Pro und Contra Kulturtickets für Arme

Streit unter Wohltätern

Arme Menschen sollen kostenlos Kulturveranstaltungen besuchen dürfen. Bundesweit haben sogenannte Kulturlogen dieses Prinzip von Lebensmittel-Tafeln übernommen. Doch die Bewegung ist zerstritten.
 

Autor/in:
Christian Spöcker
Kulturtickets für Arme (dpa)
Kulturtickets für Arme / ( dpa )

Nur noch zwei Tickets sind übrig. "Ein Stück von Peter Handke", erklärt Monika Siebert der interessierten Person am Telefon. Sie bietet gerade einem sogenannten "Kulturgast" Eintrittskarten für eine Theateraufführung an - kostenlos.

Wie Siebert arbeitet auch Peter Aurich ehrenamtlich in der Essener Zentrale der Kulturloge Ruhr mit. Der 60-Jährige ist seit einiger Zeit arbeitslos. Daher weiß er gut, wie man sich fühlt, wenn man zwar Lust auf Kultur, aber kein Geld hat: "Als Arbeitsloser oder Geringverdiener kann man viele kostenlose Konzerte besuchen. Alles andere in Sachen Kultur ist nicht bezahlbar", sagt der Essener.

Aus diesem Grund entstehen in immer mehr Städten in NRW Kulturlogen. Was die Tafel für Lebensmittel, soll die Kulturloge für Eintrittskarten sein. Allein im Ruhrgebiet kooperiert die Initiative nach eigenen Angaben mit 120 Kulturveranstaltern. Auch Kinokarten gibt es gelegentlich, allerdings nur für Filmpremieren oder einzelne Programmkinos.

Bei Anruf Tickets

Die Mitarbeiter der Kulturloge Ruhr, die fast alle ehrenamtlich arbeiten, legen bei Einrichtungen wie Jobcentern oder Theatern Flugblätter aus und sprechen bei Tafeln potenziell bedürftige Menschen an. Wer sich und seine kulturellen Vorlieben in eine Datenbank eintragen lässt, wird von Mitarbeitern wie Siebert und Aurich angerufen, wenn es Karten gibt. Und wer Lust auf die Veranstaltung hat, kann sich die Tickets namentlich, aber diskret an der Abendkasse hinterlegen lassen - ohne "unangenehmes Outing", wie die Essener Initiative es formuliert.

Doch hinter den Kulissen der bundesweiten Bewegung gibt es einigen Streit darüber, wer sich Kulturloge nennen darf und wer nicht. Juristische Auseinandersetzungen gibt es auch über die Frage, ob der Dachverband allen deutschen Kulturlogen Vorschriften über die Arbeitsweise machen darf. Hilde Rektorschek ist die Vorsitzende des Bundesverbands Deutsche Kulturloge. Sie sagt, sie habe im hessischen Marburg bundesweit die erste Kulturloge gegründet. Außerdem reklamiert sie für sich und den Bundesverband die Namensrechte.

Niederlassungen wie die Essener Initiative sind aus ihrer Sicht "Trittbrettfahrer", die das ursprüngliche Konzept verfälschen. So stört sich Rektorschek beispielsweise daran, dass die Kulturloge Ruhr prüft, ob Kulturinteressierte tatsächlich bedürftig sind. Das ist der Fall, wenn das monatliche Einkommen pro Person nicht mehr als 930 Euro beträgt.

Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Essener Initiative, Marc Grandmontagne, verteidigt dieses Vorgehen: "Wir möchten unsere Karten ja nur an tatsächlich Bedürftige abgeben." Tue die Kulturloge Ruhr das nicht, könnte das Finanzamt der Initiative die Gemeinnützigkeit entziehen, so die Befürchtung. Auch aus einem anderen Grund will die Kulturloge Ruhr eigenständig arbeiten: "Das Konzept lebt davon, dass es sich nach den lokalen Voraussetzungen richtet", sagt Grandmontagne. Deshalb müsse eine Kulturloge im Ruhrgebiet anders arbeiten als beispielsweise in Marburg.

Sieben Niederlassungen im Ruhrgebiet

Mittlerweile haben die Macher der Kulturloge Ruhr neben ihrer Zentrale in Essen sieben Niederlassungen im Ruhrgebiet aufgebaut. Erst kürzlich kam eine in Mülheim/Ruhr hinzu, ein weiterer Standort ist in Duisburg geplant.

Kulturgast und ehrenamtlicher Mitarbeiter Peter Aurich ist vom Konzept überzeugt: "Abgesehen von der Kulturloge bekommt man als Arbeitsloser oder Geringverdiener keine ermäßigten oder gar kostenlosen Tickets", sagt er. Wenig später sind auch die letzten beiden Karten für das Handke-Stück vergeben.


Quelle:
dpa