Schriftsteller Günter Grass verstorben

Der Prophet des Zweifels

Der berühmte deutsche Schriftsteller Günter Grass ist im Alter von 87 Jahren verstorben. Der Agnostiker sei sehr kreativ mit Glaubensinhalten umgegangen, aber nicht blasphemisch, findet Literaturwissenschaftler Dr. Anselm Weyer.

Günter Grass (dpa)
Günter Grass / ( dpa )

"Es gibt wenige zeitgenössische Schriftsteller, die sich so fundiert mit religiösen Fragen auseinander gesetzt haben", sagt Literaturwissenschaftler Anselm Weyer. Er hat sich mit Günter Grass und seinem Verhältnis zur Religion beschäftigt. Grass selbst hatte zwar erklärt, dass ihm der Glaube abhanden gekommen sei, doch in seinem Werk wimmelt es von Bezügen zur christlichen, vor allem katholischen Religion.

Spätestens seit Verleihung des Nobelpreises 1999 gilt Grass als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart. Mehr als 70 Titel in rund 40 Sprachen umfasst sein Werk. Größter Erfolg war "Die Blechtrommel" (1959). Oskar Matzerath, der kleine Trommler und Außenseiter, erzählt das Leben im Danzig der Nazi-Zeit und der Nachkriegsjahre. Es folgten mit "Katz und Maus" (1961) und "Hundejahre" (1963) zwei weitere Romane zur Aufarbeitung der Nachkriegszeit.

1974 tritt der ehemalige Messdiener aus der Kirche aus

"Ich bin im katholischen Sinn gläubig gewesen bis zum 19. Lebensjahr. Da fing es an abzubröckeln", wird Grass zitiert. 1974 tritt der ehemalige Messdiener aus Protest gegen die Haltung der Bischöfe zum Abtreibungsparagrafen 218 aus der Kirche aus. Sein christliches Menschenbild bleibt ihm erhalten. Als Beispiel verweist Literaturwissenschaftler Weyer auf die frühe berühmte Novelle "Katz und Maus". Sie sei als eine lange Beichte angelegt. In "Die Blechtrommel" schiebt Oskar Matzerath dem Jesuskind spaßeshalber sein Schlagwerkzeug zwischen die Ärmchen. Auch im Roman "Häuten der Zwiebel" geht es um eine Beichte und das Buch "Die Rättin" beschreibt eine Apokalypse. In der "Rättin" (1986) entwirft er ein Szenarium des Weltuntergangs mit Atomtod, Umweltkatastrophe und dem Elend der Dritten Welt.

Zu seinen erfolgreichsten Romanen gehört "Der Butt" (1977). Angelehnt an das Märchen "Vom Fischer und seiner Frau" entwickelt Grass eine verspielte Sozialgeschichte der Frau. Einen Rückblick auf das 20. Jahrhundert liefert er 1999 mit dem Roman "Mein Jahrhundert". Seine Novelle "Im Krebsgang" widmet sich dem weitgehend verdrängten Untergang des Flüchtlingsschiffes "Wilhelm Gustloff" im Januar 1945.

Vorwurf der Gotteslästerung

Doch Grass wird immer wieder Gotteslästerung vorgeworfen. Beispielsweise für Szenen in "Die Blechtrommel" und für das Bild einer gekreuzigten Ratte. Doch Literaturwissenschaftler Anselm Weyer weist darauf hin, dass eine Predigt über den Zweifel in "Ein weites Feld" von Theologen aufgegriffen werde. Sein Gegentext zum Tedeum beginnt mit den Worten " DICH, Zweifel will ich kettenrauchend rühmen, / DICH, eingekellert und verlacht, / DICH, ohne Pass, des Thomas / ". Außerdem findet seine Kunst selbst in Kirchen Platz. So hängt in Lübeck ein Triptychon am Altar.

Seine künstlerischen Leistungen als Grafiker und Bildhauer werden leicht übersehen. Dabei will Grass schon als Jugendlicher Bildhauer werden. Nach einer Steinmetz-Lehre geht er an die Kunst-Hochschulen in Düsseldorf und Berlin. Er studiert Kunst, nicht aber Literatur. Seine bildnerischen Ausdrucksformen reichen von der Bleistiftzeichnung über Radierung und Aquarell bis zur Plastik. Sein Leben lang wechseln sich Phasen des Schreibens und des Zeichnens ab. Nach Abschluss eines Romans folgt in der Regel eine Schaffensphase der bildenden Kunst. Bücher wie "Mein Jahrhundert" sind Literatur und Bildkunst in einem.

Austritt aus SPD wegen Asylpolitik

Politisch eckt der prominente Linke mit großer Beharrlichkeit an. Kurt Schumacher hatte ihn kurz nach Kriegsende für die SPD begeistert. Er ist mit Willy Brandt befreundet und unterstützt in den 60er Jahren die Wahlkämpfe der SPD. Erst 1983 wird er SPD-Mitglied, tritt aber 1993 wegen der Beschlüsse zur Asylpolitik wieder aus.

Unermüdlich warnt er vor einem Wiederaufleben des Nationalismus. Nach der Wende fordert er eine langsamere Wiedervereinigung mit zwei deutschen Staaten. Er protestiert gegen die Abschiebung von Kurden, unterstützt Sinti, Roma und ehemalige NS-Zwangsarbeiter. Vor allem mit seinem Gedicht "Was gesagt werden muss" gegen Israel bringt Grass 2012 zahlreiche Menschen gegen sich auf. Nicht der Iran, sondern Israel mit seinen Atomwaffen gefährde den Weltfrieden, heißt es dort. Sein Schriftstellerkollege Max Frisch habe ihm empfohlen, im Alter zornig zu bleiben, verteidigt er sich.

Harte Kritik muss Grass auch einstecken, als er 2006 öffentlich einräumt, dass er kurz vor Kriegsende Mitglied der Waffen-SS gewesen ist. Zwar hat er aus seiner Nazi-Begeisterung als Jugendlicher nie ein Hehl gemacht, doch man nimmt ihm den späten Zeitpunkt des Geständnisses übel.

Grass wird am 16. Oktober 1927 in Danzig geboren, sein Vater ist deutschstämmig, seine Mutter kaschubischer Abstammung. Zuletzt lebt Grass mit seiner zweiten Frau Ute in Behlendorf bei Lübeck. Günter Grass, der sich als Agnostiker immer mit Gott und Religion auseinander gesetzt hat, ist am 13. April in Lübeck gestorben.

 


Quelle:
DR , epd