jedem Betrachter deutlich. Sie ist jung, ein wenig schüchtern, sehr mädchenhaft in ihrem Matrosenoberteil. Es ist eine leicht verdruckste Haltung und ein ganz vorsichtiger Blick in den Spiegel, der sagen will: Was mag ich werden, wie will ich mich ausdrücken, wo will ich hin? Da war sie schon Studentin der Künstlerinnen-Schule in München und im Austausch mit ihren Kolleginnen.  

domradio.de: Aber die Schüchternheit im Ausdruck hat sich ein Jahr später auf dem Bild daneben schlagartig geändert. Sie wirkt sehr selbstbewusst. Was ist mit ihr passiert?

Fischer: Ich glaube weniger, dass sie viel selbstbewusster geworden ist, sondern dass sie die Männer imitiert. Sie hat sich Selbstbildnisse von Künstlern in Museen angeschaut. Die stellten sich selbstbewusst, aufrecht mit Hand im Revers, ähnlich einer napoleonischer Geste, mit der Staffelei im Hintergrund und der Aussage dar: Ich bin hier Künstler. Und das hat sie ein Jahr später imitiert. Sie steht da als selbstbewusste Frau in der typisch männlichen Haltung. Es zeugt mehr davon, wo sie hin will, als das, was sie ist.

domradio.de: Was hat sie in ihren Selbstporträts gesucht?

Fischer: Sie hat ihr ganzes Leben lang sich selbst reflektiert, nach innen geschaut und sich nach außen gebracht. Ein weiterer Grund für die Selbstporträts: Sie musste ja zeichnen lernen und es bestand ein Mangel an Modellen.  

domradio.de: Sie sind eine Kennerin des Werks von Käthe Kollwitz. Da kann auch schon der Schnitt des Ponys viel über die Bilder verraten …

Fischer: Man muss ja die Zeichnungen auch zeitlich einordnen. Und die frühen Zeichnungen zeigen einen anderen Haarschnitt als die fortschreitenden. Käthe Kollwitz hat als junge Frau einen ganz kurzen, gerade geschnittenen Pony, so ein, zwei Zentimeter lang. Sie gehörte zu den Leuten mit vergleichsweise dünnen Haaren, die immer aus der Frisur herausrutschten, und deshalb hat sie sich wahrscheinlich einen Pony geschnitten. Aber dann hat sie ihn länger werden lassen, wie man auch auf den frühen Selbstbildnissen sieht. So kann ich die Zeichnungen zeitlich einordnen.

domradio.de: Sie selbst sagt, dass sie im Alter von 30 bis 40 Jahren sehr glücklich war -  das war vor dem 1. Weltkrieg. Sie war mit einem Arzt verheiratet und hatte Kinder. Wie spiegelt sich dies in ihren Selbstporträts?

Fischer: Man sieht schon eine zu dieser Zeit attraktive, selbstbewusste junge Frau, die schon wusste, was sie inzwischen als Künstlerin wert war. Sie hatte die Goldene Medaille für ihren Weber-Zyklus gewonnen und arbeitete am großen Bauernkriegszyklus, den wir als nächstes ausstellen werden. Sie war zweimal in Paris gewesen und ein Florenzaufenthalt lag vor ihr, weil sie den Villa-Romana-Preis gewonnen hatte. Sie war eine arrivierte Künstlerin, und das sieht man auch in ihren Selbstbildnissen.

domradio.de: Und man sieht sie als junge Mutter am Familientisch. Es ist erstaunlich, wie sie ihre Selbstporträts hergestellt hat – vor einem Spiegel …

Fischer: Manchmal einen, manchmal zwei Spiegel – je nach der Perspektive ihres Selbstporträts. Und man muss sich auch bewusst machen: Es bedarf eines intensiven Blickes in den Spiegel, um sich selbst zu zeichnen. Ich werde manchmal gefragt, warum sie nicht lacht. Und dann sage ich: Mein Gott, stellt euch doch mal vor, ihr müsst in den Spiegel gucken und die ganze Zeit lachen, das macht doch kein Mensch. Sie hat sich ja konzentriert studiert.

domradio.de: Doch dann kommt der Bruch, wie sie selber sagte: Ihr Sohn Peter ist direkt zu Beginn des 1. Weltkriegs gefallen. Daraufhin hat sie mit Gott gerungen und eine Entscheidung getroffen.

Fischer: Dieses Ringen mit Gott hatte damit zu tun, dass sie sich fragte: Ist Peter noch da und wie ist er da, oder ist er gar nicht mehr da? So schreibt sie in ihr Tagebuch an Sylvester 1914 kurz nach dem Tod ihres Sohnes: "Ich will Gott die Ehre geben. Ich will wahrhaft, echt und ungefärbt sein." So wollte sie für Gott und ihren toten Sohn Peter sein.

domradio.de: Spiegelt sich diese Haltung auch in ihren Selbstporträts wider?

Fischer: Das spiegelt sich zunehmend in ihren Selbstporträts wider. Man sieht eine ernste, verweinte Kollwitz nach dem Tod von Peter, ein verquollenes, trostloses Gesicht mit einem leeren Gesichtsausdruck, auch die Augen schauen leer.

domradio.de: Das ist doch eine ungeheure Leistung – als Mutter voller Trauer zeichnet sie ihr Leid und schaut dabei in den Spiegel ...

Fischer: Das ist das Entscheidende, das zu können. Sie schaut uns auf dem Selbstporträt auch nicht mehr wie in anderen Porträts an, sondern durch sich durch. Das ist für mich eines der beeindruckendsten Selbstbildnisse, die wir haben.

domradio.de: Sie hat sich also für die fast unbarmherzige Ehrlichkeit in der Selbstdarstellung entschieden. Anders als die renommierten Fotografen, die sie porträtiert haben, schönt sie sich also nicht?

Fischer: Auf jedem Foto ist sie schöner als auf ihren Selbstbildnissen. Man muss sich fragen, hat sie jemals auf Schönheit geachtet?  Es gibt Phasen, in denen sie den Alterungsprozess festhält, in dem sie ihre Tränensäcke, ihre Falten in einem etwas vergrämten Gesichtsausdruck festhält.

Es gab zum Beispiel eine Zeit, in der ihr Mann in eine junge Sprechstundenhilfe verliebt war. Da kam die fröhliche Jugend in seine Praxis. Und da fühlte sie sich noch älter, als sie sowieso schon war. Und in der Zeit schaut sie noch einmal anders in den Spiegel. Das wird auch in ihren Selbstbildnissen deutlich.

1917 hat sie gesagt hat: sich und seine Persönlichkeit, die man nun einmal hat, nicht verleugnen, aber sie "verwesentlichen". Sie hat auch einmal geschrieben: "Wer die Wahrheit, nach der er lebt, nicht bekennt, ist der größte Feind der Wahrheit" selbst. Das sind große Sätze, die Grundlage ihres Schaffens sind, die sie ihr ganzes Leben mit sich getragen hat.

domradio.de: Käthe Kollwitz ist eine Künstlerin, die auch von dem Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki sehr geschätzt wird. Hat er Ihnen gesagt, warum?

Fischer: Das hat natürlich viel damit zu tun, was ihn selber als Bischof interessiert. Themen, die heute vielfach angesprochen werden müssen und von ihm angesprochen werden, wie zum Beispiel das Flüchtlingsproblem oder die Armut auch bei uns. Das sind Themen, die die Kollwitz intensiv bearbeitet hat und die heute genauso aktuell sind, wie sie in ihrer Zeit aktuell gewesen sind. Ich würde mich freuen, wenn er sich die Ausstellung anschauen würde. Ich glaube, dass sie ihn beeindrucken würde.

Das Interview führte Birgitt Schippers.


Quelle:
DR