Ausstellung "Hinter dem Vorhang" in Düsseldorf

Das Geheimnis des Verhüllens

Die Ausstellung "Hinter dem Vorhang. Verhüllung und Enthüllung seit der Renaissance. Von Tizian bis Christo" im Düsseldorfer Museum Kunstpalast hinterfragt die Wirklichkeit. Der Kölner Generalvikar Dominik Meiering empfiehlt einen Besuch.

Christo, Wrapped Beatle 1963 / © Christo, Foto von Wolfgang Volz
Christo, Wrapped Beatle 1963 / © Christo, Foto von Wolfgang Volz

domradio.de:  Warum ist das Verhüllen oder das Verbergen ein interessantes Thema?

Dr. Dominik Meiering (Generalvikar des Erzbistums Köln und Kunsthistoriker): Wir kennen es schon aus dem Alltag. Wenn wir Weihnachten feiern oder Geburtstag, dann müssen die Geschenke schön verhüllt werden, dadurch wird es aufregend. Oder wir kleiden uns auf eine bestimmte Weise und tragen mit einer Hülle nach außen, was wir innerlich sein wollen oder sind. Oder das Auto, das wir kaufen, das Haus, in dem wir wohnen – überall geht es um Verhüllungsgeschichten, die etwas Dahinterliegendes sichtbar machen. Und dieses grundmenschliche Thema hat auch in der Kunstgeschichte immer eine große Rolle gespielt. Darüber erzählt die Ausstellung.

domradio.de: Wie wird das Thema in der Kunst angepackt?

Meiering: Das ist das Spannende. Indem man etwas verhüllt, wird etwas enthüllt. Man bekommt es genauer vor Augen geführt. Es wird ein besonderes Interesse und eine größere Spannung erzeugt. Wie vielfältig dieses Motiv ist, zeigt sich an den unterschiedlichen Themen, die in der Ausstellung bearbeitet werden. "Vorhang auf" zum Beispiel mit klassischen Bildmotiven, wo der Vorhang tatsächlich aufgezogen wird. Ein großer Gestus in der holländischen Malerei, den wir auch aus der christlichen Ikonographie kennen. Bei "Die Macht der Inszenierung" werden Menschen mit vielen Vorhängen und Falten inszeniert. Weitere Themen der Ausstellung sind "Die Faszination des Göttlichen", "Innen und Außen" oder "Die Faszination des Verborgenen". Oder auch das Thema Liebe: die Bettlaken oder die Boudoirs von früher erzählen auch Verhüllungs- und Enthüllungsgeschichten. All dieser Vielfalt spürt die Ausstellung nach.  

domradio.de: Wie verändert sich diese Idee des Vorhangs, des Verschleierns, in der Moderne?

Meiering: Christo und viele moderne Künstler haben verstanden, dass, wenn etwas verhüllt wird, ein wirklichkeitsveränderndes Geschehen eintritt. Das heißt, wir entdecken Dinge neu und sie werden neu. Genau darum geht es auch im religiösen Kontext. Die Auswahl der modernen und zeitgenössischen Künstler in der Ausstellung ist spannend, weil alle Künstler merken: Kunst ist nichts anderes als Verhüllen. Wenn etwas mit künstlerischen Mitteln anders gesagt wird, wird es auch anders verstanden.

domradio.de: A propos Christo - von ihm ist ein verhüllter VW-Käfer aus dem Jahr 1963 ausgestellt. Wo liegt da das Geheimnis der Verhüllung?

Meiering: Man sieht dieses Auto, ein wirklicher Volkswagen, den alle Menschen kennen und das damals millionenfach herumgefahren wurde, und es wird plötzlich ein Kunstobjekt. Man betrachtet ihn ganz anders. Er wird zur Skulptur, zu einer "sakralen Form". Das, was allen gehört, bekommt einen heiligmäßigen Charakter, eine Aura. Er wird herausgehoben aus der alltäglichen Lebenswelt und hineingehoben in die Wirklichkeit einer besonderen Betrachtung. Das regt an darüber nachzudenken: was ist das, dieser VW-Käfer. Und so wird er zum Sinnbild einer ganzen Epoche.

domradio.de: Was sagt diese Ausstellung über unsere Zeit heute?

Meiering: Sie löst ein Nachdenken aus: Was ist eigentlich die Wirklichkeit? Welcher Wirklichkeit begegnen wird? Und inwieweit sind wir über alle möglichen Schleier und Hüllen und Verschleierungen von der Wirklichkeit entfernt? Und ich glaube, dass ist ein Grundthema  unserer Gesellschaft. Allein, wenn ich nur an das Thema "post-faktische Gesellschaft" denke. Gerhard Richter zum Beispiel bringt solche Themen auch ins Gespräch und stellt die Frage: Was können wir jetzt objektiv behaupten oder festhalten? Diese Ausstellung und viele moderne Arbeiten sind ein Sinnbild für Grundfragen, die sich unsere Gesellschaft im Augenblick stellt.

domradio.de: Sehen Sie auch eine spirituell-christliche Dimension in der Ausstellung?

Meiering: Ein altes christliches Thema  - das Sacrum et Tremendum , das Heilige und das Furchteinflößende – wird dort thematisiert. Es ist ein spirituelles Thema unserer Zeit: Was ist dem Menschen heute noch heilig? Oder – wovor fürchten sich die Menschen? Mit diesem Thema wird in der Ausstellung auch gespielt, könnte man sagen. Und wenn man mit mehreren Leuten dorthin geht und sich unterhält, dann kann diese Ausstellung ein Anstoß sein, um ins Gespräch auch diese Fragen zu kommen.

Das Interview führte Birgitt Schippers.


Quelle:
DR