Brauchtumsforscher über Märtyrer und ihre Legenden

Todesmutige Fromme

Manche Heiligengeschichte ist so blutrünstig, dass sie Stoff für einen Horrorfilm liefern könnte. Der Theologe und Brauchtumsforscher Manfred Becker-Huberti spricht im domradio über christliche Märtyrer und ihre Legenden.

Hl Sebastian (KNA)
Hl Sebastian / ( KNA )

domradio.de: Gibt es eine Heiligenlegende, die Ihnen nachhaltig Schauer über den Rücken rieseln ließ?

Manfred Becker-Huberti: Eine der schlimmsten ist die des Heiligen Georg, dem wird so ziemlich alles zugefügt, was man sich auch nur vorstellen kann: von Aufschneiden, Entleeren, Zerquetschen bis Zuhämmern. Es fällt eigentlich nichts aus vom Programm dessen, was man an Grausamkeiten einem anderen zufügen kann.

domradio.de: Solche Geschichten können doch nur einer blühenden und blutrünstigen Phantasie entsprungen sein. Wer hat sich denn solche Horror-Stories ausgedacht?

Becker-Huberti: Das können wir in der Regel nicht auf eine Person konzentrieren, sondern das sind wahrscheinlich Redaktionen gewesen, die vor allen Dingen im 5. und 6. Jahrhundert die Gestalten der Heiligen mit Geschichten belegten, die das illustrieren sollten, was denen als Märtyrer zugestoßen war! Das Muster sind eben nicht die eigenen Erlebnisse der Heiligen, sondern die griechische Philosophie. Sie gibt vor, wie man als aufrechter Philosoph zu sterben hat. Das wird übertragen auf das Christentum und nach Blutrünstigkeit ausgelegt nach allen Seiten und immer mehr gesteigert. Es ist im Grunde genommen die Yellow Press des Mittelalters. Die Menschen hatten eine Sehnsucht danach emotional zu verstehen, was ist da eigentlich vorgegangen. Da man das nicht hatte fotografieren und filmen können, musste man zu anderen Mitteln, nämlich literarischen Mitteln greifen, malt das in buntesten Farben aus und es erschauerte die Menschen über Jahrhunderte.

domradio.de: Was wollten denn die Legendenschreiber mit den heiligen Gruselgeschichten bezwecken?

Becker-Huberti: Im Grunde genommen richtet sich das nach zwei Seiten. Die eine Seite sagt: "Mensch, du kannst dich freuen, dass dir das nicht mehr passiert, du lebst in aller Sicherheit, aber vergiss dabei nicht dein eigentliches Ziel, dass Du vor den Augen hast, denn wenn Du dein Ziel verlierst, obwohl es Dir so gut geht, dann geht es dir anschliessend dreckig, denn Du wirst dann nicht im Himmel ankommen". Das andere Ziel war zu beschreiben, was die Altvorderen geleistet haben, was sie an Blut vergossen haben, um ihren Glauben zu verteidigen und in dieser Tradition stehend, kann man diesen Glauben nicht verraten. Also es sind mehrere Dinge, die da zusammenspielen und es hat wirklich ausgezeichnet funktioniert.

domradio.de: Hinter den Schauergeschichten stecken schon wahre Lebensschicksale der Heiligen. Auch wenn nicht jede Geschichte der Heiligen bis ins Detail überliefert ist, diese vorbildlichen Menschen haben Einiges gewagt für ihren Glauben. Wieso musste es so masochistisch sein?

Becker-Huberti: Man muss zwei Dinge sehen: Zum einen hat es diese Menschen mit Sicherheit gegeben. Da gibt es gar keinen Zweifel dran! Sie sind eines grausamen Todes gestorben, wahrscheinlich aber nicht des Todes wie in der Legende beschrieben, die nach Jahrhunderten oben drauf gelegt wurden, weil der jeweilige Zeitgeist dieses Deutungsmittel suchte, um es zu beschreiben. Wenn wir heute sagen, waren sie masochistisch, dass sie in die Messer gelaufen sind und geschrien haben "noch mehr Messer"? Nein, das waren sie nicht. Aber das ist die Vorstellung, die aus der griechischen Philosophie kommt von den Legendenschreibern im 5./6. Jahrhundert übernommen wird und den Menschen von damals übergestülpt wird. Das war die Idee und Vorstellung und so hat es sich verbreitet. Unser Bild von Märtyrern, das wir haben, ist nicht das Originalbild der Märtyrer selber, sondern eines das später für sie nach "müngchesmoß", würde der Kölner sagen, zusammengenäht wurde.

Das Interview führte Birgitt Schippers.

(domradio.de)

Hinweis: Das Buch "Märtyrer - Der sicherste Weg zur Heiligkeit" von Manfred Becker-Huberti und Konrad Beikircher ist im Bachem Verlag erschienen.


Manfred Becker-Huberti / © privat
Manfred Becker-Huberti / © privat