Tag des offenen Denkmals stellt unbequeme Architekturzeugnisse vor

Jenseits des Guten und Schönen

Keine Schlösser und Villen, sondern NS- und Nachkriegsbauten. In diesem Jahr stellt der Denkmaltag Objekte in den Mittelpunkt, die heute als unästhetisch gelten oder deren Geschichte mit Unterdrückung und Verbrechen verbunden ist.

Autor/in:
Marlene Grund
 (DR)

Es gibt Denkmale, die machen es Architekturfans und Geschichtsliebhabern nicht leicht. Dazu gehören die Architektur der Diktaturen, Lager als Zeugnisse von Unterdrückung und Gewalt, Bauwerke aus den Nachkriegsjahren, darunter Kirchen aus Beton. Speziell diese Kirchen seien ungeliebte Zeugnisse, berichtet Horst Schwebel. Von ihnen trennten sich Kirchengemeinden weitaus leichter als von anderen Objekten, sie würden als hart empfunden, als rau und grob. Der emeritierte Theologieprofessor und Kunstexperte bricht dennoch eine Lanze für die Betonkirchen, die nach seiner Auffassung durch "Elementarität und Charakter" bestechen.

Historische Bauen, die dem landläufig "Schönen" widersprechen, stehen in diesem Jahr im Mittelpunkt des "Tags des offenen Denkmals", der am 8. September in Saarbrücken offiziell eröffnet wird. Die deutsche Stiftung Denkmalschutz mit Sitz in Bonn, Organisatorin der bundesweit größten Kulturveranstaltung, will mit dem sperrigen Leitmotto eine Debatte über eine zentrale Fragestellung der Denkmalpflege anregen: Welche Gebäude sind erhaltenswürdig und warum?

Dabei geht es auch um den Zeitgeist. So manche Dorfgemeinschaftshäuser aus den 1950er und 1960er Jahre galten als "Schandflecke", räumt Ursula Schirmer, Sprecherin der Stiftung ein. Glücklicherweise erkläre die Enkelgeneration genau diese Architektur für reizvoll und erwärme sich für die "Eleganz der 50er Jahre".

Schmerzhafte Geschichtsorte

Seit 20 Jahren lockt der Denkmaltag deutschlandweit an jedem zweiten Sonntag im September mehr als vier Millionen Besucher zu Tausenden von Bauwerken, von denen viele nicht öffentlich zugänglich sind. In diesem Jahr sind nicht nur besondere Privathäuser, Schlösser, Fabriken und Gartenanlagen geöffnet, sondern auch Objekte, die normalerweise im Schatten stehen, weil ihre Geschichte mit Unterdrückung und Leid verbunden ist.

Es sind schmerzhafte Geschichtsorte, die an Tatsachen erinnern, die es besser nicht gäbe, "Teile eines Erbes, das niemand haben will und das doch nicht ausgeschlagen und nicht beschönigt werden darf", wie der Münchner Kunstgeschichtsprofessor Norbert Huse (1941-2013) sagte. Er prägte laut Denkmalschutzstiftung den Begriff der "unbequemen Baudenkmale".

NS-Hinterlassenschaft Vogelsang

Die NS-Ordensburg Vogelsang gehört zu diesen Bauten. Bei Gmünd in der Eifel, oberhalb der Urfttalsperre in Nordrhein-Westfalen gelegen, war die Anlage zwischen 1936 und 1939 Schulungsstätte für den Nachwuchs der NSDAP-Führung. Nach den Parteitagsbauten in Nürnberg gilt die unter Denkmalschutz stehende sogenannte Ordensburg mit fast 100 Hektar als die größte bauliche Hinterlassenschaft des Nationalsozialismus in Deutschland.

Der heutige gute Zustand der gigantischen Anlage ist nach Angaben der Stiftung Denkmalschutz der belgischen Armee zu verdanken. Die nutzte das Gelände als Kaserne und Truppenübungsplatz und gab es 2005 weitgehend unverändert der Bundesrepublik zurück.

Es mag schwierig sein, durch solche Bauten an die NS-Vergangenheit erinnert zu werden, erklärt Rosemarie Wilcken, Vorstandsvorsitzende der Denkmalsschutzstiftung. Die Selbstinszenierung der NSDAP bezeichnet sie als "erschütternd". Dennoch könne Vogelsang heute als "Internationaler Platz" ein Lernort für eine friedliche Zukunft sein.

An "Abgründe der Geschichte"“ erinnern

Zu den beispielgebenden Ausstellungsorten gehört in diesem Jahr auch das Lager Sandbostel im niedersächsischen Moor, eine der wenigen Gedenkstätten am Ort eines ehemaligen Kriegsgefangenenlagers in Deutschland. Wegen der historischen Bedeutung renovierten Bund, Land, Kreis und die Reemtsma-Stiftung die Gedenkstätte mit einem siebenstelligen Betrag.

Baracken wurden vor dem Verfall gerettet und in zwei Gebäuden der heutigen Dokumentations- und Gedenkstätte eine multimediale Ausstellung geschaffen. Das Lager, das mehr als 300.000 Kriegsgefangene, Zivil- und Militärinternierte aus 55 Nationen beherbergte und in dem 5.162 Kriegsgefangene und etwa 3.000 KZ-Häftlinge starben, sei als Erinnerungsort von hoher Bedeutung, sagt die deutsche Stiftung Denkmalschutz.

Unbequem seien Bauwerke, die "an Abgründe unserer Geschichte erinnern, an Gewalt und Verbrechen, an Diktatur und Zivilisationsbruch", schreibt Bundespräsident Joachim Gauck in seinem Grußwort zum diesjährigen Denkmaltag: "Auch hinter dem, was zunächst schmeichelt können Abgründe lauern - und auch in dem, was uns nicht sofort förmlich anstrahlt, lohnt es sich nach dem Guten zu suchen."


Quelle:
epd