Renan Demirkan im Gespräch

"Es ist ein Privileg, zu leben"

Auch mit 60 ist die Schauspielerin Renan Demirkan voller Lebensenergie. Seit sie an Brustkrebs erkrankt war, mahnt sie Frauen, auch mal innezuhalten. Große Sympathie hat sie mit Kardinal Woelkis Aufruf, Flüchtlinge willkommen zu heißen.

Renan Demirkan / © Ayshe Gallé
Renan Demirkan / © Ayshe Gallé

Für Renan Demirkan ist es ein Privileg, 60 zu werden in einer Welt, die von so vielen Kriegen heimgesucht wird. Mit dem 60. Geburtstag beginnt für sie ein neuer Lebensabschnitt, denn sie schaut mehr auf ihr Leben zurück und fange an, sich besser zu verstehen. Leben, so sagt sie, sei ja eigentlich ganz banal – sie habe nichts anderes getan als zu atmen, zurückzublicken und das Erlebte zu beschreiben. Mit Verwunderung stellt sie fest, dass sie als starke Frau gesehen werde. Sie selbst sieht sich eher als "Fehler auf zwei Beinen", die die Gabe und die Möglichkeiten bekommen habe, über das, was sie lebt, als Künstlerin reflektieren zu können und ihre Erfahrungen weiterzugeben. Nur mit Blick auf Vergangenes, lasse sich vieles verstehen.

"Frauen, gönnt euch eine Pause"

Die Diagnose Brustkrebs hat Renan Demirkan in eine tiefe Krise gestürzt. Tief beeindruckt haben sie die Frauen, die sie in der Reha kennengelernt hat. Ihr sei klargeworden, unter welchem großen Druck heute Frauen stehen, die oft durch die Mehrfachbelastung, Kinder, Familie, Beruf und Eltern möglichst perfekt zu managen, in tiefe Erschöpfungszustände gestürzt werden. Und für die vielen erschöpften Frauen und mit Blick auf die steigende Zahl der Krebserkankungen, sieht sie Politik und Gesellschaft gefordert. "Wir müssen daran arbeiten, dass Frauen sich nicht mehr so aufreiben". Nicht die Frauen sollten sich an die Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen anpassen müssen, sondern umgekehrt. Doch auch Frauen können etwas für sich tun. "Gönnt euch einfach Pausen und lasst euch nicht unter Druck setzen", so ihr Appell. Zehn Minuten auf der Parkbank, ohne etwas zu tun, sei so etwas wie ein Stückchen Seelenhygiene und helfe, überflüssigen Müll wegzuwerfen.

Angst vor dem IS-Terror

Mit großer Empörung blickt Renan Demirkan auf die Terroranschläge in Tunesien und Frankreich. Für die Muslima Renan Demirkan sind die Anhänger des IS-Terrormiliz Verbrecher, die das Wort "Islam" nicht in den Mund nehmen sollten. Sie will sie deshalb auch nicht einmal Islamisten nennen. Auch sie hat Angst vor dem IS-Terror wie vor jedem anderen Mörder oder vor Kriegsverbrechern. Überhaupt fürchtet sie jeden, der meint das Recht zu haben, für eine Gesinnung zu töten. Demirkan ist davon überzeugt, dass die große Mehrheit der Muslime "großartige, großherzige und großzügige Menschen" seien, die nichts mit Gewalt, Mord und Totschlag zu tun haben."

Flüchtlinge sind "Ausnahmemenschen"

Renan Demirkan ist selbst mit 7 Jahren nach Deutschland als Gastarbeiterkind gekommen. Seit sie auf der Bühne steht, setzt sie sich für Migranten und Flüchtlinge ein. Sie sind für sie außergewöhnliche Menschen, die sich mit "zukunftsorientiertem Wollen und schier unerschöpflichem Kräftereservoir" auf den Weg machen. Denn nicht jeder, der arm oder hungrig ist oder sich nach Freiheit sehnt, packt seine Koffer. Leidenschaftlich plädiert Demirkan dafür, jeden einzelnen Menschen willkommen zu heißen und ihre persönliche Lebensleistung wertzuschätzen mit Sätzen wie: "Du hast das alles geschafft? Jetzt ruh dich erst einmal aus, und dann sehen wir, was wir zusammen machen wollen." Etwas Besseres könne einer großen, satten Gesellschaft wie Deutschland nicht passieren.

Renan Demirkan hat aber Verständnis für die Nachkriegsdeutschen, die mit Minderheiten ihre Probleme gehabt hätten, denn sie hätten ja auch ein Nachkriegstrauma bewältigen müssen. Wer stigmatisiert werde, habe es schwer auf andere zuzugehen. Doch seit der Nachkriegszeit habe sich Deutschland "großartig entwickelt." Auch ohne Kristallkugel ist Demirkan davon überzeugt, dass jetzt "eine Zeit des Wanderns" sei. Es könnte ihrer Meinung gut sein, dass in Zukunft Minderheiten in der Mehrheit sind, wie sie es von ihren Besuchen bei ihrer Tochter Ayshe in Kanada kennen gelernt hat. Dort habe sie erlebt, dass Anderssein als etwas Selbstverständliches und Bereicherndes wahrgenommen werde. Es sei also höchste Zeit, sich in Deutschland zuzusammenzusetzen und gemeinsam zu überlegen, wie wir miteinander umgehen wollen.

Die 23.000-Glocken-Aktion des Kölner Erzbischofs Kardinal Woelki findet Renan Demirkan "großartig". Für ein paar Minuten und Augenblicke sei es gelungen, das geschäftige Treiben einer ganzen Region anzuhalten. Es sei zwar "nur" ein Symbol, aber es sei wichtig, immer wieder die Situation der Flüchtlinge ins Bewusstsein zu bringen. Wenn sie etwas für eine Flüchtlingsaktion des Kölner Erzbischofs Kardinal Woelki beitragen könnte, wäre sie sofort dabei.