Vor 100 Jahren wurde Sacre-Coeur in Paris fertiggestellt

Noch einmal Staat und Kirche

Vor 100 Jahren wurde die Basilika Sacre-Coeur in Paris fertiggestellt. Sie sieht aus wie eine Süßigkeit und wurde Zeugin großer politischer Spannungen, aber auch von einem letzten großen Zusammenwirken von Staat und Kirche in Frankreich.

Sacre-Coeur wurde im 19. Jahrhundert begonnen. / © kna-Bild (KNA)
Sacre-Coeur wurde im 19. Jahrhundert begonnen. / © kna-Bild ( KNA )

Wie ein Fremdkörper wirkt sie im Stadtbild von Paris - eine schneeweiße Sahnetorte über dem Gewirr von Zehntausenden Häusern. Weithin sichtbar auf der "Butte", dem Märtyrer-Hügel von Paris, steht die Basilika Sacre-Coeur, nach Notre-Dame die zweitprominenteste der zahllosen Kirchen in der französischen Hauptstadt. 1914, vor 100 Jahren, wurde sie nach knapp vier Jahrzehnten Bauzeit fertiggestellt, am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Der Zuckerbäckerbau des Architekten Paul Abadie (1812-1884) zeugt von einer Zeit großer politischer Spannungen, aber auch von einem letzten großen Zusammenwirken von Staat und Kirche in Frankreich.

Christliche Keimzelle von Paris

Der Montmartre ist eine christliche Keimzelle von Paris: jener Hügel, wo der heilige Dionysius, Märtyrerbischof um 250, auf seinem Richtplatz sein abgeschlagenes Haupt genommen und damit sechs Kilometer Richtung Norden gegangen sei. Wo er sich schließlich niederlegte, erhebt sich heute die frühgotische Basilika Saint-Denis, Bischofskirche und Grablege französischer Könige. Auf dem Montmartre-Hügel wiederum entstand eine bedeutende Königsabtei der Benediktinerinnen, abgerissen 1794 im Zuge der Französischen Revolution. Die letzte Äbtissin endete auf dem Schafott. Nebenbei: Der Montmartre war 1534 auch der Gründungsort des Jesuitenordens.

Rückzugsort für Diebe und Prostituierte

Erst 1860 wurde der Hügel in die rasant wachsende Stadt Paris eingemeindet. Er behielt seinen dörflich-ländlichen Charakter, bis das von Städteplaner Georges-Eugene Haussmann (1809-1891) entfachte Baufieber die Armen von Paris zunehmend an die Stadtränder verdrängte. Die Nordseite des Montmartre mit dem sogenannten Maquis (Gestrüpp), seinen aufgelassenen Höfen, Baracken und Elendsbehausungen wurde Rückzugs- und Wohnort für Diebe, Prostituierte und Kleinkriminelle. Seit den 1880er Jahren siedelten sich auch immer mehr Künstler der sogenannten Boheme hier an, die in Kaschemmen, Bars und Bordellen ihre Motive fanden.

Sozialrevolutionäres Potenzial

In diesem Klima von Absinth, Armut und Promiskuität verbarg sich auch ein starkes sozialrevolutionäres Potenzial. Im März 1871, nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg, entzündete sich der Aufstand der Pariser Kommune gegen die Übergangsregierung just am Montmartre. Es gab rund 30.000 Todesopfer durch Gewalt oder Hinrichtungen. Das Viertel blieb auch danach Sitz der radikalen Linken und des revolutionären Gedankengutes.

Der neue Pariser Erzbischof Joseph Hippolyte Guibert verfolgte 1872 die Idee einer nationalen Sühnekirche, geweiht dem heiligsten Herzen Jesu - anders übrigens als die etwa zeitgleich gebauten großen Marienbasiliken in Lourdes, Marseille oder Lyon. Der Gedanke einer christlichen Rückgewinnung des Märtyrer-Hügels wurde vom Parlament ausdrücklich befördert. Damals war noch nicht abzusehen, dass noch während der Bauzeit, 1905, eine strikte Trennung von Staat und Kirche in Frankreich gesetzlich verankert werden würde.

Künstlerviertel und Pilgerort

Das Montmartre-Viertel wurde im Laufe der Bauzeit (1875-1914) radikal umgestaltet. Entlang großer Treppen entstanden mondäne Wohnhäuser; in großem Stil wurde durch die bauliche Aufwertung erneut die angestammte Unterschicht vertrieben. Tatsächlich wanderten ab spätestens 1910 auch die Künstler in den Bezirk Montparnasse ab, um dort erschwingliche Mieten und Lebenshaltungskosten zu finden.

Schon vor der Fertigstellung der nationalen "Sühnebasilika" entwickelte sich ein reger Pilgerbetrieb. Die Kunstkritik hingegen äußert sich bis heute abfällig über das Hauptwerk von Paul Abadie, der dem Markusdom von Venedig und andere byzantinischen Kuppelkirchen wie der Hagia Sophia in Istanbul nachzueifern versuchte, jedoch vor allem Monumentalität und eine kühle Atmosphäre erzeugte.

1912 war das Gros der Arbeiten und 1914 schließlich der gesamte Bau fertiggestellt. Die Weihe war bereits für den 17. Oktober angesetzt, als Ende Juli der Erste Weltkrieg ausbrach. Mit dem französischen Kriegseintritt am 3. August 1914 blieb die Nationalbasilika ungeweiht; die Zeremonie wurde fünf Jahre später, am 16. Oktober 1919, nachgeholt. Die Umbauung der Pariser Kommunarden jedoch war gelungen und die Stadt um ein Wahrzeichen reicher.


Quelle:
KNA